Nr. 2
Politische Umschau
Die Gleichheit
Die letzten Wochen haben große Umwälzungen militärischer und politischer Natur gebracht, und wenn diese Zeilen den Leserinnen der„ Gleichheit" vor die Augen kommen, sind folgenschwerste Entscheidungen bereits gefallen. Tage voll Hochspannung durchleben wir wieder wie in den letzten Julitagen 1914. Damals stand der Krieg vor uns, heute- vielleicht!- der Friede. Damals lastete auf uns Frauen fast ausnahmslos der furchtbare Druck eines unabwendbaren Schicksals und das Gefühl einer verzweifelten Ohnmacht. Heute ist es die heiße Sehnsucht und die schwanke Hoffnung auf Frieden und wieder wie einst das bittere Gefühl, daß einige Menschen unser aller Schicksal in Händen halten.
Unsere Truppen an der Westfront leisten fast Übermenschliches, aber ihnen steht eine gewaltige Übermacht an Menschen und Striegsmaterial gegenüber. Nachdem am 27. September Bulgarien die Entente um Waffenstillstand und Frieden bat, ist für die Dauer die Aufrechterhaltung der südöstlichen Front unmöglich geworden. Wie bekannt wurde, hat Bulgarien bereits 1917 mit der Entente in Verhandlungen gestanden, und der Zar Ferdinand von Bulgarien war bereit, jede Friedensbedingung anzunehmen, falls ihm der Thron erhalten bliebe. Dieser Wunsch ist ihm von der Entente nicht erfüllt worden, zu seinem Nachfolger wurde sein Sohn Boris bestimmt. Zar Ferdinand hat seinen Aufenthalt in Koburg genommen. Daraus, daß Bulgarien schon vor Jahresfrist Verhandlungen insgeheim führte, mußte der Entente die Gewißheit kommen, daß der Bund der Mittelmächte in absehbarer Zeit am Zerbrechen war, und, daraus ist vielleicht die ablehnende Haltung allen Friedensversuchen Deutschlands und Österreich- Ungarns gegenüber abzuleiten. Die deutsche Diplomatie sowohl wie die Oberste Heeresleitung haben von den Vorgängen in Bulgarien anscheinend keine Ahnung gehabt, denn sonst hätte alles getan werden müssen, den Frieden zu erreichen, als Deutschland noch einmal- Ende Juni d. J.- auf der Höhe der militärischen Erfolge stand.
Der Not gehorchend, ist die Regierung Hertling- Hinge abgetreten, und am 3. Oktober ist die neue Regierung, deren Reichsfanzler Prinz Mag von Baden ist, zusammengekommen. So hat Deutschland nun eine bürgerlich- demokratische Regierung auf parlamentarischer Grundlage, in der auch die Sozialdemokratie durch die Genossen Scheidemann und Bauer vertreten ist. Nur schweren Herzens hat die Partei sich zur Teilnahme an der
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Die Freunde nennen sich aufrichtig, die Feinde sind es- daher man ihren Tadel zur Selbsterkenntnis benügen soll als bittere Arznei. Schopenhauer.
Die vier Raben.
Erzählung von Anna Mosegaard. ( Fortsetzung.) lutigrot, wie ein glühender Feuerball, versinkt die Sonne hinter den Bergen. Blumen und Gräser senken müde ihre Stöpfchen, der Abend naht. Heini hat sich fester in seine Decke gewickelt, die hohe Brust hebt und senkt sich schwer; ganz in sich zusammengesunken ist das Kind im Schlaf, der es umfangen hält. Da tritt ein früh gealtertes, abgehärmtes Weib durch die Gartenpforte, Martha Rabe ist's. Bom Felde kommt sie, wo sie den ganzen Tag schwer gearbeitet hat. Leise tritt sie näher, sieht das schlafende Kind und streicht mit ihrer arbeitsharten Hand über das wellige Haar. Da schlägt es die Augen auf:„ Mutter!"
„ Mein Jung!"
Wie lieb sich die beiden haben. Die blasse Frau mit dem früh ergrauten Scheitel und das arme verkrüppelte Kind. Alle Wünsche möchte die Mutter ihm erfüllen, alles, um es froh zu machen. Aber es hat keinen Wunsch mehr, seit die Mutter ihm den einen erfüllte, ihm eine kleine Geige kaufte. Vom Munde hat sie sie sich abgespart; und trotzdem darf es der Vater nicht einmal wissen. Jnuner muß der Junge sie ver steckt halten, wenn er nicht Gefahr laufen will, daß der Vater sie erwischt und in seinem Rausch in Stücke schlägt. Er ist nun einmal so, der Vater. Er mag solchen Firlefanz nicht leiden.
