Nr. 32

Die Gleich beit

Wohnungselend und Wohnungsnot ist Pflanzstätte der drei unheimlichsten Volksverderber: der Tuberkulose, des Alkoholismus und der Prostitution.

Die Tuberkulose wird von vielen Aerzten geradezu als Hauskrankheit bezeichnet. Das heißt als eine Krankheit, deren Träger und Verbreiter als unsichtbare Feinde an den Wänden, Möbeln usw. Kleben, jederzeit bereit, über die her­zufallen, die durch Erbanlagen, Unterernährung oder son­stige Vernachlässigung besonders dazu veranlagt sind.( Die erschreckende Zunahme der Tuberkulose während der letzten Striegsjahre bestätigt die Richtigkeit dieser Annahme.) Dann die Enge der Wohnungen. Wenn 5, 6 und mehr Personen in einer Ein- oder Zweizimmerwohnung zusammengepfercht find( in Berlin   trifft das bekanntlich in Hunderttausenden von Fällen zu), wenn der Gesjunde mit dem Schwindsüch tigen in einem Bett zusammenschlafen muß, dann kann die Ansteckung nicht ausbleiben.

Anderer Art sind die Gefahren, mit denen die enge und schlechte Wohnung den sozialen und sittlichen Stand der Familie bedroht. Aus der überfüllten und darum unordent­lichen und ungemütlichen Wohnung treibt es den Mann ins Wirtshaus. Wenn ihr daher in so einem richtigen Wohnloch einer verlumpten Trinkerfamilie begegnet, so segnet euch nicht: Herr, ich danke dir, daß ich nicht so bin wie jene!, son­dern forscht einmal, was zuerst da war und zur Ursache des andern wurde: der Trunk oder das häusliche und das Woh­nungselend.

Endlich die Sittlichkeit. Wie soll das Schamgefühl, dies köstlichste Gut des kultivierten Menschen, erhalten werden fönnen, wenn alle intimsten Vorgänge des Lebens von der Geburt bis zum Grabe sich unter den Augen aller Familien­mitglieder abspielen müssen. Wenn manchmal noch familien­fremde Elemente, Schlafburschen und Mädchen, die Enge der Familienwohnung teilen? Die Folgen sind Prostitution und Geschlechtskrankheiten, deren innigen Zusammenhang mit der Wohnungsfrage besonders Kampffmeyer in trefflichen Studien dargetan hat.

*

Feuilleton

Anmut machet Schön das Weib.

*

Walter von der Vogelweide  .

Frauengestalten des 19. Jahrhunderts

Von Anna Blos  , M. d. N.

( Schluß)

hre Beziehungen zu Goethe   hat Bettina in ihrem Brief­wechsel mit einem Rinde" verewigt. Es ist viel an der Echt­heit dieser Briefe gezweifelt worden. Aber es entspricht ganz ihrer Eigenart, daß auch diese Briefe ein Gemisch von Dichtung und Wahrheit   werden, denn wie Frau Rat ihr schrieb: Wenn Du ins Erfinden gerätst, kennst Du weder Gebiß noch Zaum." Indessen haben die" echten" Briefe bewiesen, daß in dieser Dichtung viel mehr Wahrheit enthalten ist, als man früher an­nahm. Der Briefwechsel mit einem Kinde" war von unschätz­barer Bedeutung für das junge literarische Deutschland  . Diese Blutsverwandte Mignons liebt Goethe   mit einer Liebe, die, wie die Liebe Mignons, elementar und keusch, übersinnlich finnlich" war. Bettina lehrte die jungen Dichter eine hohe Auffassung der Frauenliebe. Sie adelte ihre Begriffe von Freiheit im Lieben. Es ist auch bemerkenswert, daß Bettina trok ihrer schwärmerischen Liebe für Goethe diesem gegenüber nicht kritiklos blieb. Ihr war er immer der junge, ideal an­gelegte Dichter, und die Würde, den geheimrätlichen Stil des Ministers sieht sie als eine Untreue an dem Genius an, der dem Philistertum Zugeständnisse macht. Namentlich erfaßte sie die Wesensverschiedenheit mit Beethoven  , der sein trogiges Haupt vor niemand beugte.

