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Die Gleich beit
Revolutionsmännern zutraf. Nur daß sie es eben in einem höheren, unbegreiflichen" Sinne waren. Ihnen war der Weitblick gegeben, von dem ich oben sprach, sie zogen aus den Ereignissen von 1789, die für so viele Hemmung, Erstarrung, Schrecken waren, mit wundervoller Ruhe die Folgerungen praktischer und ideeller Art und bewiesen so am besten, wie gut fie ihre Zeit verstanden. Sie übertrugen, wenn ich das Bild amvenden darf, die Revolution auf ihr geistiges und seelisches Leben, verinnerlichten, durchgeistigten sie, setzten Kampf gegen Kampf und deuteten wegweisend aus dem Chaos in die Schönheit einer festgefügten, ehrlichem Wollen, edlem Sehnen erreichbaren Harmonie.
Mochte auch Friedrich Schiller im Augenblick, da ihm schöne, beglückende Träume durch Ungeheuerlichkeiten zerstört wurden, verzweifeln und an der Menschheit irre werden: er ließ fich nicht werfen. Indem er sich Kant zuwandte, offenbart er, daß sein Aufstieg sich weiter fortsetzt, daß die gewaltsame Er. schütterung, die sein Ideal traf, den Willen und Drang auslöste nach einem unbeirrbaren, festgefügten Fundament. Mitten aus Zerstörung und Zusammenbruch gewann er„ Mut des reinen Lebens"; nie sind edlere Richtlinien aus einem Werke des Blutes und der Entschlichkeiten genommen worden.
Mit dürren Worten läßt sich aussprechen, was Schiller zit Kant 30g: der Trieb zur Klarheit. Und unter welchen ginftigen Umständen geschah die Annäherung! In einem Augenblic, da die Gebilde einer eigenen unffaren und unentwickelten Sehnsucht von brutalen Tatsächlichkeiten zertrümmert wurden und sich mit Naturnotwendigkeit entweder Verzweis lung oder Entsagung oder neues Arbeiten Arbeiten ergeben
mußten!
Stant gab diese Klarheit, die Schiller für sich und sein Werk so dringend benötigte; in wundervollen Worten hat Wilhelm von Humboldt die einzigartige Leistung des Königsberger Philosophen gewürdigt:
,, Stant unternahm und vollbrachte das größeste Werk, das vielleicht je die philosophierende Vernunft einem einzelnen Manne zu danken gehabt hat. Er prüfte und sichtete das
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Feuilleton
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Sozialismus iſt nicht Bruderschaft Sozialismus iſt nicht Bruderschaft; er ist Gemeinschaft und Brüderlichkeit, iit Gelinnung. Die Menschheitsfamilie, der Sozialismus, it Golfftrom aller Erdteile.
Aber da die Liebe zwifchen Brüdern beim Erbe auseinander Itrebte, fo wollet, daß der Sozialismus, das heiligste Vätererbe
enger zufammenführe.
So, daß aller Kampf nicht um das Erbe, fondern für das Erbe
geführt werde.
Denn Sozialismus ift auch Kampf! Durch Kampf geboren, wird er auch im Kampfe leben. Das durch Kampf erhöhte Leben ist Sozialismus. Die Brüderlichkeit aber bleibe der Golfitrom der vom Herzen zum Herzen geht.
Meine Liesbeth
Von einem luftigen Reichstagsmitglied
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ganze philosophische Verfahren auf einem Wege, auf dem es notwendig den Philosophien aller Zeiten und aller Nationen begegnen mußte; er maß, begrenzte und ebnete den Boden desselben, zerstörte die darauf angelegten Truggebäude und stellte, nach Vollendung dieser Arbeit, Grundlagen fest, in welchen die philosophische Analyse mit dem... natürlichen Menschensinne zusammentraf. Er führte im wahrsten Sinne des Worts die Philosophie in die Tiefen des menschlichen Busens zurück."*)
Nein, eine solche Erscheinung konnte an Schiller nicht unbemerkt vorübergehen. Ihn, der immer über seiner jedesmaligen Beschäftigung schwebte, der die Boesie selbst, fiir welche die Natur ihn bestimmt hatte und die sein ganzes Leben durchdrang, doch auch wieder an etwas noch Höheres anknüpfte, mußte eine Lehre anziehen, deren Natur es war. Wurzel und Endpunkt des Gegenstandes seines beständigen Sinnens zu enthalten... Es mußte ihn mächtig ergreifen, das natürliche, menschliche Gefühl in seine Rechte eingesetzt und in seiner Neinheit philosophisch begründet zu finden."
