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Die Gleichheit
Neugestaltung der Gesellschaft auf politischem und wirtschaft lichem Gebiet. Zur Lösung dieser Aufgaben müssen sich eine immer größere Bahl von Frauen und Mädchen vorbereiten burch praktische Mitarbeit, agitatorische und verwaltungstech nische, in ihrer Gewerkschaft, dann werden sie selbst erkennen, wie notwendig es ist, daß bei Kongressen die weibliche KolLegenschaft vertreten sein muß. Aus den Reihen der tätigen Kolleginnen werden ja die Delegierten entnommen, und nur die Befähigsten sollten entsandt werden. Das trifft zwar nicht immer zu. Denn es ist namentlich für Frauen und Mütter Leichter, am Ort mitzuarbeiten, als fern vom Haushalt ein Mandat auszuüben. Doch ist die Vertretung der Arbeiterinnen bei größeren Tagungen von so großer Wichtigkeit, daß, wenn notwendig, auch persönliche Opfer an Zeit, denn nur um solche handelt es sich, gebracht werden müssen.
Klar erkennbar wird die Notwendigkeit der Mitarbeit der Frauen in den Gewerkschaften, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß es auf lange Zeit hinaus nur sehr wenige Frauen geben wird, die ohne Erwerbsarbeit werden auskommen Können. Die Armut, in die uns der verbrecherische Krieg gestürzt hat, die Verpflichtungen, die wir durch Unterzeichnung des Friedens eingegangen sind, zwingen uns zu intensivster Arbeit; keine Arbeitskraft wird brachliegen können. Dazu kommt, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die Lebenshaltung noch lange recht teuer sein wird, so daß der Zwang zur Arbeit für sehr viele Frauen gegeben sein wird. Der kritische Zustand unferes gegenwärtigen Wirtschaftslebens hat allerdings durch die Entlassungen von Frauen bei vielen große Erbitterung ausgelöst. Doch hat der praktische Sinn der Mehrzahl unserer Frauen es erfaßt, daß so außergewöhnliche Zeiten auch befondere Schwierigkeiten, die einzelne sehr hart treffen, hervor. rufen. Anerkennen müssen aber alle klarblickenden und klar. denkenden Frauen, daß die Parteivertreter in der Regierung bemüht waren, die Härten möglichst zu mildern, wenn sie sich nicht vermeiden ließen.
Mag die Gegenwart uns noch so schwer bedrücken, wir wissen, daß wir doch zu einer besseren, lichteren Zukunft kommen, zu einer Zukunft, die auch den in der vorrevolutionären Zeit zum Schaden der Volkswohlfahrt über ihre Kräfte ausgenutzten Frauen das Maß ihrer gesellschaftlichen Arbeitsleistung verringern, ihnen dadurch mehr Zeit für ihre Familie, mehr Zeit
rührt er sich nicht, aber gewiß spürt er es schon; er verbeißt nur den Schmerz.
Warte nur, Vater! Ich weck dich doch auf!
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Und kniff immer fester und noch fester er verzieht noch immer feine Miene, er verbeißt es. Ich fühle, wie sich meine Nägel durch den dünnen Strumpf in seine Zehe bohren er sieht immer gleich ruhig und friedlich drein; das eine Auge blinzelte beinahe schelmisch unter dem halboffenen Lide hervor.
Da wurde mir plößlich der ganze Bater über alle Maßen unheimlich; entsetzt floh ich aus dem Zimmer zu Mutter und Geschwistern; warf mich in Mutters Schoß und schluchzte Laut auf:
,, Gelt, Mutter, jezt sein wir wieder ledig!".
Was weiß ich, wo der kleine Frak den Brocken aufgeschnappt Hatte, ben er jetzt so zur Unzeit von sich gab. Aber die Mutter mußte doch bei allem Elend einen Augenblick lächeln. Darauf bildete ich mir nicht wenig ein; in späteren Jahren, wo ich Leichtsinniger Mensch der Mutter manche Träne erpreßte, sagte ich mir's oft zum Troste vor:
Hast doch die Mutter einmal mitten im knietiefen Kummer auf einen Augenblick lächeln gemacht!"
Als der Vater begraben wurde, das war ein großer Tag. Es kamen viele Leute ins Haus, und alle waren mit uns lieb and freundlich. Viele sagten:
Arme Kinder!"
