Nr. 20
Die Gleichheit
fie soll fortan nicht nur als Verteidigerin, sondern auch als Richterin des jugendlichen Delinquenten fungieren.
Mit diesem Schritt wäre schon vieles erreicht, und wir wären vielleicht nicht mehr gezwungen, den Jugendlichen gegenüber jenes Korrektionsmittel anzuwenden, das seiner besonderen Schwere halber an dieser Stelle erwähnt und hervorgehoben sein soll, nämlich die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt.§ 56 bestimmt nämlich, daß der wegen mangelnder Einsicht Freigesprochene, falls er nach dem Urteil nicht seiner Familie überwiesen wird, solange in der Anstalt zu behalten ist, als die der Anstalt vorgesetzte Verwaltungsbehörde es für erforderlich erachtet, jedoch nicht über das bollendete 20. Lebensjahr. Und sogar dem Verbrecher" unber 12 Jahren kann das gleiche Geschick zuteil werden; auch er kann, wenn durch Beschluß des Vormundschaftsgerichtes die Begehung der Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt ist, in eine Erziehungsoder Besserungsanstalt gebracht werden. Für den Richter, der die Unterbringung anordnet, ist die Angelegenheit mit der Verkündung des Urteils erledigt; wer sich aber einigermaßen mit den Wirkungen dieser Besserungsanstalten auf den Charakter der Jugendlichen beschäftigt und sich die Mühe gegeben hat, den Jugendlichen vor der Unterbringung in die Anstalt und nachher einer Untersuchung seines Charakters zu unterziehen, der wird mit Schaudern die in vielen Fällen vernichtende Wirkung dieser Anstalten auf den sittlichen Charakter des Menschen wahrnehmen.
Besseres fordern bedeutet nicht Gutes ablehnen. Deshalb sei an dieser Stelle auf die positive Mitwirkung von Frauen vor den Jugendgerichten hingewiesen, die durch die Zentrale für Jugendfürsorge" ins Leben gerufen worden ist.
Unsere Forderung nach Zulassung von Frauen als Verteidigerinnen der Jugendlichen ist in gewissem Umfange bereits heute erfüllt. Auf Antrag der Eltern bzw. des gesetzlichen Vertreters ist es nämlich möglich, dem Jugendlichen eine weibliche Helferin zur Seite zu stellen, die in dem Jugendlichenverfahren als Wahlverteidigerin auftritt. Es ist ihre Aufgabe, weniger das formal juristische, als das psychologische Moment zu betonen und die Kenntnis, die sie sich über das Vorleben des Jugendlichen aus dem persönlichen Verkehr mit ihm, sowie aus gründlichem Aktenstudium angeeignet hat, diesem nuzbar zu machen.
Doch hiermit ist die Mitwirkung der Frau im Jugendlichenverfahren noch nicht beendet. Sie besitzt nämlich ein weiteres Mitwirkungsrecht, und zwar nicht nur vor den Jugendgerichten, sondern auch vor der Straffammer. Hier beschränkt sich ihre Tätigkeit nicht auf die Verteidigung, sondern sie hat dem Gang des gesamten Berfahrens zu folgen und hierüber einen VerhandIungsbericht aufzunehmen. Dieser Verhandlungs. bericht, der in gedrängter Form ein möglichst zuverlässiges Bild über den Gang der Verhandlung, sowie über den Charakter des Jugendlichen und sein Verhalten in der Situng geben soll, wird später nach beendetem Verfahren den Akten der Fürsorgeerziehung einverleibt und dient hier dazu, jederzeit Auskunft über den jugendlichen Delinquenten zu erteilen. Daß für diese wichtige Aufgabe nur solche Helferinnen gewählt werden, die sich bereits in gründlicher sozialer Vorarbeit bewährt haben, liegt auf der Hand. Deshalb bedürfen sie zur Vertretung des Jugendlichen der Ermächtigung des geseßlichen Vertreters bzw. des Vormundschaftsgerichts. Um in dem Jugendlichen nicht das Gefühl aufkommen zu lassen, die Vertreterin habe die Aufgabe, seine Schuld zu vertuschen, ist den Helferinnen keine Pflicht zur Verschweigung etwaiger Borstrafen des Jugendlichen auferlegt.
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Wird nun die Unterbringung des jugendlichen Delinquenten in Fürsorgeerziehung angeordnet, so endet hiermit die Tätigkeit der Helferin nicht, sondern sie erstreckt sich auch auf diese Zeit, indem weiterhin eine günstige Beeinfluffung auf den Charakter des Verurteilten durch Aufrechterhaltung der Fürsorgetätigkeit verursacht wird.
