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Die Gleich beit

Kleidern gekommen. Wo war damals das Rote Kreuz"? Wo waren die Damen vom Vaterländischen Frauenverein? Unsere Arbeiter, unsere Genossinnen gaben Rat und Auskunft an die vielen, die im Strudel jener Tage Hilfe brauchten. Sie waren es, die den mit unserer Unterstüßung funktionierenden Behörden die unbeschreibliche Arbeit der Unterbringung, Versorgung und Berpflegung der Soldaten abrahmen. Was ist in jenen Tagen bereits gelästert worden über die nenen Herren". Wer hat sich mit Berleumdungen und Behauptungen würdig jenen leicht­fertigen Epottzungen zugefellt? Alle, die in den kritischen Stunden hinter geschlossenen Fensterladen Aengste vor dem jüngsten Gericht ausstanden! Sie haben ein kurzes Gedächtnis; Geschichtsunterricht, den sie erben müßten, begreifen sie nicht. Nach der Art eigenfinniger Rinder beharren fie auf einer falschen Formel. Und ihre Formel war und ist. Das Alte war das Rich tige, Alleinfeligmachende, Gottgewollte. Immer wieder müssen wir ihnen nachweisen, wie fläglich fie in jenen Stunden versagten, aber auch versagen mußten, weil der Lauf der Geschichte sie in zafendem Tempo überholte.

Daß fich die Umwälzung in gana Deutschland   so unblutig voll 30g, ist das Werk der deutschen Sozialdemokratie. Daß der Rück­marsch unserer Truppen unter Vermeidung von Menschen- und Materialverluft sich vollziehen konnte, ist das Verdienst der rheinischen Sozialdemokratie!

Diefen guten Anteil am Verlauf der Revolution fann nie­mand der rheinischen Arbeiterschaft streitig machen. Daß tau­sende Soldaten vor dem Martyrium, noch zuletzt Gefangene zu werden, bewahrt blieben, ift neben anderem ihr Verdienst. Daz dem Staat Millionen an Heeresgut erhalten blieben, muß ihrer Hilfe gedantt werden.

Im rasenden Geschehen jener Tage ist manches unterlaufen, was der ehrsame Spießbürger did antreidet und deshalb als Haupt ache ansteht.

Bir Sozialdemokraten aber wissen, was die Hauptsache die Hauptsache war, und wir wissen immer, was in den Zeiten der Not wir Die taten des Vaterlandes unsere Pflicht war. 4. August 1914. Aber am 9. November 1918 taten wir noch mehr als nur unsere Pflicht.

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Elisabeth Röhl  .

Der vergangene Polizeipräsident von Berlin  , Herr von Jagow, Hieß, als die Berliner   Arbeiterschaft für das gleiche, allgemeine, geheime und direkte Wahlrecht in Preußen demonstrieren wollte, durch Säulenanschlag verfünden: Die Straße gehört dem Ber­Jehr, ich warne Neugierige!" Und die Berliner   Arbeiter schlugen

tummenden Sturmes alles Bestehende zu stürzen, sondern bor allen Dingen an die Stelle des Erstürmten und Zer­trümmerten ein Neues zu stellen von reinerem, höherem Werte, edleren Formen. Er wird zum Bildner deffen, was in flaren Vorstellungen seine Seele erfüllt und bewegt, umd all sein Mühen und Schaffen um Neuze, Belieres, Höheres wird und fann nicht bloß Geltung haben für ihn, der es zu erreichen und zu verwirklichen trachtet, wird und fann nicht nur allein Geltung haben für einen zahlenmäßig fleinen Kreis von Menschen, in dem die schönen been seiner Berfön. lichkeit wirkend sind. Ganz selbstverständlich erstreckt sich- muß sich erstrecken seine durchwirkende, durchgeistigende, bildende Tätigkeit auf das Universale; ohne zu verflachen um­durchaus im Sinne Bruno Celbos: faßt es die Menschheit, durchaus im Sinne Bruno Celbos:

Erwacht!

Ihr Völker!

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Strebt empor zum Lichte!

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Der freien Menschheit freie Bahn! Die schwarze Binde reißt vom Angesicht, Bermalmt die Lüge und der Wahn!

Berlacht,

Was ihr im Stumpffinn lang bewundert: Die morsch geword'ne Form zerbrecht! Errichtet für das kommende Jahrhundert Ein Heiligtum dem Menschenrecht.

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ihm ein Schnippchen und demonstrierten doch, nur nicht da, wo die Truppen des Herrn von Jagow Neugierige suchten.

