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Revolution des Geistes
Ein Beitrag zur Menschheitserziehung Von Karl Diesel
Die Gleich beit
( Schluß)
Deutlich treten drei Hauptrichtungen zutage, in denen fich das deutsche Geistesleben der Gegenwart erstrect: außer einer solchen, die einen durchaus materiall- egoistischen Charakter trägt, eine rein mystische bzw. mystisch- ideologische Richtung ( die u. a. ihre äußerliche Kennzeichnung erfährt durch die zahlreichen spiritistischen Vorträge und Demonstrationen); die erste begünstigt durch die ungeheure Ausdehnung, die das anglo- amerikanische Imperium infolge des Krieges erfahren hat, während die zweite Richtung in der Hauptsache als Folge feelischer Depressionen anzusehen ist, die sich weiter Bevölkerungsschichten in den besiegten Ländern bemächtigt haben. Hervorgehoben sei noch, daß die materiell- egoistische Denkart feineswegs nur bei den fiegreichen Staaten zu finden ist; im Gegenteil, sie macht sich in auffallend starkem Maße auch in Deutschland bemerkbar.
Die dritte Richtung endlich hat als Endziel einen flaren, bom Realismus der drei Zeitformen nicht abgetrennten Idea fismus aufgepflanzt; es ist die, um die es sich hier handelt, die weit mehr ist als bloke Zeiterscheinung, und die weit tiefere Spuren in der Menschheitsseele hinterläßt als jeweilige Modephilosophie.
Diefer Drang nach einem flaren, gefestigten Ideal, wie er fich jetzt offener als früher zeigt, dieses aus innerster Notwendigkeit entströmende Sehnen ist ebensogut Folge der Revolution, wie es Folge des Krieges und der Zeit vor dem Kriege ist. Und es ist wahrhaftig fein müßiges Prophezeien, wenn ich sage, daß dieser Drang, dieses dem Herzen entquellende Bedürfnis nach innerer Festigung, diese heilige Sehnsucht nach der Reinheit und einfachen Größe einer tiefdurchdachten und geläuterten philosophischen Idee innerhalb gewisser Menschheitsgrenzen einen ganz außerordentlichen Untfang erreichen wird.
Was sich jetzt in dieser Beziehung regt und offenbart, sind die Anfänge geistiger Revolutionierung, wie es die Folge jedes großen Umsturzes ist, der mehr umfaßt als das bloße politische oder wirtschaftliche Gebiet. Spuren, Andeutungen dieser ge waltigen Bewegungen zeigten sich bereits vor dem Kriege in der Kunst, denn mehr als alles andere ist die Kunst Hüterin und Trägerin der revolutionären Jdez. Eine festgegründete Wahrheit, die sich leider, leider nur der Menschheit nicht genügend in die Hirne gräbt. Es ist eine im Laufe der Weltgeschichte stets aufs neue bewiesene Tatsache, daß sich alle großen revolutionären Ereignisse zuerst in der Kunst ankündigten.*) Aber wie in der Politik die an sich weltBewegende, erste, revolutionäre Tat, also der unmittelbare Ausbruchsaft, das erste Aufflammen nicht das eigentlich Bedeutende und Wertvolle ist, sondern weit mehr die Berinnerlichung, die geistige Berarbeitung die wertvollste und eigentlichste Frucht der Revolution darstellt, 10 erfährt auch jede„ neue" Geistesbewegung nach mehr odec weniger langjan verebbendem Sturm und Drang eine außer ordentlich tiefgehende Verinnerlichung, eine Veredlung sonder gleichen, erst dadurch beweisend, daß sie daseinsberechtigt und lebensfähig ist und Früchte zu zeitigen vermag.
Eins sei im voraus gesagt: es sollen an dieser Stelle( und nirgends sonst bei diesem Gegenstandel) Parallelen gezogen werden mit Erscheinungen unseres Zeitalters. Bei Vergleichen zwischen historisch Gewordenem und Gegenwärtigem wird in den meisten Fällen jenes zu kurz kommen, ja geradezu bernachlässigt werden, weil der moderne Geschmack" sich berechtigt glaubt, am Vergangenen stets Fehler zu finden, und weil er auf Grund seiner anders gearteten Anschauung das unmittelbar Wertvolle und dauernd Gültige und Wirkende nicht ohne weiteres aus dem Ueberlebten und Ueberholten herauszulösen vermag. Die Gegenwart hat die Fehler von
* Ist das schließlich nicht auch ein Beweis für die innige Berquidung von Idee und Wirklichkeit?
