Nr. 2
Die Gleichheit
widerstrebendes überlegen für sich nicht anerkannte, aber doch die Notwendigkeit mühseliger organisatorischer Kleinarbeit für den Aufstieg der Arbeiterklasse voll erfaßte, war Regine Kraus die erste weibliche Angestellte des Handlungsgehilfenverbandes. Aus eigener Kraft hat sie sich ihren Weg gebahnt, und ungern nur gab sie ihren Mädchennamen und die liebgewordene Stellung auf. Der Bewegung aber blieb sie treu, wenn auch die wachsende Zahl der Kinder Einschränkungen erzwang. Die Erfüllung ihrer Hoffnung auf eine Einigung der Arbeiterschaft nach den Wirrsalen des Kriegs, in denen sie nicht auf unserer Seite stand, sollte sie nicht mehr erleben. Eine typhusartige Erkrankung hat sie in wenigen Tagen dahingerafft. Die Kinder trauern um die zu früh verstorbene Mutter. Die sozialiftische Frauenbewegung wird ihrer Arbeit nicht vergessen. D. W.
Kindergräber.
Es gibt Menschen, welche die Friedhöfe meiden wie einen Bestort. Gewiß gibt es anmutigere Spaziergänge, aber solch ein Fried hof mitten im Walde hat doch auch einen unendlichen Reiz. So oft mich mein Weg nach dem Bergstädtchen Tharandt führt, versäume ich nie, das Grab Coitas zu besuchen, dem man ein Grab droben in der Waldeinsamkeit gegeben hat unter achtzig Eichen. Die Zahl seiner Lebensjahre! Ich wünsche mir immer im stillen eine ähnliche Ruhestätte. Der Philosoph lächelt natürlich darüber, und er ist vollkommen in seinem Rechte. Denn im Grunde genommen kann es dem Menschen recht gleichgültig sein, wo seine sterblichen Reste ruhen, die Hauptsache ist, daß er während der Spanne Zeit, in der er an der Oberfläche weilt, sein Dasein nugbringend lebt, im Dienste der Gesamtheit.
Meiner Vorliebe für stille Waldfriedhöfe kommt der Friedhof des Ortes, in dem ich mich zurzeit befinde, aufs glücklichste entgegen. Hoch droben im Thüringer Wald ein sonniger Bergabhang, umstanden von hohen ernsten Fichten und alten Ebereschen mit brennendrot leuchtenden Früchten, ein weicher Teppich, gewebt aus Moos und Heidekraut, Vogelgezwitscher und Käfergebrumm- das ist der Gräberplatz der Gemeinde E.
Ich trete ein, die Tür freischt in verrosteten Angeln, ich sehe mich um: zwei Hälften, von denen die eine belegt ist mit Gräbern Erwachsener, die andere mit Kindergräbern. Auffallend ist die zahlenmäßig gleiche Verteilung von jung und alt. Ich zähle die Gräber. Ein kleiner dickaufgeplusterter Bogel mit komisch langen dünnen
und Kriegslebens erfassen die jungen Menschen einzelir. Jeden beeinflußt das Leben anders. Der Ausgleich fehlt, den vordem die Aussprache in traulicher Feierabendstunde immer wieder bot. In vielen Menschen wächst unbemerkt von den liebsten Angehörigen etwas Unbekanntes, etwas Fremdes heran. Die so seltenen, kurzen, haftig verlebten Urlaubstage lassen oft ruhiges, tiefgehendes Aussprechen, erneutes Einanderanpassen des Gemüts kaum zu. Es steht etwas zwischen Mann und Frau, was sie nicht kennen, aber immer deutlicher empfinden. Feinfühlige Menschen sind traurig darüber oder tragen gar bitteres Leid. Der Krieg hat es gebracht; mit ihm mag es zumeist wieder verschwinden.
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Aber ihr Frauen daheim und ihr Männer draußen: Viele Stunden der Niedergeschlagenheit, der Leiden könnten euch erspart bleiben! Ihr könntet den Gedankenaustausch fortsetzen. Schreibt einander gute Briefe. Nicht so:„ Es geht mir gut. Es grüßt Dich Dein lieber N. Deine liebe M." Erzählt von eurem Leben, vom Tun und Treiben der Familie und Freunde. Fragt und antwortet einander, wie ihr es gewohnt waret vor der Trennung, Berichtet von neuen Plänen und Hoffnungen, die euch persönlich angehen und tauscht die Meinungen darüber aus. Und erinnert euch auch der frohen und guten Stunden in glücklicher Zeit. Sprecht einander guten Mut und Hoffnung zu. Versucht die früher bei stillem Zusammensein ge pflogenen Unterhaltungen in den Briefen weiterzuführen. Gebt euch gegenseitig Nachricht von den Vorkommnissen in den Organisationen. Wie manche Frau weiß von diesen Dingen, die ihren Mann be= treffen, gar nichts, wie viele wissen nichts von den wichtigen Verficherungsverhältnissen ihres Mannes. Wie oft kommen gewerkschaftlich geschulte Männer heim und finden ihre( leider) arbeitende Frau unorganisiert oder gar bei den Gegnern!
Solche Briefe geben den Gedanken in ruhigen Augenblicken eine andere Richtung, sie machen Herz und Gemüt freier. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit wird neu belebt. Das Leben ist froher und leichter!
