Nr. 41

Die Gleich beit

bielmehr darauf hingewiesen werden, daß alle drei Nicht­linien nicht nur einer Quelle entspringen, sondern daß auch ihr Ziel ein und dasselbe ist; fie sind Wege, auf denen die Sehnsucht der menschlichen Seele dem Ziele der Schönheit entgegenstrebt.

Nur daß eben dieser Schönheitsbegriff den verschieden artigsten Auffassungen unterworfen ist, daß er von den Menschen allermeist nur unflar oder gar nicht als bestehend empfunden wird, daß er weit mehr und öfter auf Neigung als auf Wissen gegründet ist, daß er in seiner Reinheit nicht erfannt und gepflegt wird, weil Surrogate ihn verdrängen. Aber auch das ist eine Frage, deren Lösung wir uns erst nach und nach zu nähern vermögen. Für den Augen­blic gilt als Hauptsache, daß eben diese drei großen Rich­tungen den Beweis für die Lebensfähigkeit der mensch lichen Schönheitssehnsucht bilden und damit gleichzeitig den Beweis für deren Lebensnotwendigkeit. Die Sehnsucht nach Schönheit ist nicht zu erschüttern und zu ersticken auch durch die gewalttätigsten Ereignisse. Im Gegenteil: es fann- natürlich immer den bestimmten Umständen des jeweiligen Zeitalters entsprechend gesagt werden, daß solche auf­wühlenden Stürme erweckend und befreiend wirken. Dar über wurde ausführlicher bereits gesprochen.

Es ist bekannt, mit welchem hoffnungsfrohen Enthut fiasmus Friedrich Schiller die französische Revolution be­grüßte und welche Erwartungen und mit ihm viele Edle im Geiste an diesen gewaltigen Umsturz fnüpften. Briefe, Aufzeichnungen, Tagebücher geben Zeugnis davon. Und fast ist es müßig, nach dem Warum zu fragen. War es doch eine großartige, welterschütternde Bewegung, die in ihren An­fängen getragen wurde von den reinsten Wünschen und Be­strebungen, die durchglüht war vom Geiste eines Stoffeau, des so sehr Ueberschäßten, und deren wild lodernde Affekte mit Erfolg begrenzt schienen von dein Scharfsinn, dem poli­tischen Weitblid eines Mirabeau . Die französische Nevo­Iution von 1789 hätte schwerlich so gewaltige, überragende Bedeutung erlangen können, wäre faum in so tiefgehendem­Sinne revolutionär" gewesen, wenn sie nicht von den besten Geistern Frankreichs vorbereitet gewesen wäre.

Feuilleton

Wollt ihr die Kinder treu behüten, laßt eure Sorge, Liebe lein, gedeihen doch die ſtarken Blüten, nur in der Liebe Sonnenfchein. heilt auch das Leben manche Wunden, die erfte schließt fich nimmermehr, und ganz wird nie das бerz gefunden, war feine Kindheit liebeleer. Albert Traeger .

Neuland

m vorigen Frühjahr erstand ich um billiges Geld eine Stren miese am Strand, die einem Schweizer gehört hatte. Die Thurgauer drüben haben ein abschüssiges Ufer mit bergigem Land; große, jahrhundertalte Keller stehen an der Uferstraße, Bergfeller, in die vierspännige Wagen dreißig Meter weit hinein­fahren können. Bei uns im Deutschen steht die flache Niederung den Sommer über unter Wasser; faures Gvas wächst hier, Schilf and Binsenrohr, dazwischen blüht die schönste Augenweide von Teuchtend blauem Enzian und rotem Bienentraut. Das ist ein Nistplatz für Wasservögel, Negenpfeifer und Seeschwalben, und manches Jahr konnte man hundertundeins Kibikeier ausheben und in den Sachsenwald schicken, wenn der Alte noch lebte. Der Boden ist schwarz und moocig, bis vor vierzig Jahren wurde hier Torf gestochen, gleichfalls von Schweizern. Auf diesem fetten Sumpfgrund wachsen die Betten für Ochs und Kuh, eine Lager­streu, die so hoch im Breise steht wie das beste Futterheu; darum find die Schweizer wie die Schelme dahinter her.