Jm genanen Sinne ist die ganze Entwicklung des menschlichen Geistes, vom Anfang bis zum Ende, eine andauernde Revolution. Aber ebensogut läßt sich im entgegengesetzten Sinne von einemt fortwährenden Aufbau sprechen. Für uns find entscheidend die einzelnen Epochen der Geistesentwidlung, die Zeitpunkte, an denen gleichsam die Bilanz ge30gen wird, an denen sich zeigt, in welche Bahnen der reifer gewordene Geist drängt oder gedrängt wird, ob er resigniert versagt oder ob er vorwärtsgehend Neues produziert. Sie find Abschluß und Beginn.
In heißen Kämpfen hat Schiller mit der Stantischen Lehre gerungen, bevor er dazu gelangte, sich in sie einzuleben und sie
*) Es fällt mir schwer, eine Charakterisierung abzubrechen, die ohne alles schwärmerische Entzücken eine so gerechte und berständnisvolle Würdigung darstellt. Sie ist zu finden in der kleinen Schrift Ueber Schiller und den Gang seiner Geistesentivid lung", die als Band 88 der wertvollen Infel- Bücherei erschienen ist mir dadurch das Wohlgefallen aller Genossinnen, der schönen sowohl als der minderschönen, zuzuziehen. Es wäre ein Standal, wenn ein Mann, der an seiner Frau den Narren so gefressen hat wie ich an meiner Liesbeth, dem unbeweisten lachenden Philosophen nicht widersprechen wollte, der von gewissen Frauen die frivole Behauptung aufstellte, sie wären die Plagen, mit denen Moses die Aegypter zu schlagen vergessen hat. Ich kann auch die generelle Behauptung Heinrich Heines nicht unwidersprochen lassen, daß man bei Weibern nie wisse, wo der Engel aufhört und der Teufel anfängt; ich lege für meine Liesbeth ausdrücklich Verwahrung ein und behaupte, sie ist ein Engel, wenn sie auch feine Zähne mehr im Mund hat, weder echte noch falsche. Wenn sie noch fathe lisch wäre, würde sie sogar unfehlbar heilig gesprochen werden müssen und einen Platz einnehmen in der Legende der Heiligen. Für diesen Verlust soll sie aber durch diese Ehrenrettung in der Gleichheit" einen bollwertigen Ersatz haben. Dem liederlichen Nietzsche aber will ich erst recht auf die Finger Klopfen für die nichtsnugige Behauptung, das Weib sei der Freundschaft nicht fähig; das Weib sei entweder eine
Was, Deine Liesbeth", höre ich die schönen Referinnen Rake oder ein Vöglein oder aber eine Kub; wenn ein Mann
schon fragen: Was tut die in der„ Gleichheit"? Na, wenn die die Ehre hat, muß ich, die Anna, und ich, die Grete, auch hinein. Das balte ich für recht und billig, vorausgesetzt daß beide so viele schöne weibliche und mütterliche Tugenden und so viele Kinder haben wie meine Liesbeth, und daß die Chemänner der Anna und der Grete selbst von deren Engel haftigkeit überzeugt sind und ihre Stomplimente ebenso auf richtig schreiben wie ich.
Außerdem lobe ich meine Liesbeth, weil ich den lachenden Philosophen Weber, den Spötter Heine und das Schandmaul Niessche ins Unrecht jeten will, in der Hoffnumz,
zu einer Frau gehe, soll er die Peitsche nicht vergessen. Dec Nietzsche hätte ein Dutzend solcher Frauen verdient wie er sie schildert. Schade, daß er gestorben ist. Lebte er noch, würde ich ihn aus purer Begeisterung für meine brave Liesbeth auf frumme Säbel fordern. Von allen großen Männern, die fich über Frauen äußerten, fann ich nur Napoleon, dem Halbgott, zustimmen, der der Madame de Stael auf die Frage, welche Frau er am höchsten stelle, die prächtige Antwort gab: diejenige, welche die meisten Kinder hat.
Meine Liesbeth hatte nämlich zwölf, wovon acht leben, und die sehen mir alle ähnlich. Die Aehnlichkeit der Halb