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Die Gleich beit

haben der Frauenfrage zu wenig Interesse zugewandt. Die Verbände sollen mehr Frauen anstellen als bisher und ener­gischer für die wirtschaftliche Gleichstellung der Geschlechter ein­

treten.

Dem fann man durchaus zustimmen und es ist charakteristisch, daß der Vorsitzende Reipart, namens des Non­gresses im Anschluß hieran sein Bedauern aussprach über die geringe Zahl der anwesenden weiblichen Vertreter. Hoffent. lich bleibt es nicht bei dieser platonischen Erklärung, sondern die Kongreßdelegierten ziehen auch daraus alle praktischen Non­sequenzen.

Am Nachmittag des 3. Tages setzte sich noch eine kurze Zeit die Debatte über die Arbeiterinnenfrage fort. Genossin Grünberg wandte sich gegen die Sonderorganisationen der Frauen. Unser Platz ist an Seite der Männer." Die neu eingerichteten Frauenämter" sind schädlich, dafür soll man den Arbeiterfekretariaten gewerkschaftlich geschulte Sekretärinnen beigeben.

Hierbei darf indessen nicht verschwiegen werden, daß zurzeit ein so großer Mangel an geeigneten Kräften( für Agita­tion und Verwaltungstätigkeit) besteht, sowohl in den Gewerk­schaften als in der Partei, daß jede tüchtige Kraft, ob weiblich oder männlich, gern genommen wird. Nur wird leicht das eigene Rönnen überschätzt, die gewaltigen Ansprüche folcher Aemter an Fleiß, Nerven und Robustizität aber unter­schätzt. Fast möchte man mitunter mit Jagow ausrufen: Wir warnen Neugierige!"

Aus der weiteren Diskussion mag noch hervorgehoben werden die Feststellung Schumachers( Schneider), daß neuerdings Angestellten- Betriebs- Organisationen" gebildet werden für weibliche Angestellte, die einen gelblichen Ein­schlag haben und nicht einmal als Gewerkschaftsersatz gelten fönnen. Frau 2. Köhler und Marie Haut- Hamburg traten für weitere Besserstellung der Hausangestellten ein. Ob es freilich zutrifft, was Frau Köhler meint, wer sich Haus­angestellte halte, fönne auch zwei anstellen", erscheint uns doch etwas zweifelhaft. Uns will bedünken, der 8- Stunden­tag müsse auch bei Beschäftigung nur einer Angestellten leicht durchführbar sein.

Nach einem kurzen Schlußwort Hannas wurden zwei Ent­fchließungen angenommen für regere Agitation, so­wie der berufstätigen Familienmitglieder in die Gewerk. schaften. Einstimmig gelangte die nachfolgende Resolution der Referentin zur Annahme: Der Kongreß erneuert die be­reits mit früheren Rongressen gefaßten Beschlüsse, die auf die Notwendigkeit, intensivster Aufklärungsarbeit zur Gewinnung der weiblichen Arbeitskräfte für die gewerkschaftliche Organi­sation hinweisen. Er sieht darin und in der Heranziehung der organisierten Frau zur tätigen Mitarbeit in den Gewerk schaften ein Mittel, etwaige Interessengegensäge zwischen Männern und Frauen im Arbeitsverhältnis auszugleichen und den Frauen eine ihren Leistungen entsprechende Stellung zu verschaffen. Das Wirken für Gleichstellung von Männer- und Frauenarbeit in der Bezahlung bei gleichen Leistungen er­scheint dem Kongreß selbstverständlich. Der Rongreß aner­kennt das Recht der Frauen auf Arbeitspläge, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen. Er macht den Gewerk. schaften zur Pflicht, darauf zu achten, daß bei Einstellungen und Entlassungen von Arbeitskräften frauenfeindliche Bestre bungen nicht zur Geltung kommen."

und

Den weiteren Teil des Kongresses fönnen wir hier summa risch wiedergeben. Die Referate Deiparts A. Cohens über die Wirksamkeit der Gewerkschaften und die künftigen Betriebsräte" sowie über die Arbeitsgemein­schaften" wurden durch 2 Gegenreferate Nich. Müllers ,, ergänzt", die aber mehr durch ihre Länge als durch den In­halt ausgezeichnet waren. Im letzten Grunde ist es der alte Streit um Tarifverträge, der bereits auf dem Gewerk­schaftsfongreß 1896 in Frankfurt a. M. ausgefochten wurde. Die wilde Streik- Taktik" hat durch ihre vermehrte Praris in

