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Die Gleichheit

schwestern, wie sie es euch immer waren und sind, damit immer größer, immer fester und stärker werde der Kreis der werktätigen Frauen, die zielbewußt arbeiten, die Menschen freier, gesunder und glücklicher zu machen. Schwester Hedwig Goldberger.

Die Frauenbewegung des Auslandes

Die Humanité" veröffentlicht zum französischen Frauentag fol­gende Resolutionen:

1.

Die anläßlich des Frauentags am 27. April 1919 vereinigten sozialistischen Frauen senden ihren schwesterlichen Gruß den Ge­nofsinnen der ganzen Welt, insbesondere denen, die in den revolu= tionären Ländern an der Seite des Mannes gekämpft und die Er­langung einer besseren Menschheit mit ihrem Leben bezahlt haben. Sie verurteilen die gegenrevolutionäre Politit, die von der fran­ zösischen Regierung gegen die Staaten getrieben wird, die die Gleichheit der Geschlechter bereits verwirklicht haben.

Demzufolge erwarten sie von den sozialistischen Abgeordneten, daß sie fortfahren in der Bekämpfung der Intervention in Ruß­ land . Solidarisch mit den Müttern, deren Kinder zu Tausenden starben als Opfer der Wirtschaftsblockade, fordern sie in gleicher Weise die Abgeordneten auf, einen energischen Feldzug zu unter­nehmen, damit schnellstens diese unmenschliche und heimtückische Verlängerung des Krieges beendet wird.

2.

Die zum Frauentag am 27. April 1919 vereinigten sozialistischen Frauen fordern die sofortige Amnestie, Aufhebung der Zensur und Wiederherstellung der Versammlungsfreiheit.

Sie protestieren gegen die Schwierigkeiten, die von der Regie­rung den französischen Delegierten bereitet wurden, die sich zu der Konferenz des internationalen Frauenausschusses für dauernden Frieden nach Zürich begeben sollten.

Sie begrüßen das Werk der Befreiung der Frau und die Morgen­röte einer neuen menschlichen Gesellschaft, erneuert durch die Kraft des im Sozialismus vereinigten Mannes und Weibes.

Schweiz . Der Kanton Neuchâtel hat sich für das Frauenstimm­recht ausgesprochen.

Polen . An den Arbeiten der konstituierenden Versammlung nahmen fünf Frauen teil. Ihre Vorschläge wurden auf das wärmste auf­genommen.

Vereinigte Staaten . Der Stimmrechtsgedante marschiert unauf haltsam. Die Frauen haben jetzt in 25, das heißt der Mehrzahl aller Bundesstaaten das Recht, an der Präsidentenwahl teilzunehmen.

Dänemark . Ein Gesezentwurf, die Zulassung der Frauen zu allen Staats- und Gemeindeanstellungen betreffend, wurde einer parla­mentarischen Komission überwiesen. Den Vorsiz dieser Kommission, hat eine Frau.

Belgien . Das erhoffte Wahlrecht wird den Frauen nur sehr be­schränkt gewährt, nämlich nur den Witwen und Müttern der vom Feind getöteten Soldaten.

Frankreich . Bei der Debatte über die Wahlrechtsreform lehnte die Kammer zweimal Verbesserungsvorschläge ab, die das Frauen­stimmrecht betrafen.

Tagebuchblätter aus Berlin .

Berlin , den 8. Mai 1919. Seit dem 2. Mai tagt hier der Friedensausschuß. In Weimar wurde inzwischen an der Verfassung und im Haushaltausschuß gearbeitet. Nachdem ein Teil der Friedensdelegation unter Füh­rung von Brockdorff- Ranbau nach Versailles unterwegs war, trat, wie vorgesehen, die neunte Kommission der Nationalversammlung zusammen. Ihre ersten Arbeiten standen unter dem Eindruck des unwürdigen Wartens unserer Delegation in Frankreich . Alle mög­lichen anderen Dinge, nur nicht der zu erwartende Vertrag boten Verhandlungsstoff. Man wurde das Gefühl nicht los, daß die ner­vöse Spannung des Abwartens krampfhaft zum Reden über an fich wichtige, im Augenblick aber sehr unwichtige Dinge zwang. Diese nervöse Redelust, hört auf, nachdem gestern der Reichswirt­schaftsminister Schmidt Mitteilungen über unsere Ernährungs­lage, Erzberger über die Finanzierung unserer Lebensmittelein­fuhr und Gothein über den Stand unserer Reichsschäße" machten. Mit voller Wucht legt sich in der heutigen denkwürdigen Sißung des Friedensausschusses die Schwere des Augenblics, die Grau­

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samkeit der im Friedens" vertrag niedergelegten Punkte auf unsere Seele. Der Ministerpräsident und sämtliche Minister sind erschienen. Wir stehen am Grabe unseres Volkes, wenn der Friedensvertrag Wahrheit wird", so greife ich einige Worte aus den Ausführungen Scheidemanns heraus. Wir wußten es ja, daß man im Lager der Entente Deutschland schwer treffen wollte. Die uns vorliegenden Vertragspunkte aber übertreffen jede im schwärzesten Pessimis mus einst geäußerte Ansicht.