Ich wirkte also noch dazu vaterländisch, als ich einen Morgen Ctreuland wieder in deutsche Hände brachte, obwohl ich ganz felbstsüchtig einen Blak zum Baden haben wollte. Jenseits der

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Wie wenig angebracht, ist es um das hier einzu­flechten, die deutsche Revolution jener gleichzustellen! Ge­wiß: auch der November- Revolution von 1918 ist eine Be riode der Vorbereitung vorangegangen. Aber diese Vor­bereitung war ganz anderer Natur, trug einen völlig ent­gegengesetzten Charakter, war mehr mechanischer Art. Sie geschah", sie ereignete fich"-man muß trotz des Explo­fionsartigen, das ihren Beginn auszeichnete, diese ab­schwächenden, abstumpfenden Worte anwenden bei abio­luter geistiger Teilnahmslosigkeit und Unberührtheit selbst der Kreise, die ihr doch naturgemäß am wenigsten fremd hätten gegenüberstehen müssen. Daran trägt nicht allein die Politik bzw. Kriegspolitik des verflossenen Regimes die Schuld. So zutreffend es natürlich ist, daß die wilhelminische Regierung alles tat, um sich nicht in die Karten sehen zu lassen, um den Glauben an einen endlichen Sieg der Ge­rechtigkeit" immer aufs neue durch Lügen und Fälschungen zu stärken, um endlich sogar die Gleichgültigkeit des Volkes geradezu zu pflegen,- so sehr es zutrifft( und das ist in diesem Falle von großer Bedeutung!), daß unter dieser selben Regierung in den gesegneten Jahren des Friedens" das geistige Eigenleben der Nation mit allen Mitteln und nach besten Kräften erfolgreich unterdrückt oder wenigstens in recht engen Grenzen gehalten wurde ebenso wahr ist es, daß sich die Nation und ihre führenden Geister diesem Zwang viel zu willig unterwarfen, von den vielen Ferdinand Bonns ganz abgefehen.

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Auch an diese Tatsache der allgemeinen völkischen Gleich gültigkeit, des nationalen Philistertums habe ich bereits erinnert und erwähne ihrer jetzt nur aus dem Grunde noch einmal, weil sie schlagend beweist, daß von einer geistigen Durcharbeitung des Volkes im revolutionären Sinne wahr. haftig nicht die Rede sein fann.

Es fann mit aller Bestinumtheit gesagt werden: der Kampf der Geister, soweit man ihn als einen solchen an Sprechen fann und wie wir ihn in der Vorkriegszeit er. lebten, war ziemlich primitiv, was seinen Inhalt anlangte, und recht verworren in Hinsicht auf Form und Art. Er wickelte sich auf einer ziemlich tiefen Stufe ab. Ich möchte ihn beinahe als einen Stampf der Ideenlosigkeit bezeichnen,

Hochwassergrenze am Strand ließ ich einen Pfahlbau errichten, eine Hütte auf alten eichenen Pfosten, mit Fenster und Laden, und umgab sie im Halbgrund mit Gesträuch, zum Schutz gegen fremde Augen: Silberweiden, Pappelin und Birken wurden hoch stämmig gepflanzt; und daß ich mich recht heimatlich drunter fühlte, verschrieb ich mir die Sträucher von zuhause aus einer Schwabengärtnerei unter der Achalm.

Der Strand war ungleich beschaffen; ein Teil trug feinen Sand mit abertausend fleinen Schneckchen, wie er hierzulande an infel artigen Landgungen und Buchten angeschwemmt wird. Die Bauerfrauen holen die Schneckenhäuschen in Körben als Futter für fallarme Hennen; das gibt die stärksten Eierschalen.

Ein anderer Teil war blauschwarz und schwammig, schlecht zum Baden und gefährlich; schwarze Blutegel gedeihen darin. Da galt es, Kulturträger zu sein; schon stieg der See täglich. Zehn Meter vom Strand am Seebett, wurde aus Steinblöcken und Baumästen eine Faschinenmauer errichtet, seitlich durch eine bretterne Städe geschlossen; landeinwärts dahinter sollte aufgefüllt werden; wo. her aber Erde nehmen und nicht stehlen? Da ließ ich auf dem naffen Streusand breite und tiefe Grenzgräben öffnen, die dent versumpften und ersoffenen Boden Luft schafften; den Aushub fuhren wir auf kleinen Starren hinter die Faschinenivand. Das leuchtete den Bauern ein; zwei Muden auf einen Schlag, und die Bauern überließen mir gerne die zweifache Arbeit: ihr Land zu entwässern und meine Grube dafür zu füllen.

Nun steht das Neuland, das ich dem See abgewonnen habe, feft und eben da, mit, Graswuchs und Sträuchern; wir haben es aus geprobt, es läßt fich prächtig baben, und die Kinder fingen schon an, um Boot und Städe zu schwimmen. Das war im Vorsommer. An dieser Stelle muß übrigens ein Hauptplatz der Pfahlbauten geit gewesen sein, eine alte Niederlassung am See; man findet im Winter noch genug Pfeilspiben und Steinbeile. Es gibt auch