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An die Arbeit!
Die Gleichheit
Mit Riesenschritten geht die Entwicklung ihren Weg. In den letzten Nummern unserer Zeitschrift spornten wir noch die Genossinnen zur unermüdlichen Arbeit für das Frauenwahlrecht an und wiesen ihnen Wege. Um feinen Preis wollten wir den günstigsten Moment zur Erringung unserer Rechte versäumen. Wir führten seit Jahrzehnten unermüdlich einen zähen Kampf um unsere Staatsbürgerrechte, ohne daß ein sichtbarer Schritt vorwärts getan wurde. Heute wissen wir, daß unsere mühselige Pionierarbeit durchaus nicht erfolglos geleistet wurde.
Deutschland war das Land der Traditionen und Vorurteile. Jeder Neuerungsvorschlag stieß auf tausend Bedenken und Einwände. Das wurde dem Kundigen ganz besonders in den der Revolution voraufgehenden Wochen wieder aufsneue klar. Jeder Staat hatte seine besondere Verfassung. Wir hatten in Deutschland mehr als fünfzig einzelne Stadt- und Landgemeindeordnungen. Gemeinsam war allen Einrichtungen lediglich die vollkommene Rechtlosigkeit der Frauen.
Die Revolution hat ganze Arbeit gemacht. In wenigen Tagen haben Soldaten, Arbeiter und Arbeiterinnen durch ihr einiges, geschlossenes Vorgehen alles Unrecht einer alten Zeit hinweggefegt. Niemals hat sich Größeres in der Weltgeschichte abgespielt. An der Spitze der jungen sozia listischen Republik stehen Männer, die ihr Leben lang nach bestem Wissen und aufrichtiger überzeugung für das Recht und gegen das Unrecht gestritten haben. Es ist selbstverständlich, daß in der jungen, von Sozialdemokraten geführten Republik für die Entrechtung der Frauen kein Platz mehr ist. Gleich den Männern werden wir Frauen in nächster Zukunft unsere Staatsbürgerrechte ausüben.
Wo Rechte gegeben werden, werden auch Pflichten verlangt. Die Wahlen zur geseggebenden Nationalbersammlung stehen bevor. Bei diesen Wahlen wird das Verhalten der Frauen von ausschlaggebender Bedeutung für das zukünftige Geschick der jungen deutschen Republik sein.
Ungefähr 40 Millionen Bürger, die größere Hälfte Frauen, werden zur Nationalversammlung ihre Stimme abgeben. Ganz sicher werden reaktionäre Kreise, die uns Frauen niemals als vollberechtigte Staatsbürger anerkennen wollten, die sich stets gegen die Gleichberechtigung der Frauen gesträubt haben, jetzt auf die politische Unbildung weiter Frauenkreise rechnen. Neben den Konservativen wird es ganz besonders das Zentrum sein, das seinen durch die katholischen Geistlichen nicht gering einzuschätzenden Einfluß auf die Frauen auszuüben suchen wird. Das Zentrum besitzt im Katholischen Frauenbund eine festgefügte Organisation. Nationalliberale und Fort schrittliche Volkspartei , die sich wahrscheinlich für den Wahlkampf zusammenschließen werden, haben eine Reihe geschulter Frauen zu ihrer Verfügung.
Die ungeheure Größe der Aufgabe, sowie die auf uns lastende Verantwortung müssen auch uns die richtigen Wege zeigen. Es ist stets so gewesen, daß unmittelbar vor großen Aufgaben aus den Reihen unserer Genossen und Genofsinnen die Kräfte, die für die Arbeit gebraucht wurden, erstanden sind. Es muß auch diesmal so sein. Wir wissen, daß der Krieg das Denken und Fühlen der Frauen in unserem Sinne beeinflußt hat. Wenn systematische Aufklärungsarbeit durch die Presse, in den Versammlungen, sowie durch gewissenhafte und regelmäßige Flugblattverbreitung getan wird, wird der Erfolg nicht ausbleiben.