Wir sind ein totes Volt, wenn... Die Nationalversammlung tritt am 12. Mai in Berlin zusammen.

Den 9. Mai 1919.

Die Mitglieder der Fraktion, die heute schon eintrafen und die bereits in Berlin vorhandenen versammeln sich zu einer Sigung. Die Landsmannschaften der bedrohten Gebiete geben ein Bild von der Volksstimmung dort.

Den 10. Mai 1919.

Die Fraktion tagt mit den preußischen Kollegen in der alten Universität. Wir sind bekanntlich in Berlin froß des geräumigen Reichstagsgebäudes obdachlos. Die Aussprache ergibt eine ein­mütige Auffassung der Dinge, aber wesentliche Meinungsunter­schiede in der Taktik. Man legt sich nicht fest, denn am Montag fann die Situation schon wieder verschoben sein.

Den 12. Mai 1919, vormittags.

Heute tagen wir im Saale unserer Kollegen im preußischen Ab­geordnetenhaus. Das nochmalige Zusammenkommen ist sehr gut, " Denn die Situation hat sich verschoben". Die Fraktion kennt heute einen größeren Teil der furchtbaren Friedens" bedingungen.

Den 12. Mai 1919, nachmittags. Berlin , das sich sein schönstes Frühlingskleid angezogen hat, er­lebt den Tag der Nationalversammlung . Im Trubel des Geschäfts­lebens merkt man nicht viel von Spannung und besonderer Auf­regung. Aber in der Bahn, auf der Straße, in den Läden, beim Vorbeigehen, in den Lokalen, das Wort vom Friedensvertrag schwirrt umher.

Vor der abgesperrten Universität stehen viele Menschen.

Professor Kahl begrüßt die Nationalversammlung im Namen der Berliner Universität. Das Untertauchen in die Vergangenheit, das Erinnern an Fichte, dessen Reden an die deutsche Nation im Wandgemälde der Aula dargestellt sind, passen in den Tag. Mi­nisterpräsident Scheidemann, der uns nie so alt erschien, wie heute, spricht mit bezwingender Einfachheit. Minutenlanger Beifall unter­bricht ihn, als er den Vertrag als unannehmbar bezeichnet. Sein Vortrag erschüttert, ist frei von jeder Phrase. Nach ihm spricht für die preußische Regierung Ministerpräsident Hirsch, aus dessen flaren Sätzen wir hervorheben: Lieber tot als Sklave." Hermann Müller ist unser Fraktionsredner, der der Bedeutung der Stunde in unse­rem Sinne den rechten Ausdruck gibt. Nach Gröber vom Zentrum spricht Genoffin Bohm- Schuch. Ihre von heiliger Heimatliebe, von innigstem mütterlichem Empfinden getragene Rede findet hoffent­lich widerhall bei allen Frauen in den Ententeländern, die Feindinnen nicht nur des blufigen Krieges, sondern auch Fein­Sinnen des langsamen Hinmordens von Kindern und Frauen sein müssen.

Alle, die nachher noch ihre Stimme zum Protest erheben, eint die Liebe zum Vaterland. Es geht nicht ohne Mißtöne. Denn mancher ist unter den Rednern, dem man das Recht absprechen möchte, in dieser Stunde von einer Vergewaltigung Deutschlands zu sprechen. Die Stresemann und Schulz( Bromberg ). Nach Haase, der sich im zweiten Teile leider verflacht, legt die zweite Frau ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Vaterland ab: Frau Abgeordnete Weber vom Zentrum.

Herr Professor Quidde , der weltbekannte Pazifist, spricht glän­zend. Hoffentlich hallen seine Worte besonders im neutralen Ausland wider. Dann nimmt der Präsident zum Schluß das Wort. Das Haus ist hauchstill. Von tragischer Größe ist der Appell an das internationale Christentum. Ja, wo ist dies Christentum?

Hier hätte der Schluß einsehen müssen! Die dann unterlaufen­den Säße von Deutschlands Unschuld waren Mißtöne. Und darum ging der tiefe und wahrhafte Gehalt der Prophezeiung, daß einst die Enkel eines versflavten Volkes gewaltsam Ketten brechen könn­ten, im Mißverstehen unter.

Aber aus allem schält sich der Wille zum gerechten Protest. Den soll das Ausland hören! Den muß es hören! Dem Präsidenten wird die nächste Einberufung des Hauses über­lassen. Elisabeth Röhl . Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bohm- Schuch, Berlin SW 68. Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.H. - in Stuttgart .