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Die Gleichheit

das Gefühl, daß auch sie mitarbeitet am Aufbau des neuen Deutschlands   und damit an der Befreiung des ganzen Volkes. An die männlichen Kollegen, die eine reiche parlamenta rische Erfahrung hinter sich haben, richten wir die Bitte: Lernt auch ihr uns verstehen. übt Nachsicht mit uns, wenn Fehler und Mängel bei der Beurteilung der jeweiligen Fra gen sich einstellen. Seid uns nicht nur Kollegen, sondern auch gute Lehrmeister, ihr werdet stets arbeitsfreudige Kollegin nen und Schülerinnen haben.

Allen, die es angeht, sei dieser Wunschzettel gewidmet. Johanna Reige.

Die Frau im Erwerbsleben und der Maigedanke.

Seit zum erstenmal im Jahre 1891 das deutsche Prole­tariat seinen Maientag feierte, haben auch alljährlich die Frauen am 1. Mai ihre Stimme erhoben für die Gleichberech tigung der Geschlechter. Aber dieses Verlangen nach Gleich heit galt nicht nur dem politischen Leben; es galt ebensosehr der wirtschaftlichen Befreiung, und in diesem Streben wußten die Frauen der arbeitenden Klassen sich eins mit den Män­nern, hier kämpften sie, mehr vielleicht noch als im politischen Kampfe, Schulter an Schulter mit ihren Arbeitsbrüdern.

Nun hat, ehe wir es zu hoffen wagten, die Revolution uns Frauen die politische Gleichberechtigung gebracht. Durch einen Sumpf von Blut und Zerstörung, von Völkerhaß und Völker­mord mußten wir waten, unsagbares Herzeleid ertragen, ehe der Tag unserer Freiheit heraufdämmern konnte. Und hat er uns nun wirklich glücklich gemacht? Ist besonders die Frau in der Arbeitsbluse, in der Fabrik, an der Nähmaschine, im Verkaufsladen oder im Bureau wirklich froh? So groß wie nie zuvor ist infolge des Krieges die Zahl dieser Frauen ge­worden, und was hat nun die Revolution ihnen von dem ge­bracht, für das wir alljährlich am 1. Mai eingetreten sind?

Der Krieg hatte ihr Los infolge der Aufhebung der Ar­beiterschußbestimmungen härter als je gestaltet; diese Schutz bestimmungen sind sofort wieder in Kraft gesezt worden. Der achtstündige Arbeitstag, eine unserer vornehmsten Forde rungen jedes 1. Mai, wurde durchweg eingeführt; eine ganz besondere Erleichterung für all die vielen Frauen, die neben ihrer Berufsarbeit für Hausstand und Kinder zu sorgen haben. Aber wohl die größte Errungenschaft ist die Erwerbs­Iosenunterstüßung. Durch den entsetzlichen Krieg und durch fein unglückliches Ende für Deutschland   ist unser Wirtschafts­leben vollkommen zusammengebrochen, können die großen Be­triebe teilweise ihre Arbeiter und Arbeiterinnen, ihre An­gestellten nicht weiterbeschäftigen. Hinzu kommt, daß die während des Krieges eingestellten Frauen und Mädchen den heimgekehrten Kriegern ihren Platz einräumen müssen. So ist die Schar der weiblichen Arbeitslosen gewaltig groß; ihnen allen würde Hunger und Verzweiflung drohen, hätte nicht der Staat seine Pflicht erkannt, für seine Mitbürger, soweit er ihnen nicht Arbeit verschaffen kann, zu sorgen.

Freilich, vieles bleibt noch zu wünschen übrig und wird auch so lange zu wünschen übrigbleiben, als der Kapitalis. mus nicht vollkommen dem Sozialismus Plaz gemacht hat. Aber dieses unser Ziel kann nicht von heute auf morgen er­reicht werden; wir leben in einer Zeit wirtschaftlicher Zer­rüttung, wirtschaftlichen Niederganges. Das ist jedoch kein Grund, an einer besseren Zukunft zu verzweifeln, und wir sollten das, was wir erreicht haben, nicht vergessen über dem, was noch erkämpft werden muß.