Aber mir kam es damals so schlimm nicht vor. Alle fagten, wie schade es um den Vater sei, und er wäre ein richtiger Kernmensch gewesen.
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auch zur öffentlichen Betätigung geben wird. Das zu erreichen, muß jede Frau zur Mitarbeit anspornen.
Deshalb werden auch unsere politisch geschulten Frauen bei ihrer Aufklärungsarbeit dahin zu wirken haben, daß alle erwerbstätigen Frauen und Mädchen sich ihrer Berufsorganisation nicht nur anschließen, das ist unabweisbare Pflicht, son. dern auch im Rahmen ihrer Organisation sich an allen Arbeiten beteiligen, denn nur so erwerben sie die Fähigkeiten, die Interessen ihrer Kolleginnen wahrzunehmen und in aller Deffentlichkeit zu vertreten. Es darf für die erwerbstätigen Frauen kein zweites Nürnberg geben, denn es ist der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen unwürdig, auf einem Kongreß der deutschen Gewerkschaften nicht entsprechend ihrer Mitgliederzahl und der auf die einzelnen Verbände entfallenden Mandate vertreten zu sein. Martha Hoppe.
Zur Sozialisierung der öffentlichen Wohlfahrtspflege
VI.
Die Hauspflege.
Was ist Hauspflege? Hauspflege ist nicht, wie häufig angenommen wird, eine in der Familie geleistete Wochenoder Krankenpflege, sondern sie ist Pflege der Hauswirtschaft, Besorgung aller Hauswirtschaftlichen Geschäfte einschließlich des Kochens, Waschens und der Betreuung der Kinder durch eine familienfremde Arbeitskraft in solchen Zeiten, in denen die Hausmutter durch Wochenbett oder Krankheit an der Erfüllung ihrer Hausmütterlichen Pflichten gehindert ist.
Sache und Name verdanken einer edlen Frau ihre Entstehung. Im Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts gründete Frau Hella Flesch im Verein mit ihrent Manne, dem Frauenarzt Professor Dr. Flesch und ihrem Schwager, dem bekannten Sozialpolitiker Dr. Karl Flesch, den Hauspflegeverein.
Sie hatte durch die ärztliche Tätigkeit ihres Mannes die Einsicht gewonnen, daß innerhalb der Schichten der Unbe. mittelten in zahlreichen Fällen die Geburt eines Kindes, statt eine Quelle der Freude und Hoffnung zu sein, zum Aus
War das ein Haufen Menschen hinter Vaters Leiche her: die Schulkinder mit einem schwarzen Fähnlein, dann eine ganze Schar Klosterfrauen, dann die Lehrer aus allen Nachbargemeinden, gewiß ein Dußend, wenn nicht mehr, und dann ein Trupp Scheibenschützen in Lodenjoppen mit grünen Aufschlägen. Die waren von weit und breit herbeigekommen, manche gar über den Brenner herübec; denn die Schüßen sind gar getreue Brüder. Und die Musik spielte. Ich besinne mich gut, das„ Bombardon" brummte so drollig. Schön war es, schön! Ich dachte mir immer hinter dem Sarge her:
Ach! Warum hat nur der Vater das nicht erleben können!" Auf dem Sarge lag Vaters Scheibenstuben und der Schizenhut mit dem Gemsbart. Der blanke Büchsenlauf funkelte in der Sonne, und vom Gemsbart ließ ich kein Auge. Ich sehe ihn noch heute lustig im Morgenvind„ wacheln" und die schönsten Rädlein schlagen.
Das weiß ich auch noch gut, wie der Sarg mit zwei dicken Stricken in das Grab hinabgeseilt wurde. Drei Männer mit Schaufeln standen schon bereit. Satten die es eilig, den Vater einzuschaufeln! Als hätten sie gefürchtet, er könnte ihnen noch einmal entwischen. So oft eine schwere Erdscholle oder Stein und Bein polternd auf den Holzsarg follerte, weinte die Mutter laut auf.
Nach dem„ Totenamit". fam der Mesner auf die Mutter zu und bedeutete ihr im Auftrag Seiner Hochwürden des Herrn Defans( Dechant), mit uns Kindern in den Pfarrhof zu kommen.
Das weiß ich auch noch, als wäre es heute, wie wir alle in einer Reihe vor dem hochwürdigen Herrn Dekan standen. Ec