Nr. 16

29. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen

Mit der Beilage: Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 15 Pfennig.

Durch die Post bezogen viertelfährlich ohne Bestellgeld 95 Pfennig; unter Kreuzband Mr. 1.45.

Stuttgart  1. Mai 1919

Zuschriften sind zu richten an die

Redaktion der Gleichheit, Berlin   S2 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morigplag 14838. Expedition: Stuttgart  , Furtbachstraße 12.

Des deutschen   Volkes Maientag!

Zum erstenmal grüßen wir als freies Volt den 1. Mai, und zum erstenmal gehört unser Früh lingsfesttag dem deutschen   Volke. Bis hierher gehörte er uns, der Arbeiterklasse; wir hatten ihn uns ertrozt und erkämpft. Er war das Wahr zeichen unseres starken Willens, er war der Meilenstein für den Aufstieg zum Sozialismus!

In den furchtbaren und jammervollen Jahren des Krieges war er der Tag des Trostes, an dem sich immer wieder die aage Hoffnung hob, daß trotz allen Niederbruchs dennoch ein­mal ein Völkermaientag kommen werde; der Anfang einer Zeit, welche die Menschheit nicht wieder durch Blut schreiten lasse. Ewig ist das Leben. Es vergeht und kommt wieder in jedem Jahre von neuem. Unwandelbar ist das heilige Naturgesetz, welches Knospen, Blüten und Früchte bringt, das die Sehn­furcht und den Glauben an das Gute im Menschenherzen immer von neuem zu reiner Flamme entzündet.

Und nun soll der Maitag über alle Volksgenossen seine Biten streuen. Nun ist er ein Ausdruck des Sieges der Ar­beiterklasse, der allen Menschen in deutschen Landen ein Sagen werden soll, geworden. Zwar feiern viele den Tag noch nicht mit uns, weil sie seinen Sinn nicht begreifen, weil ihnen unsere Ideale so fremd und fern sind. Ihnen war Waffengeklirr schönere Musik als uns die Symphonie des Lebens, des Friedens, der Schönheit, welche der Mai ver­fündet. Aber es ist an uns, dafür zu wirken und zu schaffen, dah einst alle Menschen unseren Festtag verstehen und jubelnd mit uns dem Ziele entgegenschreiten.

Der Wille der deutschen   Arbeiterklasse 3er brach im Novembersturm das alte morsche Gebäude der Monarchie, zerschlug die Ketten, die das deutsche Bolt politisch und moralisch fesselten. Der Wille des frei­gewordenen Volkes schuf durch die Nationalversammlung die deutsche Republik. Das ist das Ergebnis des Jahres, wenn wir zurückblicken an diesem 1. Mai. Wenn wir vorwärts­schauen, sehen wir, ragend über einem Trümmerfeld, leuchtend und unverrückbar unser legtes Ziel: den sozialistischen   Staat. Nun gilt es, den Weg freizu machen. Wollten wir über die Trümuner hin zum Ziele stürmen, dann würden es vielleicht einige erreichen, aber die Gesamtheit unseres Volkes müßte elend, kraftlos zusammenbrechen. Rückwärts gibt es feinen Weg und darf es keinen geben, weil er uns in die Wüste zurückführen würde, die wir eben durchwandert haben. Darum müssen wir alle mit Hand anlegen, ihn nach vor­wärts zu schaffen: aufräumen und aufbauen. Und bei diesem Wiederaufbau muß die Arbeiterklasse so die Führung übernehmen, wie sie dieselbe beim Niederbruch übernommen hatte. Das ist ihre historische Auf­gabe, und wenn sie sich reif genug erweist, dieselbe zu voll­enden, dann wird sie in der Geschichte ewig leben als die Er­löferin der Menschheit und Wegbahnerin des Menschenglücks.

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Und wer ist mehr zur Mithilfe an diesem großen Werke berufen als wir Frauen 1 Durch die blutigen Gründe des Völkerkriegs mußten wir wandern; mit Ketten des Schmerzes aneinandergeschmiedet, gingen wir über vier Jahre den Kreuzesweg. Wir waren Unfreie und mußten schweigen; wohl gellten Schreie von unseren Lippen, aber unsere Unterdrücker achteten ihrer nicht. Bis die Revolution auch uns zu Freien unter den Freien machte. Die Arme streck­fen wir dem Licht entgegen, als die Last von unseren Schul­tern fiel, und den Blick erhoben wir, um die Sonne zu suchen. Es schien, als wolle Haß und Feindschaft versinken auf ewig. Dis beide sich von neuem emporrecten, sie hatten zu lange die Welt regiert, um mit einem Anlauf überrannt zu werden. Wir mußten es erleben, daß der Bruderkrieg im eigenen Land raste, nicht uns und unsere Kinder schonend; wir mußten den Kelch des Leides leeren bis auf den Grund.

Nun aber ist es genug. Wir wollen, daß die Liebe wieder durch die Welt gehe, die Wunden heilend, die der Haß geschlagen. Wir wollen, daß das Leben über den Tod triumphiert. Wir Frauen sind ewig Suchende auf Erden! Wir suchen das Land des Glückes, das Land unserer Kinder! Darum sind wir die Künder der Zukunft, die in unseren Kindern lebt. Und an dieser Zukunft wollen wir bauen. Liebe gilt es in die jungen Seelen zu pflanzen; Liebe zum Leben als dem Urquell aller Schönheit und Wahrheit; Liebe zur Natur, die uns alle Schönheit offenbart, und Liebe zum Menschen, als dem beseelten Werke der Natur.

Aus dieser Liebe muß die Achtung vor dem Werke der Menschen, der Arbeit, quellen. Denn nur treue, Werte schaf­fende Arbeit sichert uns den wirtschaftlichen Aufstieg, ohne den der geistige, sittliche Aufsteg undenkbar ist. Wir wollen aber hinauf zu den Höhen des Menschentums.

Wir sind nicht frei, wenn nur unsere äußeren Stetten zer­brachen. Erst wenn wir Menschen voll verstehender Liebe sind, Menschen, die den Frieden wollen um des Segens willen, den er bringt; Menschen, die sich ihrer Schwäche bewußt sind und daran arbeiten, besser zu werden, erst dann sind wir frei.

Ein solches Volf von Freien sollen unsere Kinder sein, und ihr Schwestern jenseits der Gebirge und der Meere, ihr Schwestern in aller Welt, mit denen uns dieselbe Mensch­heitssehnsucht eint, helft, daß wir alle, alle das Land unserer Kinder finden. Wir wollen uns die Hände reichen in ber­Söhnender Liebe. Nur noch einen Haß soll es geben in der Welt: den Haß gegen die Unterdrückung des Menschen­tums, den heiligen Haß gegen den Krieg.

Wir wollen den Frieden! Helft, ihr Schwe stern in allen Landen, daß dem deutschen Wolke die Möglichkeit gegeben wird, diesen heiligen Willen zur Tat werden zu lassen. Das ist unser Gruß an unseres Volkes erstem Maientag! Klara Bohm- Schuch.