Wenn deshalb der diesjährige 1. Mai für uns Frauen ein Festtag sein wird, der besonders dem Siege des Gedankens voller Gleichberechtigung der Geschlechter gewidmet ist, so haben gerade die erwerbstätigen Frauen allen Grund, hieran teilzunehmen. Wenn jezt in Weimar   eine Neuregelung des Arbeiterrechtes vorgenommen wird, so haben die Frauen die Gewißheit, daß auch die weiblichen Volksvertreter mit daran

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arbeiten und daß deshalb ihre besonderen Bedürfnisse nicht vergessen werden. Wenn in der Gemeinde soziale Einrich­tungen getroffen werden, so werden die weiblichen Stadt­verordneten dafür sorgen, daß zuerst der arbeitenden Frauen gedacht wird, daß ihnen die Sorge für ihre Kinder soweit wie möglich erleichtert wird, daß Einrichtungen geschaffen werden, die ihnen die Berufsarbeit zur Freude anstatt wie bisher zur Last machen.

Freilich sind alle diese Aufgaben in der gegenwärtigen schweren Lage Deutschlands   nicht leicht zu lösen. Aber wie wir alle erkannt haben, daß die Arbeitskraft, also auch die weibliche Arbeitskraft, das einzige Kapital für unser Vater­land ist, und daß dieses Kapital soweit wie möglich geschützt und in den Dienst der Allgemeinheit gestellt werden muß, so sind sich auch die weiblichen Volksvertreter dessen bewußt, daß es ihre vornehmste Aufgabe sein muß, den arbeitenden Frauen ihre Pflicht zu erleichtern. Und deshalb bedeutet der Sieg des Frauenwahlrechtes in Deutschland   auch für die erwerbs­tätige Frau einen Schritt vorwärts auf dem Wege der Frei­heit und Gleichheit. Luise Schroeder.

Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit.

Sowohl die alten Griechen wie die Germanen hatten Schicksalsgöttinnen. Die einen nannten sie Parzen, die anderen Nornen. Sie saßen am Rocken und spannen die Fäden der Weltgeschichte, schürzten die Knoten der Mensch­heitsgeschicke. Mir erscheint es von besonderer Bedeutung, daß unsere Vorfahren die Gestaltung des Schicksals in Frauenhände legten.

Das Werk, das uns einen genauen überblick gibt über die Bedeutung des Fraueneinflusses in der Geschichte, ist eigent­lich noch nicht geschrieben, wird auch kaum geschrieben werden können, denn was wir an geschichtlichen überlieferungen haben, das ist ja fast immer mehr eine Geschichte der Fürsten  als eine Geschichte der Völker selbst. So wissen wir von einer Zahl hervorragender Frauen, die als selbständige Regen. tinnen oder als Gattinnen regierender Fürsten weitgehenden Einfluß ausübten. Wir wissen von Frauen, die, im Glanz der Throne, überragend durch Geist oder strahlend in Schönheit zum Heil oder Unheil der Völker ihre Macht verwendeten.

Harte Arbeit, unaufhörlicher Kampf ums tägliche Brot aber erschwerte mehr noch den Frauen als den Männern des Volkes die Möglichkeit zum geistigen Aufschwung, läßt sie stumpf und gleichgültig erscheinen, während gewiß auch viele unter ihnen waren, die sich heraussehnten aus den ihnen so eng gesteckten Grenzen. Ihre Beteiligung bei allen Rämpfen, die der Befreiung der Menschheit galten, war vermutlich viel größer als der Anteil, den sie nach den Berichten der Chro­nisten daran nahmen.

Warum das so ist, beruht einerseits auf dem Mangel jeg­lichen öffentlichen Rechtes, das den Frauen von jeher fehlte und sie zur Hintertreppenpolitik nötigte. Vor der franzö­ sischen   Revolution zum Beispiel waren nach Montesquieu   die Frauen ein Staat im Staate: Wer die Minister handeln sieht und die Frauen nicht kennt, die sie beherrschen, ist wie jemand, der eine Maschine arbeiten sieht, aber die Kräfte nicht kennt, die sie bewegt."

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Andererseits erklärt Zimmermann, der bekannte Geschicht­schreiber des Bauernkriegs, die Vergessenheit, der die Namen der Frauen aus dem Volfe anheimfielen, sehr schön in seinem Bericht über die schwarze Hofmännin, eine der Heldinnen des Bauernfriegs: Schwarzes unterdrücktes Weib aus der Bauernhütte am Neckar   mit deinem glühenden Herzen und deiner Liebe zum Volfe," schreibt er, wie lebtest du in Sage und Geschichte, stammtest du nicht aus einer Bauernhütte oder wäre wenigstens die Sache, der du dientest, nicht die Sache der Armen und Unterdrückten." Diese schwarze Hof­