Ihr Frauen meint, es fehle die Zeit vor Erwerbsarbeit, vor Hauswirtschaft und Kinderbetreuen und Reihenstehen und Markenabholen. Ach ja, ich glaube doch, es wird möglich sein. Versucht
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Beinchen fißt auf einem Grabsteinsockel, bleibt ganz ruhig sigen und sieht mich mit seinen schwarzen Kuglein ernsthaft prüfend an, als wollte er sagen:„ Gelt, da schaust du nun und wunderst dich!" die Es ist das gleiche traurige Ergebnis wie anderswo auch Sterblichkeit der Kleinen und Kleinsten übertrifft die Sterbezahl derer, die mit dem Leben fertig sind. Welche Werte und Energien schlummern in diesen Kindergräbern! Die ältesten Grabsteine hier weisen die Jahreszahl 1883 auf, die menschliche Ansiedlung ist also noch verhältnismäßig neu. 55 Gräber gehören Erwachsenen, 63 find Kindergräber! Die Gemeinde zählt 250 Seelen. Geboren werden jetzt in der Kriegszeit jährlich 1 bis 2 Kinder, vor dem Kriege be= wegte sich die Zahl der Geburten wie folgt: 1905 11, 1906 6, 1907 5, 1908 5, 1909 8, 1910 6, 1911 6, 1912 5, 1913 6 Kinder. Von den 63 Kindern sind gestorben: 24 im ersten Vierteljahr, 18 vor Ablauf des ersten Lebensjahres, 1 Zwillingspaar ist am Tage der Geburt wieder eingegangen, von 2 weiteren Zwillingspaaren hat das eine nur 1 Tag, das andere 3 Tage gelebt. Im Alter von 1 bis 2 Jahren sind 8 Kinder gestorben, die übrigen 13 Todesfälle verteilen sich auf die Zeit bis zum zehnten Lebensjahre. Dann tritt ein völliger Stillstand ein. Es scheint, als ob mit zunehmendem Alter die Widerstandskraft eine erhöhtere wird, aber bis zum zehnten Lebensjahr geht mit dem Tode ab, was nicht kampfstart genug ist. Denn auffallenderweise ergeben die Jahreszahlen der Erwachsenen hohe Altersziffern, zum Teil 80, 81, 82 Jahre, getreu dem Bibelwort: Wenn es hoch kommt, so sind es 80 Jahre. Der Zusatz:„ Und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen," stimmt auf das Waldvölkchen wohl nur im legten Teil, denn von einer Köstlichkeit werden die herrschaftlichen" Holzhauer( so sagt die Grabschrift) und Fuhrmänner wenig gespürt haben.
Die Umfrage im Ort nach der Todesursache der Kinder ergab das bekannte Bild. Die meisten derer unterm Jahr waren an Hirnund Zahnkrämpfen(!) gestorben, also Opfer der Unkenntnis ihrer Mütter über die Pflege und Ernährungsbedingungen geworden. Bei 10 Säuglingen ließ sich Lebensschwäche als Todesursache feststellen. 3 Kinder waren an Verbrennungen gestorben, 1 war in den Waschkessel gefallen. Während die Mutter Feuer unterm Kessel gemacht und dann ihrer Arbeit nachgegangen war, hatte sich das auf dem Deckel liegende Kind aus seiner Umhüllung gestrampelt und war in den mittlerweile kochend gewordenen Inhalt des Kessels gefallen. Ein anderes Kind hatte sich mit kochendem Kaffee verbrüht, wieder ein anderes mit kochenden Erbsen. Die übrigen Todesfälle hatten Infektionskrankheiten zur Ursache.
mal, eine Stunde früher fertig zu sein, wenn ein Besuch zu machen ist, oder wenn ihr das Theater oder Kino besucht. Nicht als ob ihr das Vergnügen unterlassen und derweil schreiben sollt. Auch gute Unterhaltung und Zerstreuung sind notwendig. Sollte sich aber nicht doch in jeder Woche eine ganz ruhige beschauliche Stunde zum Be sinnen und Briefschreiben übrigmachen lassen? Ganz gewiß!- Von der Tagesarbeit noch nicht ganz frei oder zwischen unbesorgten Kindern und brodelnden Kochtöpfen könnt ihr doch keine lieben guten Briefe schreiben. Zuviel Sorgen, Gram, Unmut schleichen sich in die Feder. Von frohem Gedenken soll doch euer Brief dem fernen Gatten oder Liebsten einen Abglanz bringen. Deshalb schreibt in ruhigen andächtigen Stunden.
Und ihr Soldaten draußen! Denkt daran, mit welcher Freude eure Lieben daheim ein paar gute Worte herzlichen Gedenkens in sich aufnehmen werden; wie eure Anteilnahme am Gemütsleben Warten leichter der Frau oder Liebsten daheim das Hoffen und machen kann.
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Ihr glaubt, das sei schwer? Gewiß nicht! Schreibt nur mal, wie ihr es sagen würdet. Nicht in dem langweiligen hölzernen Stil des buchmäßigen Hochdeutschen, sondern in der einfachen ungefünftelten Sprache eures gemeinsamen Lebens. Schreibt, wie euch der Schnabel gewachsen ist. Dann kommt schon ganz von selber das Süßholzraspeln fort. Versucht es nur. Ich weiß, welche Freude ihr anderit und euch selber bereitet damit. Eure Briefe werden herzlicher, traulicher, wertvoller. Des Empfängers Stimmung malt euch aus. Wer Männer und gute Briefe bekommt, ist froh und innerlich ruhig. Frauen, schreibt gute Feldpostbriefe". Es kommt die Zeit, da ihr A. E. den Erfolg spüren werdet. Käme der Frieden bald!
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Man muß sich täglich Rechenschaft ablegen.
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Eine tägliche Übersicht des Geleisteten und Erlebten macht erst, daß man seines Tuns gewahr und froh werde; sie führt zur Gewissenhaftigkeit. Fehler und Irrtümer treten bei solcher täglichen Buchführung von selbst hervor.
Goethe.