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Regierung entschlossen, weil sie weiß, eine wie große Verantwortung sie mit diesem Schritt auf sich nimmt. Aber es ging nicht an, in so schicksalschwerer Stunde abseits zu stehen und zuzuschauen, ob nun richtige oder verkehrte Schritte von den anderen unternommen werden. Leichter wäre ein solches Verhalten zwar gewesen, aber besser nicht. Das deutsche Volk will den Frieden, und dazu bedarf es nicht lauter Worte, sondern entschiedener Taten.
So ist denn die erste Tat der neuen Regierung gewesen, daß sie ein neues Friedensangebot an den Präsidenten der Vereinigten Staaten , Wilson, richtete und ihn ersuchte, auf Grundlage des von ihm aufgestellten Programms die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen. In der Nacht vom 4. zum 5. Oktober ist die Note abgegangen, und am Sonnabendnachmittag trat der Reichstag zusammen, um von diesem Friedensschritt Kenntnis zu nehmen.
Aus Genf wird unter dem 7. Oftober gemeldet, daß die fran zösischen Sozialisten ein Manifest an den Präsidenten Wilson beschlossen, daß er die Entente zu einer Besprechung des deutschen Vorschlages veranlassen möge. Dagegen sind die Meldungen der offiziösen französischen Telegraphenagentur Havas sehr nervös und friegswütig. In England scheint eine dem Frieden günstige Stimmung zu herrschen. Präsident Wilson hatte es sich zum Ziel gesetzt, Europa den Frieden zu bringen, so oder so; die nächsten Tage schon werden entscheiden, ob dieser Wille noch besteht, die Möglichfeit ist gegeben.
Rußland hat der Türkei den Frieden von Brest- Litowsk gekündigt und erwartet von Deutschland größtes Entgegenkommen bezüglich der diesseitigen Lösung.
Die Entwicklung im inneren Deutschland bleibt abzuwarten; sie hängt eng mit den Erfolgen der äußeren Politik der neuen Regierung zusammen. Aber es erscheint geradezu unmöglich, daß das alte Preußen seinen Platz im neuen Deutschland behaupten kann. Das sehen auch die Vertreter des alten Preußen ein, aber sie halten es für angemessen, mit Hohn und Spott auf die Demokratie und auf das neue Deutschland , das werden will, ihre eigene Herrschaft zu Grabe zu tragen. Jedem das Seine. Über Takt läßt sich nicht streiten. Klara Bohm- Schuch.
Je nachdem man mehr Geist hat, findet man, daß es mehr originale Menschen gibt. Die Menschen des großen Haufens finden keinen Unterschied zwischen den Menschen. Bl. Pascal.
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Mutter, wie rauh, wie rissig deine Hände sind," sagt das Stind, weil es nicht weiß, was es der Mutter Liebes sagen soll. " Das kommt vom Rübenhacken," sagt die Frau schlicht und zieht den Knaben in ihre Arme. Aber ich tue es ja gern für cuch, meine Kinder für dich, mein Heini."
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Da stürzen die drei Naben mit heiserem Gefrächz herein und berichten schreiend, ein Wort das andere überſtürzend: ,, Mutter, Vater ist wieder besoffen! In der Schenke ist er! Er torkelt schon! Die Schulzen hat ihn gesehen!"
Das heitere Lächeln erstirbt der Mutter auf den Lippen. Tiefer gräbt sich die Falte um den zugekniffenen Mund. Wortlos geht sie hinein, den Kindern das Abendbrot zu bereiten und ihre Anordnungen zu treffen. Dieweilen reißen sich die drei Raben um des Ältesten Geige. Weil der schwache Stnabe ihnen an Körperkraft nicht überlegen ist, muß er sich aufs Bitten verlegen. Da wirft Alma ihm die Geige vor die Füße, daß die Saiten flingen:„ Da Haste deine Fiedel!"
Dann stürzen sie davon. In der Küche sißen sie schwabend um den runden Tisch, während die Mutter mit verdüstertent Angesicht einhergeht. Heini bekommt sein Schüffelchen mit Milch in den Garten gebracht. Er kennt schon die Stunden, die nun kommen.
Die Kinder werden eilig zu Bett gebracht. Weil sie gewöhnlich wieder aus den Federn müssen, wenn der Vater heimkommt und Frau und Kinder brutal vor die Tür setzt, behalten sie gleich das Oberzeug und Schuhe und Strümpfe aut. Das sind sie schon gewöhnt.
Die Mutter trägt der Nachbarin indes Butter und Brot hinüber, damit sie mit den Ihren morgen früh zu essen hat, wenn der Vater bis mittag die Tür verschlossen hält, niemanden einläßt, bis er seinen Rausch ausgeschlafen. Ach, so genau kennt Heini das alles. Wie viele Nächte hat er mit Mutter