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Die Gleichheit

den die mäßigen Fortschritte, die wir in der sozialen Reform bisher gemacht haben, auch nicht existieren."

Im Erfurter Programm der Sozialdemokratie sind die sozial­reformerischen Forderungen nur in großen Zügen wiedergegeben: nationale und internationale Arbeiterschutzgesetzgebung auf der Grundlage des Achtstundentags, Verbot der gewerblichen Arbeit von Kindern unter 14 Jahren, der Nachtarbeit, des Trucksystems, Ein­führung einer Sonntagspause, durchgreifende gewerbliche Hygiene, Überwachung aller gewerblichen Betriebe, Erforschung und Rege­lung der Arbeitsverhältnisse durch Arbeitskammern und Arbeits­ämter, übernahme der gesamten Arbeiterversicherung durch das Reich und maßgebende Mitwirkung der Arbeiter an der Verwal­tung, Sicherstellung des Koalitionsrechts, unentgeltliche Rechts­pflege und Heilbehandlung.

Der Würzburger Parteitag 1917 hat dann ein umfassendes Pro­gramm für die Übergangszeit festgelegt, ohne natürlich ein so fata­strophales Kriegsende vorauszusehen. Er ging von dem Standpunkt aus, daß die Arbeitskraft des einzelnen der gesamten Volkswirt­schaft durch sorgsame Pflege und Schonung erhalten werden müsse; also: Erhaltung und Entfaltung alles menschlichen Lebens, Be­seitigung und Fernhaltung alles dessen, was die Entfaltung und größtmögliche Entwicklung hindert, Schutz der menschlichen Ar­beitskraft, der höchsten Trägerin alles kulturellen Lebens, Förde­rung alles dessen, was der Arbeits- und Kulturentwicklung dient, und damit Schuh jedem einzelnen."

Die besonderen Forderungen zum Ausbau der sozialen Gesetz­gebung waren folgende: Ausdehnung des Schutzes der Frau und Mutter, Weiterführung der Kriegswochenhilfe bis zur Einführung einer Mutterschaftsversicherung, Ausbau der Säuglingsfürsorge zu einer Kleinkinderfürsorge, Ausbau des Verbots der Kinderarbeit, Unterstügung der Heimarbeiter und Unterstellung der Heimarbeit unter die Gewerbeaufsicht, Erhöhung der Versicherungsrenten und der Einkommensgrenze für die Versicherungspflicht, Ausgestaltung der gesundheitspflegerischen Tätigkeit der Krankenkassen, Ausdehnung der Unfallversicherung auf alle Zweige der Produktion, fommunale Ge sundheitsämter zur Bekämpfung aller gesundheitlichen Schädigung und Erforschung ihrer sozialen Ursachen. Den kommunalen Gesund­heitsämtern soll die Kleinkinderfürsorge, die Tätigkeit von Schul­ärzten, die Fürsorge für Gebrechliche, Blinde und Taubstumme unterstellt werden; sie sollen mit den kommunalen Wohlfahrts­ämtern( Armen- und Jugendämtern) und den Arbeitsämtern zu­sammenarbeiten. Die Armenpflege soll auf ein höheres fittliches Niveau gestellt werden, ihr soll der beschämende Charakter durch das Unterstützungswohnsitzsystem und durch die politische Rechtlos machung genommen werden. Heraufsetzung des strafmündigen Alters und Schaffung der Möglichkeit, Jugendliche wegen fleiner Delifte nicht vor den Strafrichter zu bringen, Festlegung der Maßnahmen zur gesundheitlichen und sittlichen Hebung der Jugend in einem Reichsjugendgesetz sind die Forderungen auf dem Gebiet der Jugend­fürsorge. Auf demselben Gebiet liegt schließlich die Einsetzung von Wohnungsämtern zur Kontrolle der Wohnungen und des Wohnungs­baus. Für Kriegsbeschädigte, witwen und-waisen wird der Aus­bau der Renten gefordert, für die ersteren die Schaffung von Ar­beitsmöglichkeiten und für die Striegsteilnehmer die Wiedereinstellung in ihre frühere Arbeitstätigkeit. Sämtliche Arbeiter über achtzehn Jahren sollen nicht mehr als acht Stunden täglich arbeiten, für die Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter soll die Arbeitszeit be= sonders eingeschränkt werden. Das Koalitionsrecht soll von allen Schranken befreit und ein allgemeines Arbeiterrecht geschaffen wer­den, das der heutigen Moral und Rechtsanschauung, unter Wahrung des Persönlichkeitsrechtes des einzelnen Arbeiters, entspricht. Für die Tarifverträge soll durch ein besonderes Arbeitstarifgesetz eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, in allen Betrieben sollen Arbeiterausschüsse gewählt werden, die die Interessen der Arbeiter in den Betrieben vertreten. Es sollen örtliche Einigungsämter ge= schaffen werden zur Schlichtung gewerblicher Streitigkeiten. Sie sollen für größere Gebiete und schließlich für das ganze Reich zu­sammengeschlossen werden. Besondere Berufe sollen auch im Ar­beiterrecht besonders berücksichtigt werden. Die Arbeitsvermittlung soll einheitlich geregelt werden. Die örtlichen Vermittlungsstellen sollen zu gleichen Teilen aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern be­stehen, unter Leitung eines unparteiischen Vorsigenden. Die einzelnen Arbeitsämter sollen zu Bezirksarbeitsämtern zusammiengelegt wer den. Zur Erforschung und Durchführung der sozialpolitischen Auf­gaben soll ein Reichsarbeitsamt gebildet werden. Ein unabhängiger Gerichtshof soll die Rechtsfragen auf sozialpolitischem Gebiet und die Streitfragen in der sozialen Versicherung entscheiden.