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Herr von Linsingen. weiland Oberster Befehlshaber in den Marfen, verkündete den Berlinern am 7. November 1918: Ich die verbiete"( die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten Revolution). Er spottet seiner selbst und weiß nicht wie. In dem er verbietet, fündigt er an, wogegen fich seine Seele vergeblich wehrt. Gatmütig duldete der Berliner   mit der Selbstsicherheit dessen, der weiß, was er will.

Damals, zu Herrn von Jagowe Zeiten, hat Berlin   gelacht und mit den Zähnen gefnirscht zugleich.

Dieses Mal, Berlin  , erlebst du etwas ganz Großes, Unver­geßliches!

Ueber den Asphalt jagt es im Auto, eiligen Schritte geht's über den Bürgersteig. Auf schnigen Armen tragen Matrosen die Freiheit durch die Straßen. In zwei Tagen werden sie fallen, die preußischen Zwing- llris.

Am 9. November beschließt die Berliner   Arbe terschaft den Generalstreik. Um 9 Uhr morgens formieren sich die ersten Ar­beiterbataillone, Männer und Frauen, auf dem Alexanderplatz  . Bunächst geht's, boran das Banner der Freiheit, die rote Fahne, nach der Kaserne des 1. Alexarder- Garde- Regiments. Ein Offigier schießt auf die Menge ein Todesopfer. Die Mannschaften schließen sich der revolutionären Arbeiterschaft an. Nun geht's bon Maierne zu Rajerne, überall glatte llebergabe der Truppen

Um 1 Uhr mittags verkünden Anschläge an den Eäulen die Abdanfung Wilhelms II. Von Jagowo­fifum

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Monarchie Linsingen preußisches Panop Revolution! Nachmittags gegen 2 Uhr ruit Philipp Scheidemann   vom Balkon des Lesezimmers im Reichstagsgebände Die Republik   aus. In furzen, martigen Sägen verfündet er der zu Tausenden zählenden Menge, daß das deutsche   Volk auf der ganzen Linie gesiegt hot, der Militarismus erledigt ist, die Hohen­zellern abgedankt haben, Ebert zum Reichsfangler ausgerufen und zur Bildung einer neuen Regierung, der alle sozialistischen Par­teten angehören werden, beauftragt ist

Ge lebe die Republik  !" braust's über den Königsplay, den Gespenstern der Siegesallee   die Posaune des jüngsten Gerichts, uns aber die Stimme der Auferstehung.

Nachmittags ftehen die Etraßenbahnen still. Mich duldet's nicht zwischen den Wänden. Ich muß hinein in den Sturm, der alle Höhen und Tiefen der menschlichen Seele auspeitscht.

Es ist 5 Uhr nachmittags. Mit der Stadtbahn bin ich bis zum Alexanderplatz   gelangt Durch die Königstraße und die folgenden Etraßenzüge wandle ich unter unzähligen Menschen hinunter bis zum Schloß. Hier stofen wir auf neue Menschenmengen. Rarl

In reinen Flammen schmiedet den Gedanken Bu hoheni Werk des Hammers Stahl Und auf den Tempeln,

Die in Schutt bersanken,

Baut Throne neuem Ideal!

Wenn im bisherigen Berlaufe von Revolutionen gesproden wurde, so geschah das in ziemlich allgemeinem und umfassen dem Sinne, immer aber ohne Berücksichtigung von derartigen Ereignifien politischen Charakters. Während jedoch die eigent lichen geistigen Umwälzungen, ihr Uriprung, ihr Verlauf und ihr Biel  , vor allem ober auch ihr Zusammenhang mit einer bestimmten Persönlichkeit weiter unten die dringend not­wendige Berücksichtigung finden werden, sei jetzt zur Ersparnis von Umwegen mit ein paor Säten der recht engen Beziehun-. gen gedacht, in denen Aesthetik und politische Revolution zu einander stehen.

Ein Zweifel fann, wie einiges Nachdenken lehrt, liber diejen Bujammenhang nicht befiehen. Es mag sonderbar genug er­icheinen, mag sich geradezu parador anhören: aber auch voli­tische( umd ebenso wirtschaftliche) Umwälzungen radikalsten Charakters und Aesthetik schließen einander nicht aus, gehören vielmehr in einem gewissen Sinne, der sich genau bestimmen läßt, redit innig zusammen, find ineinander verwoben und verschmolzen, ohne daß das eine oder das andere die ihm eigentümliche Klarheit einbüßt, und dokumentieren auch in Dieser Hinsicht auf solche Art die Gemeinsamkeit,- besser und