Daß dem Weimarer Minister die romantische Schwär merei Bettinas nicht immer bequem war, läßt sich denken. Als

251

Was wir bis jetzt fennzeichneten, waren die Zustände, die schon vor dem Krieg die große Sorge aller Sozialpolitiker und Reformer erweckten. Durch den Krieg gesellte sich dazu der absolute Mangel an Wohnungen und Unterkunftsmög lichkeiten. Fünf Jahre lang hat fast alle Bautätigkeit geruht. Dadurch ist ein Fehlbetrag von etwa 1 Million Wohnungen entstanden. Dazu kommt der wohnungsuchende Strom der aus den Reichslanden und dem besetzten Gebiet Vertriebenen. In den Mittelpunkten des Zustroms, wie z. B. in Frankfurt  a. M., hat man sich durch Bereitstellung aller irgend verfüg baren Amtsräume und durch Zwangseinmietung zu helfen gesucht.

Damit sind wir zu der Frage gelangt, was geschehen könne, um der Wohnungsnot und aller damit zusammen­hängenden Uebelstände Herr zu werden?

Hergabe von Amtsräumen und Zwangseinmietungen sind Notmaßnahmen vorübergehender Art. Soll von Grund aus geholfen werden, so muß die Zahl der Wohnungen ent­sprechend vermehrt, ihre Beschaffenheit gebessert werden. Ein erster Schritt auf diesem Wege sind die aus Reichs-, Landes und Gemeindemitteln zur Verfügung gestellten Beträge zur Erleichterung des Kleinwohnungsbaues. Die einstweilen aus Reichsmitteln dafür ausgeworfenen 500 Mil­lionen Mark sind freilich nur ein Tropfen auf heißem Stein. Die Reichweite dieser 500 Millionen Mark wird aber dadurch verdoppelt, daß Länder und Gemeinden zusammen den gleichen Betrag aufbringen müssen, und daß endlich auch die mit diesen Mitteln ausgestatteten Baugenossenschaften, ge­meinnüßigen Baugesellschaften und Privaten entsprechend zuzahlen müssen. Wir müssen es uns verjagen, auf Einzel­heiten einzugehen. Wichtig ist nur zu wissen, daß die so ge­schaffenen Wohnungen in bezug auf Mietpreis, Verkaufs­recht usw. starken Einschränkungen unterworfen sind, durch die das Herausholen unzukömmlichen Gewinnes ausge­schlossen wird.

Damit ist ein begrüßenswerter Anfang gegeben. Aber auch nicht mehr als das. Es müssen Verordnungen hinzu­

Bettina als Gattin Achim von Arnims einen Besuch in Wei­ mar   machte und etwas spöttisch über Goethes Frau urteilte, kam es zum Bruch. Goethe verbot Bettina sein Haus und blieb allen Annäherungsversuchen gegenüber unerbittlich. Auf ihre Verehrung für den Dichter blieb der Bruch ohne Wirkung. Als im Jahre 1820 der Plan auftauchte, Goethe ein Denkmal zu setzen, trat Bettina als erste dafür ein und zeichnete eine Skizze, die später ausgeführt wurde. Sie ist ein weiterer Be­weis der vielseitigen Anlagen dieser seltenen Frau.

Bettinas Efe mit Achim von Arnim   war durchaus hac­monisch. In frohbewegter Jugendzeit hatte sie mit ihm und ihrem Bruder Klemens den Schatz der deutschen   Volkspoesie, Des Knaben Wunderhorn  ", gesammelt. Später wurde ihr Haus in Berlin   zum Mittelpunkt geistigen geselligen Lebens. Schleiermacher  , Schinkel, Wilhelm v. Humboldt, Varnhagen  , die Rahel, Henriette Herz   und andere gingen dort aus und ein. Bettina war immer der Mittelpunkt. An Musik gemahnten ihre Reden. Dichterische Schönheiten blitzten auf neben sinni­gen Betrachtungen und belustigenden Einfällen. Kein Mann konnte ihr die Wage halten."

Als Witwe beschäftigte sich Bettina auch mit sozialen und nationalökonomischen Fragen. Sie sah die Willkür und Un­gerechtigkeiten der gesellschaftlichen Ordnung. Die Gegensätze zwischen Armut und Reichtum peckten in ihr den Drang zu helfen. In Berlin   und im Voigtland   suchte sie die Armen und Elenden auf. Als 1831 in Berlin   die Cholera ausbrach und viele vor dem großen Sterben flohen, blieb Bettina dort, um die armen Kranken zu pflegen. Aber sie begriff, daß die private Wohltätigkeit wenig ausrichtet. Darum führte sie in der Deffentlichkeit die Sache der armen hungernden Weber. Sie wandte sich an Friedrich Wilhelm IV.   mit der Forderung der Organisation der Arbeit, der staatlichen Hilfe für die Ent­