Daß diese Forderungen auf sozialreformerischem Gebiet einen großen Fortschritt bedeuten, ist flar. Sie würden die ganze soziale

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Fürsorge auf einen gesetzlichen Boden stellen. Sie geben die Mög­lichkeit der öffentlichen Kontrolle und dadurch der Einwirkung der Öffentlichkeit. Die Dbjette der sozialen Fürsorge würden ihr zu­stimmen. Beides, das Vertrauen der Arbeiterschaft und die Kontrolle durch die Öffentlichkeit, sichert der Arbeit derjenigen, die die Sozial­fürsorge prattisch ausüben, eine erfolgreichere Wirksamkeit, als das bisher der Fall sein konnte. ( Schluß folgt.)

Die bürgerliche Frauenbewegung und die Frauen.

Auch die Mitglieder der bürgerlichen Frauenvereine in ihrer großen Mehrzahl standen den Forderungen der Frauen ebenso ablehnend gegenüber wie die Männer der bürgerlichen Par­teien. Von einer Heinen Anzahl linksstehender Frauen ab­gesehen, überboten sich die bürgerlichen Frauen förmlich darin, auf ihre eigenen Geschlechtsgenossinnen zu schmähen, sie her­unterzumachen, ihnen alle Rechte und alle Freiheiten zu ver­wehren.

Statholische Frauen brachten es fertig( in Starlsruhe 1909), dagegen zu protestieren, daß der Mann sich die Gleichstellung der Frau gefallen lassen müsse". Als auf dem bürgerlichen Frauenfongreß 1912 die Stimmenrechtlerin Frau Cauer für das gleiche Wahlrecht eintrat, wurde sie deshalb auf das heftigste angegriffen. Die Referentin, eine Frau Fischer- Eckert, sprach von Phrasen" und dem Gefasel" unantastbarer Menschenrechte. Bekannt ist ja auch die Stellung der bürger­lichen Frauenbewegung während des Krieges: jede Arbeit für den Frieden war ihnen unvereinbar mit der vaterländischen Gesinnung". Wollten sie doch sogar die Frauen, die auch während des Krieges den Mut fanden, sich zum Frieden zu bekennen und für den Frieden einzutreten, aus ihrer Be­wegung ausschließen. Nicht genug, daß die deutschen Männer gedrillt wurden und unter dem Zwange des Militarismus seufzten: Else Lüders   meinte 1915, auch die Frauen gebrauchen etwas Potsdam  "! Als auf dem Frauenkongreß 1912 eine Diskussionsrednerin es wagte, die traurigen Verhältnisse der Strankenpflegerinnen zu beleuchten- jenes Frauenberufs, der wirtschaftlich und sozial am traurigsten gestellt ist, da wurde sie vom Referenten im Schlußwort der Verdächtigung vater­ländischer Einrichtungen" geziehen!

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Wie haben die bürgerlichen Parteien stets die Frauenrechte bekämpft! Wie wurden die Frauenrechtlerinnen und Stimm­rechtlerinnen von ihnen verspottet und verhöhnt! Und heute? Da sind sich diese selben Frauen gut genug, von den Par­teien, die bisher nichts von ihnen wissen wollten, als Aus­hängeschild und als Lockmittel zu dienen.

Eine Frau, die noch Stolz und Selbstgefühl besitzt, kann und darf das nicht mitmachen. Eine Frau, der es wirklich Ernst ist um ihre Rechte und Forderungen, die gehört nicht in die Reihen jener Verräter am Frauenrecht. Sie gehört zu uns, in die Reihen der Partei, die allein stets für die Frauen eingetreten ist: der Sozialdemokratie.

Zukunftsdant.

Karl Hendell.

Den Kämpfern, die uns ihr Blut geweiht, Dankt nur der Schatz der Gerechtigkeit. An ihren Kindern laßt es uns lohnen. Im Haus der Freiheit sollen sie wohnen.

Die Ortsgruppe Berlin   des Zentralverbandes der Haus­angestellten sucht möglichst sofort eine

Geschäftsführerin.

Es wird nur auf eine agitatorisch und organisatorisch tüchtige Kraft reflektiert. Meldungen sind schriftlich unter Bewerbung" an Luise Kähler, Berlin   SO 16, Engelufer 21 III zu richten.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Marie Juchacz  , Berlin   SW 68. Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nacht. G.m.b.8. in Stuttgart  .