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einst ,, überwunden", darum rechnet sie sie doppelt hoch, wenn fie ihr aufstoßen; sie vergißt nur zu leicht, daß sie selbst auch wieder Fehler begeht, fie vergißt, daß Weltgeschichte nichts anderes bedeutet als Entwicklung, fie vergißt, daß das Vorangegangene in gewissen Bunften stets unvollkommener sein wird als das Augenblickliche.
Wie gesagt: auf derartige Gegenüberstellungen soll hier keine Rücksicht genommen werden. Wir wollen vielmehr geraden Weges unserem Ziele entgegengehen: Schillers Geistesentwicklung und Lebensideen kennen zu lernen, um das Resultat als Maßstab für unser Denten zu gewinnen und zu verwerten.
Aus unserer Bewegung
Unterzeichnete hatte in der Zeit vom 6. bis 14. September im Bezirk Halle eine Reihe von Versammlungen, und zwar 4n Mückenberg, Falkenburg, Hohenleubisch, Bockwitz, Roßbach, Weißenfels , Bitterfeld und Halle. Mit Ausnahme von Halle und Weißenfels waren die Versammlungen sehr gut besucht.
Die Rednerin sprach über die Pflichten und Rechte, welche die Frau im neuen Deutschland hat und gab Aufschluß über die Arbeit, die bisher von den Frauen in der Nationalversammlung geleistet worden ist. Und eine Fülle von Arbeit Harrt unserer Genossinnen in den Gemeindeparlamenten. Gerade als Frau und Mutter können sie in der Armen- nd Waisenpflege, in der Wohnungsfürsorge und Kohlenfrage segensreich wirken. Haben doch ganz besonders die Kriegsjahre gezeigt, daß alle Dinge in der Familie wie auch im öffentlichen Leben ebensosehr Sache der Frauen wie der Männer sind. Leider ist die Mehrzahl der Frauen politisch nicht so reif wie der Mann, darum ist es Pflicht unferer Genoffinnen, nicht nur Mitglied unserer Organisation zu sein, sondern zu ihrer Weiterbildung auch Leserin der„ Gleichheit" zu werden. Unsere Frauenzeitung wird ihnen stets mit Rat zur Seite stehen und sie über alle Fragen des täglichen Lebens aufklären. Eine so geschulte Genossin wird auch ihre Kinder im Geiste des, Sozialismus erziehen können und dadurch der Menschheit den größten Dienst erweisen. Denn nur die Jugend ist es, die unser sozialistisches Zukunftsideal verwirklichen tann. Der Erfolg dieser Verträge war, daß viele der anwesen. den Frauen Abonnentinnen der„ Gleichheit" geworden sind. Anna Simon- Brandenburg. Charlottenburg . Die feinerzeit in der Gleichheit" gegebene Anregung, innerhalb der Gruppen besondere Frauenabende eins zuberufen, hatte guten Erfolg. Unsere Bewegung hat bedeutende Fortschritte gemacht. Ein fester Zusammenschluß ist auch unbedingt nötig, nicht bloß unseren Gegnern, sondern auch unseren Genossen gegenüber. Es muß einmal offen gesagt werden, daß es die Männer noch immer nicht begreifen, daß wir nicht nur dieselben Pflichten, sondern auch diefelben Rechte haben. Und darum, Genoffinnen, weiter ans Werf. Maria Neumann.
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Aus der Franenbewegung des Auslandes Streben nach besserer Mutterschaftsfürsorge in Amsterdam Jm Amsterdamer Gemeinderat reichten die beiden neugewählten weiblichen Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion einen Antrag auf gründliche Befferung der Sorge für Mutter und Kind ein. Es wird verlangt: Errichtung von Beratungsstellen in den verschiedenen Stadtteilen unter Leitung eines Arztes und gut ausgebildeter gemeindlicher Pflegerinnen. Errichtung einer gemeindlichen Zentraltüche zur Bereitung von Säuglingsnahrung, sofern und soweit natürliche Ernährung nicht möglich ist. Systematischer Ausbau der gemeindlichen Pflege und Aufwartung der Wöchnerinnen sowie der Versorgung des Haushalts. Zum Schluß wird gewünscht, ausdrücklich festzulegen, daß die geleistete Fürsorge in keinem Falle und in keinerlei Beziehung als Armenfürsorge betrachtet wird.
Die Forderung auf Ausdehnung der Aufwartung und der Hauspflege bei Wöchnerinnen ist um so dringlicher, als es in Holland Landessitte ist, daß die Hebammen absolut nichts anfassen; außer nach der Geburt auch nicht das Kind baden. Dafür muß die besondere„ Verpleysterin" sorgen, die aber wiederum keinerlei Haus arbeit tat, sondern behoorlht" beköstigt und bedient werden muß. Paul Wolf.