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Die Gleichheit
über das Gesicht, durch die ganze Gestalt. Sechs waren's, drei sind gefallen. Der Bug hält, der alte Bauer muß aussteigen, und da sagt er noch:" Rot? Ich kann nicht, aber Zentrum wähle ich auch nicht wieder, ich wähle gar nicht."
In einem Versammlungslokal, einer Klosterschule, sind alle Siggelegenheiten entfernt. Schulter an Schulter stehen Frauen und Männer, um zum erstenmal eine Frau in ihrem Städtchen sprechen zu hören. Und dicht an meiner Seite steht eine alte Frau mit leuchtenden Augen, sie ist begeistert von unseren Idealen, von der ganzen Zeit, die ihr auch ein Recht im Staate gab. Andacht überkommt mich vor diesen reinen, begeisterten Blicken, und von mir springt dies Gefühl auf die Versammlung über. So stehen sie lauschend anderthalb Stunden. Sie wollen sozialistisch wählen, aber sie wollen auch mitarbeiten; sie wollen trotz Priester und Bann dem Wahlverein beitreten.
Und mit jungen Mädchen fahre ich zusammen, die in Schraubenfabriken und Hufeisenschmieden arbeiten. Sie sind blaß, abgearbeitet und bilden einen seltsamen Kontrast zu den rotwangigen, frischen Frauen und Mädchen der übrigen Bevölkerung des Sauer- und Siegerlandes. Wir sprechen über die Entlohnung für die schwere Arbeit: die Stunde 1 Mark. ,, Es werden schon überall die Frauen entlassen und die heimfehrenden Kriegsteilnehmer eingestellt," erzählt mir ein junges Mädchen mit einem sehr flugen bleichen Gesicht, aber wir haben noch unsere Arbeit in der Schraubenfabrik." Auf meine Frage, wie das käme, antwortet sie, daß die Männer nicht zu den Löhnen arbeiten würden, die ihnen gezahlt werden, sie müßte aber die Arbeit tun, solange es ginge, die Eltern brauchten den Verdienst. Als ich nach dem Alter fragte, erhielt ich die Antwort: Bald siebzehn Jahre."
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Von den Flugschriften und Broschüren, die ich ihr gebe, liest sie die Titel, sieht mich erstaunt und freundlich an, und mit warmem Händedruck scheiden wir. Unsere Namen kennen wir nicht, aber ich weiß, daß hier eine zielflare Genossin und eine feine Frau im harten Stampf ums tägliche Brot heranreift.
Noch herrscht im Westen das Zentrum, aber seine Macht ist im Schwinden. Die Frauen machen sich frei von dem Gewissenszwang, um den Menschheitsidealen zu dienen. Sind aber die Mütter der kommenden Generationen freie Menschen, wer will uns dann noch widerstehen?" Klara Bohm- Schuch.
Vor allem sei der Kampf; aber über allem sei die Liebe!
Bisher war die Frau des Mannes Weib; nun sei sie mehr: Genossin! Bisher war der Mann Gatte und Führer; nun sei er mehr: Genosse!
Die wahre Ehe, die wahre Liebe sei Lebensgenossenschaft.
Leben ist Kampf; vor allem sei der Kampf. Jeder Blick suche seinen Weg, aber Genossin sei die Liebe. Die Liebe blühe zwischen allen Wegen; zwischen allen Wegen sei der Blick eins. Denn auf allen Fluren blüht Schönheit. Über den Fluren jubelt die Liebe.
Ihr höret eure Herzen klopfen bei Arbeit und Rast, im Tanz und in der Sorge, im Dulden und in der Freude, in Lust und Leid. Aber der Liebe Herzklopfen ist der Stundenschlag neuer Schöpfung, schöpferisch kosmischen Glücks.
Am Wege schreitet die Liebe....
Mann und Weib; Genosse und Genossin.
Am Ziele liegt die Zukunft: der Sozialismus.
Nr. 10
Die Frau und die deutsche Scholle.
Die geistige Knechtschaft für uns Frauen ist zu Ende. Num gilt es, mit allen Kräften am Aufbau eines neuen Deutsch land tätig mitzuhelfen. Die neuen Rechte, die uns die Revolution gebracht hat, verdoppeln unseren Pflichtenkreis; denn das Stimmrecht, das wir erhalten haben, soll nicht etwa nur dazu dienen, daß sich durch unsere Teilnahme an der Wahl die Wählerzahl der politischen Partei verdoppelt, sondern unser Stimmrecht und unsere Wahlfähigkeit muß vor allen Dingen auch dazu helfen, unsere besondere Frauenfähigkeit zur Geltung zu bringen.
