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Die Gleichheit
so stark vom Klassen- und Interessenstandpunkt aus behandelt werden, vielmehr die rein menschlichen Gesichtspunkte mehr zur Geltung kommen. Weder entspricht dieser Glaube den historischen Tatsachen das weibliche Geschlecht hat sich in seiner Gesamtheit sittlich durchaus nicht wesentlich von dem männlichen unterschieden, noch zeugt er von Verständnis für die geniale Konzeption der Marrschen Geschichtstheorie, die die ausschlaggebende Bedeutung der materiellen Lebensbedingungen für das soziale und politische Verhalten der Menschen so scharf erkannte. Tatsächlich sind es ganz nach den Lehren dieser Theorie in erster Linie die wirtschaftlichen Verhältnisse, die bei Frauen wie bei Männern die politische Gesinnung bestimmen. Wie die Frau der besitzenden Klassen ( von wenigen Ausnahmen abgesehen) sich den Parteien eingliedern wird, die den Besitz in feinen verschiedenen Gestalten zu schüßen streben, so kann sich jede der Arbeiterschaft angehörige denkende Frau politisch nur mit der Partei verbunden fühlen, die in weitestem Sinne die Arbeiterinteressen vertritt: mit der Sozialdemokratie.
Wohl aber kann man nun die Frage nach dem Wert der weiblichen Mitarbeit in der Politik noch von höherer Warte aus stellen. Denn freilich, in dem einen stehen die Frauen ganz anders als die Männer: ihnen war das öffentliche Leben bisher der verschlossene Garten eines Paradieses, nach dem sich gerade die besten unter ihnen mit glühender Seele sehnten. Unerwartet und wie durch Zauberschlag hat sich ihnen das Tor dazu geöffnet, und aller tiefe Glaube an die große Aufgabe, die sich vor ihnen auftut, alle Glut des Gefühls, das sie in dieses neue Wirken legen wollen, alle Begeisterung und Hingabe für ihre politischen Ziele drängen jetzt zum Ausdruck und müssen sich in brennende Schaffensfreude wandeln. Die Frauen stellen gleichsam die Jugend im politischen Leben dar, und mit dem frischen Blick, dem stürmenden Wol. len der Jugend werden sie das Alte niederreißen und die Erde neu zu zimmern suchen. Und die Idee eines solchen Neubaus der Welt ist nicht etwa nur eine klingende Phrase, sondern sie birgt einen sehr realen und greifbaren Sinn. Und ganz besonders für den Sozialdemokraten.
Feuilleton
Wir sind nicht reif?
Das ist das Lied, das sie gesungen haben Jahrhundertelang uns armen Waisenknaben, Womit sie uns noch immer beschwichten, Des Volkes Hoffen immer vernichten, Den Sinn der Bessern immer betören Und unsre Zukunft immer zerstören.
Wir sind nicht reif?
Reif sind wir immer, reif zum Glück auf Erden, Wir wollen glücklicher und besser werden. Reif sind wir, unsre Leiden zu klagen, Reif sind wir, euch nicht mehr zu ertragen, Reif, für die Freiheit alles zu wagen.
Zwei Kinderbriefe.
Von einer Leserin der„ Gleichheit" werden uns die beiden folgenden Briefe zur Verfügung gestellt, die wir gern abdrucken, weil sie zwar naiv- findliche, aber darum doch interessante Zeichen der Zeit find. Wir bemerken noch, daß die Mutter der Kinder ihres Berufes wegen fern von Köln wohnt, aber mit ihren Kindern einen regen Briefwechsel unterhält.
Meine liebe Mutti!
Ich will Dir nun noch rasch, furz bevor wir die Besatzung beTommen, einen Brief schreiben.
Wir drei haben gestern morgen Deine Briefe bekommen. Du willst also etwas von unseren Eindrücken, die wir über die Revolu
Nr. 7
Alle Keime und Ansätze schöpferischer Zukunftsgestaltung ruhen heute im Sozialismus. Denn der Sozialismus ist, was vielleicht in dem Ringen um die langsame Durchführung seiner wirtschaftlichen Ideen in unserem Bewußtsein zu sehr in den Hintergrund trat, nicht allein eine wirtschaftlich- politische, er ist vor allem eine geistige, sittliche und kulturelle Lehre. Er will nicht nur Elend und Not in allen ihren Formen von der Erde bannen, die Vorherrschaft einer kleinen Zahl Besitzender brechen, um allen einen Teil an Schönheit und Freude, an den Gütern dieser Welt zu geben; er will auch ein Reich der schöpferischen Arbeit, der Geistigkeit, des reinen Menschentums gründen, wie es als ideales Bild von jeher in den besten Menschenköpfen lebte, ohne doch je bis jetzt zu Tat und Wirklichkeit zu werden. In der großen Idee der produktiven Arbeit jedes Gesellschaftsglieds und ihrer organisierten Zusammenfassung zu einem mächtigen einheitlichen Arbeitsorganismus liegt die praktische Möglichkeit, schaffende Kräfte von solcher Macht und Vielseitigkeit auszulösen, daß sich auf ihnen solch eine Welt des Geistes und der Menschlichkeit aufbauen kann.