In den allgemeinen Versammlungen der Partei müssen neben den Rednern regelmäßig auch Frauen sprechen, um die
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politische Gedankenarbeit der zuhörenden Männer und Frauen zu beeinflussen. Ferner wird es nach wie vor notwendig sein, in besonderen Frauenversammlungen die für die Frauen so völlig neue und bedeutungsvolle Situation zu behandeln. Wo es irgend möglich ist, sollte man die Frauenabende wieder einrichten und sie zur Schulung für unsere Genossinnen benutzen. Vielen von ihnen fehlt nur der letzte Anstoß und die Sicherheit; sie sind durch jahrelanges Lesen der Parteizeitungen und unserer Literatur soweit vorgebildet, daß nicht allzuviel dazu gehört, um sie für die planmäßige Agitation zu verwenden. Viele Genossinnen, die unter dem seelischen, körperlichen und wirtschaftlichen Druck des Krieges nicht imſtande waren, in altgewohnter Weise zu wirken, werden sich jetzt befreit fühlen und sich der Partei wieder zur Verfügung stellen. Der Aufklärungsdienst ist jetzt die dringendste Aufgabe. Hinter ihm muß alles andere zurückstehen. Wir wollen uns nicht sagen lassen, daß die Republik in ihrer Weiterentwicklung zum Sozialismus durch die politische Rückständigkeit der Frauen gehemmt worden ist. Deshalb auf zur Arbeit! Marie Juchacz .
Glühend im Schicksalszwang Sah ich dich, Deutschland . Wie dein Schild gehämmert Klang mein Lied. Mein Herzblut sang Sieg durch Treue, Sieg durch Treue, Neugeburt deiner Welt, Glutengeläutert, dir zu.
Blut braust Gesang: Sieg durch Freiheit, Sieg durch Freiheit! Singt erschüttert mein Herz, Donnernde Walstatt, dir zu.
Am Tor der neuen Zeit.
Ein gewaltiger Sturm ist über Deutschland gebraust. Die Monarchie ist zertrümmert, die Republik erstanden. Unseres Lebens Sehnsucht, das Ziel mühevoller Arbeit ward mit einem Schlage erfüllt. Die alte Staatsform war vermorscht und das Syſtem, welches sie deckte, war verfault bis in den Grund. Das gesamte Volt, mit Ausnahme einer dünnen Oberschicht, war sich nach vier furchtbaren Kriegsjahren bewußt geworden: so geht es nicht weiter.
Zuerst schien es, als ob auf friedlichem Wege die Umgestaltung des gesamten Staatswesens und der Staatsform möglich sei, als ob es gelingen würde, das deutsche Volt ohne neue große Leiden aus dem Elend des Krieges in die Segnungen des Friedens hinüberzuführen.
Als es aber zutage trat, daß die Kaste, deren Regierung das ganze Elend verschuldet, nur bis zu einem günstigeren Augenblick in den Hintergrund getreten war, da kam über Nacht die Revolution. Sie fam, weil sie kommen mußte, weil die Zeit reif war. Sie brach nieder, was nieder mußte, weil es nicht mehr lebensfähig war. Kämpfer fielen, die der Freiheit die Gasse bahnten, und ihnen gebührt unser Dant. Sie gaben alles, was sie geben konnten: ihr Leben. Sie gaben es hin für unsere Freiheit. Und an uns ist es nun, uns in den Dienst der jungen Freiheit zu stellen, selbstlos und rein.
Damit, daß die Revolution die alte Form zerbrach, ist sie nicht vollendet. Erst wenn es gelungen ist, das neue Haus aufzurichten, wenn der neue soziale Volksstaat feststeht auf dem Fundament der Demokratie, ist der Erfolg der Revolution gesichert.
Für den 2. Februar sind von der Regierung die Wahlen für die Nationalversammlung, in welcher der Volkswille über die Staatsform entscheiden soll, angesetzt. Bis dahin gilt es