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den letzten Monaten an Ueberzeugungskraft für den Sozia. listen wahrlich nichts gewonnen. Das Nätesystem kann nur dann segensreich wirken, wenn seine Träger die volle Verant­wortung für die gedeihliche Fortführung der Volkswirtschaft mit übernehmen wollen und wenn solche Streiks, die auf Kosten der Allgemeinheit eine Berufsgruppe be­günstigen( oder gegen die andere ausspielen), nach Möglichkeit vermieden werden. Das können wohl gewerkschaftlich ge­schulte Betriebsräte und Wolfswirtschaftscäte, nicht aber poli­tisch fanatisierte Arbeiterräte", denen jeder Maßstab für die reelle Wirklichkeit fehlt. Dieser Kernpunkt des Räteproblems wurde in den Schlußworten der Referenten gebührend und treffend gekennzeichnet.

Der neue Allgemeine Gewerkschaftsbund"( die bisherige Generalfommission) wurde ohne besondere Schwierigkeiten aus der Taufe gehoben nach einem Referat Leiparts und ein­gehender Kommissionsberatung. Deren Berichterstatter Peter Graßmann hatte die schwere Aufgabe, den vielen Abände­rungsanträgen den Garaus zu machen, was auch zumeist ge­lang. Die Betriebsorganisation ist indirekt für Eisenbahner und Gemeinde- und Staats­arbeiter durch besonderen Beschluß anerkannt. Damit ist die Bahn für die weitere Entwicklung freigegeben. Einst­weilen sind freilich die Betriebsorganisationen in überwiegender Mehrzahl und der Verschmelzungsprozeß zu Industrieverbänden geht allzu langsam vor sich.

Ueber die Sozialisierung" referierten dann umbreit und Hilferding , nicht weit von einander in ihrer grund­fäßlichen Auffassung. Wir verweisen auf die Tagespresse! Das Thema bleibt ja auch dauernd in Fluß.

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Gern hätten wir uns noch etwas eindringlicher mit der Lehrlingsfrage" beschäftigt, weil sie gerade für das weibliche Geschlecht noch immer reichlich ungeklärt ist. Der Kongreß hatte leider keine Zeit" mehr infolge der Oppositionsreferate, Debatten und vielen namentlichen Abstimmungen, die 311­sammen fast einen Tag kosteten. So wurden die Thesen Sassenbach 8 ohne wesentliche Debatte angenommen. Die Vorschläge D. Albrechts( Gärtner) waren vom Referenten mit übernommen. Es soll an Stelle der bisherigen Lehr­lingsausbeutung ein behördlich überwachtes System plan­mäßiger Ausbildung für beide Geschlechter auch in der Großindustrie durchgeführt werden. Auch die schon abge­Großindustrie durchgeführt werden. schlossenen Lehrverträge sollen einer Neuordnung von Ge­setzes wegen unterzogen werden. Das Vorrecht der In­nungen" ist zu beseitigen.

Wer die Schwierigkeiten dieser Materie fennt, wird leicht ge­neigt sein zu zitieren: Die Botschaft hör ich wohl!" Allein die Gewerkschaften haben es doch fertiggebracht, mit noch schwierigeren Dingen fertig zu werden; jetzt, da Staat und Gesetzgebung von ihrer Mitwirkung abhängen, muß es mög­lich sein, dieser Quelle dauernder Unzuträglichkeiten in allen Gewerben und Industrien beizukommen. Deutschland kann nur genesen und wieder hochkommen, wenn es tüchtige Quali­tätsarbeit leistet. Daß von den neu zu schaffenden Ausbil­dungsmöglichkeiten beide Geschlechter zu annähernd gleichen Teilen profitieren, kann nur geschehen, wenn alle weib­Iichen Kräfte sich dafür regen. Hier winft eine Aufgabe von allergrößter Bedeutung für die Berufsausbildung der Frauen.

Der Vorstand des Allgemeinen deutschen Gewerkschafts­bundes" hat in seiner persönlichen Zusammensetzung eine ganz erhebliche Aenderung erfahren. Nicht weniger als 7 neue Männer sind eingetreten. Wir geben darum nachstehend die Namen der Gewählten auch hier bekannt: 1. Vorsitzender: C. Legien, Solzarbeiter; Stellvertreter: P. Graßmann, Buchdrucker; Stellvertreter: A. Cohen, Metallarbeiter; Stassierer: S. Kube, Bimmerer; 1. Redakteur: P. Um­breit, Holzarbeiter; Sekretär: A. Knoll, Steinsetzer; Sefretär: H. Löffler, Bergarbeiter; Beisiger: E. Backer, Brauereiarbeiter, L. Brunner, Eisenbahner,

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