Einiges ist also tatsächlich heute schon erfüllt, was als dringlichste soziale Forderung verlangt werden muß, und es ist begrüßenswert, daß die Bentrale für Jugendfürforge" ihre helfende Tätigkeit weiter auszubauen beabsich tigt. Das aber kann uns nicht veranlassen, von unserer eingangs dieser Zeilen gestellten Forderung abzugehen, nämlich den Frauen nicht nur den sozialen und psychologischen Teil der Arbeit zu überlassen, sondern sie in jeder Hinsicht den Männern völlig gleichzustellen. Sollte es- eine Feststellung, die erst durch praktische Erfahrungen be stätigt werden kann sich zeigen, daß den Frauen die Richterqualifikation abgeht, so wird die Uebernahme dieses Berufes von selbst alsbald aufgegeben werden. Der Versuch aber muß unternommen werden: es gilt ein hohes Biel, eine jede Frau wird sich sagen: tua res agitur, um dich selbst geht es, deine eigene Sache steht auf dem Spiel. Und wir zweifeln nicht, daß sie, die als Frau und Mutter das Höchste und Heroischste geleistet hat, was Menschenlippen besingen können, auch als Jugendrichterin im besten Sinne des Wortes nicht versagen wird.
Dr. W. Peiser.
Genossenschaftliche Rundschau
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Ausländische Genossenschaftsbewegungen, Die englische Großeinlaufsgesellschaft hat eine Abteilung für Vermittlung von Fischen, Wildpret und Geflügel eingerichtet. Um in den Monopol ring der Fischereiunternehmer Bresche zu legen, hat sie eine leistungsfähige Fischräucherei erworben. Das Programm der französischen sozialistischen Partei für die kommenden Wahlen fordert unter anderem Gründung von Konsumgenossenschaften in allen Gemeinden. Ueber die Konsumgenossenschaftsbewegung in Polen wird mitgeteilt, daß von den in Galizien bestehenden reichlich 60 Konsumvereinen eine Anzahl ihre Tätigkeit infolge der Nachwirkungen des Krieges noch nicht wieder aufnehmen tonnten. konnten. Die finnische Großeinkaufsgesellschaft tann auf eine 15jährige Tätigkeit zurückblicken. Im Jahre 1918 wurde ein Umsatz von 107 Millionen finnische Mark erreicht. Diese Bentrale der finnischen Konsumbereine versorgt mehr als 500 angeschlossene Vereine und kann eine fräftig entwickelte Eigens produktion aufweisen. Die englische Großeinkaufsgesell schaft erzielte im letzten Geschäftsjahre einen Umsatz von 1329 Millionen Mart. Tas find 148 Millionen Mark mehr als im Vorjahre. Adolf Rupprecht.
Mitteilungen
Der Volkschor hielt vor kurzem seine Frühjahrs- Generalver sammlung ab. Der Vorstand erklärte unter allseitiger ZuStimmung der Mitglieder, daß der Chor ein unteilbares, wertvolles Instrument der fünstlerischen Bestrebungen der gesamten Arbeiterschaft sei. Deshalb muß er bedacht sein, alles zu vers meiden, was zu einer Bersplitterung durchy politische Gegensäte führen könnte. Der Chor glaubt seine Auffassung von der Notwendigkeit der proletarischen Einheit am besten dadurch dokumen tiert zu haben, daß er am 1. Mai nachmittags bei einer Feier der S. P. D., abends bei einer solchen der U. S. P. D. mitwirfte. Zum ersten Vorsitzenden wurde Leo Kestenberg , zum Dirigenten Dr. Ernst Zander einstimmig wiedergewählt. Dem Chor ges hören zurzeit 590 Mitglieder( 419 attive und 171 passive) an. Für das nächste Konzert plant der Chor Aufführungen von Berlioz ' " Fausts Verdammung", Bachs„ Weihnachts- Oratorium " und Schumanns Manfred". Außerdem soll durch Einrichtung syste matischer Kurse das Verständnis für musikalische Literatur ge fördert werden. Neue Mitglieder fönnen Freitag vor oder nach den Chorproben, die von 8 bis 10 Uhr abends in der Aula der 5. Pflichtfortbildungsschule, Lange Str. 37, stattfinden, aufge nommen werden.