Aber dazu bedarf es der Erkenntnis dieses umfassenden Gedankens bei allen Anhängern und Anhängerinnen der sozia listischen Parteien, dazu bedarf es eines tiefen, hingebungsvollen politischen Willens, und dazu bedarf es endlich praktisch auch der Anbahnung all der öffentlichen Tätigkeiten, die uns so hochgesteckten Zielen näherführen können.
In einer vollständig neuen, von sozialistischem Geiste durchdrungenen Schule und Jugendbildung werden wir zunächst die Saat für diese sittliche und geistige Neuschöpfung des Menschentums säen müssen. Heute sprechen wir wohl viel von Einheits- und Arbeitserziehung; noch aber sind wir gar nicht an die Aufgabe herangetreten, die von bürgerlichen Pädagogen übernommenen Gedanken und Pläne nach unseren Ideen umzumwandeln, sie mit neuem Inhalt zu durchtränken. Denn noch hat sich das Bild eines sozialistischen Erziehungsideals nicht deutlich losgelöst, ja wir stehen eben erst am Anfang der Entwicklung, die es einmal herausschälen soll. Das gleiche gilt von dem gesamten Gebiet der Volksbildung über
tion haben, hören? Ich habe mir eine Revolution immer ganz anders vorgestellt. Da fam es zu blutigen Straßenkämpfen, es wurde hingerichtet und geplündert. Von all diesen Dingen haben wir nichts gesehen. In Klettenberg spielte sich die Revolution folgendermaßen ab. In vielen Bäckereien wurde das Brot schon auf die neue Woche verkauft. Aber dank den Sozialdemokraten, die die Menschen zur Ruhe mahnten, ist es gekommen, daß sich alles so ruhig abgespielt hat. Es ist viel erreicht worden. Wilhelm von Gottes Gnaden mit 21 Herrschern und Herrscherchen ist gestürzt. Der Weg zur Demofratie ist da. Das Volk ist jetzt frei und kann selbst bestimmen, was es will oder nicht will.
Als wir nach all diesen Umwälzungen zum ersten Male wieder in die Schule kamen, da hielt Fräulein Hahn eine Rede, bei der sie zu heulen anfing. Sie betrauerte Wilhelm den Redseligen. Die übrigen Lehrerinnen waren auch alle furchtbar niedergeschlagen. Es ist ja auch eine furchtbare Zeit, in der wir alle zu büßen haben, was uns von den vorigen Herrschern eingebrockt worden ist. Aber nach der Meinung der Lehrerinnen und Schülerinnen sind das alles die Sozialdemokraten schuld. Ein vierzehnjähriges richtiges Kalb sagte mir, daß unsere Soldaten noch lange ausgehalten hätten, wenn nur die Sozialdemokraten noch wollten. Ein anderes Mädchen aus der zweiten Klasse fragte mich nach der ergreifenden Rede Fräulein Hahns, ob denn diese Unruhen und der Wirrwarr, den wir in Deutschland hätten, das Ideal der Sozialdemokratie wäre. Ich habe nur Quatschkopf zu ihr gesagt. Ich konnte mir im Augenblick nicht anders helfen, denn das sind alles noch zu große Kamele, die nicht für fünf Pfennig Ahnung haben. Sie sind auch gegen die Sozialdemokraten, ohne zu wissen, was diese denn eigentlich wollen. Fräulein Hahn ist auch gegen die Sozialdemokraten. Sie fennt aber noch nicht einmal das Erfurter Programm, worin doch steht, wofür die Sozialdemokratie eigentlich fämpft und was sie erreichen will. Sie hält aber nebenbei auch politische Vorträge und will die Frauen dadurch zum Wählen erziehen. Fräulein Hahn wollte vor ein paar Tagen das neue Programm der Sozialdemokratie haben. Das Zentrum und die Liberalen hätten ihr Programm doch umgeändert, und dasselbe dachte sie auch von der Sozialdemokratie. Da habe