Wir müssen uns bewußt sein, daß wir für alles, das jetzt und in Zukunft geschieht, auch die Verantwortung mitzutragen haben. Nur durch Selbstverantwortung öffnet sich auch für uns Frauen der Weg zur Freiheit.
Das Ziel unserer Freiheit wurzelt in gesunden Lebensbedingungen, ohne sie bleibt alles fümmerlich. Das Jdeal gefunder Lebensbedingungen ist ein Heim in Luft und Sonne, ein Garten oder ein Stück Ackerland, wo wir all das, was uns freut und nährt, säen, pflanzen und ernten können.
Es wird sich ein Eigenheimt nicht von heute auf morgen und auch nicht für alle verwirklichen lassen. Aber es wollen ja auch nicht alle Menschen die Großstadt verlassen und deren Reizmittel entbehren. Aber gar manche von uns sehnen sich fort aus der Unruhe und dem Lärm der Großstadt und möchten gern draußen in der Natur ein neues Leben beginnen; deneit müssen wir dazu verhelfen.
Da die Mitarbeit der Frauen in der Gesetzgebung und Verwaltung durch das Wahlrecht gesichert ist, müssen wir sorgen, daß das Wohnungselend und die Ernährungsschwierigkeiten schleunigst durch Abwanderung aufs Land gemildert werden. Wer Landarbeit versteht oder erlernen will, wird draußen ein viel gesünderes und besseres Fortkommen für sich und seine Familie finden als in der Stadt. Die Landwirtschaft kann noch ungezählte Arbeitskräfte beschäftigen, und das Land bedarf vieler Arbeit, ehe es den Höhepunkt seiner Ertragsfähigkeit erreicht. Unzählige Hektar Moorboden können und müssen für unsere Ernährung aufgeschlossen und mußbar gemacht werden, wenn wir gesündere Lebensbedingungen haben wollen.
Die Verpachtung der„ königlichen" Domänen, die seither meist zu einem Spottpreis von etwa 10 Mt. für den Morgen an die Großagrarier erfolgte, darf nicht weiter verlängert werden, sondern diejenigen Domänen, deren Pachtvertrag jetzt abläuft, müssen sofort in Staatsverwaltung genommen wer den. In den Gebäuden dieser Domänen können ohne Schwierigkeiten für zehn bis zwanzig Familien gesunde Ein- und Zweizimmerwohnungen schnell eingerichtet werden. Man gebe auch von diesem Staatsbesitz sogleich fleine Parzellen von einigen Morgen Größe an geeignete Familien, die Landarbeit verstehen und die sich auf dem Lande seßhaft machen wollen, in Erbpacht ab und fördere den Kleinsiedlungsbau durch Bauzuschüsse. Dem Landwirtschaftsministerium ist ein Siedlungsamt anzugliedern, wo alle Siedlungsarbeit zentralisiert wird.
Wenn das neu eingerichtete Arbeitsvermittlungsamt des Landwirtschaftsministeriums denjenigen Arbeitslosen, die von der Großstadt zur Landarbeit hinausgehen, auch ein bis zwei Morgen Dienstland sichern und sie bei der späteren Ausgabe von Erbpachtland zuerst berücksichtigen würde, dann fänden sicher viel mehr Menschen und viel schneller den Weg aufs Land. Zur Vermehrung der Produktion tragen hohe Geldlöhne allein nicht bei, wenn man aber jeder Landarbeiterfamilie ein bis zwei Morgen Freiland zur eigenen Bewirtschaftung gibt, so wird dadurch zu einer vermehrten Produktion und zu besserer Ernährung wesentlich beigetragen.
Wir Frauen finden draußen auf dem Land auch viel bessere und gesündere Betätigung als in der Stadt. Und unsere schwächlichen Kinder werden sich draußen auch gesünder entwickeln als in der engen Großstadt. Die konstitutionelle Schwäche im Kindesalter ist nun und nimmer durch einen Ferienaufenthalt auf dem Lande zu beseitigen, sondern nur