Beilage zu ,, Die Gleichheit"

Nummer 45/46

Berlin, 27. Dezember 1919

Robert Wilbrandt  : ,, Sozialismus Professor Robert Wilbrandt   in Tübingen  , der schon vor mehr als einem Jahrzehnt als Berliner   Privatdozent in seinem treff­lichen Werk Die Weber in der Gegenwart" und in anderen fleineren Schriften seine Hinneigung zum Sozialismus offenbarte, hat nun nach dem. vor kurzem erschienenen ausgezeichneten Mary­Büchlein( Teubner), während der Revolutionszeit ein größeres Werf ,, Sozialismus" beendet.( Eugen Diederichs  , Jena  .)

Aus der hingebungsvollen Zuneigung an den Vater, den Dichter Adolph Wilbrandt, erkennt der Leser, daß hier ein außergewöhn­lich leidenschaftlicher Wahrheitssucher zu ihm spricht, dem es nicht Teicht geworden ist, sich aus dem Milieu der nationalen Einheits­schwärmerei der Bismarckzeit zu dem allgemeineren Menschheits­ideal des Sozialismus zu entwickeln. Aber um so mehr wird ihm selbst der bürgerliche Leser vertrauen dürfen, daß die Ver­einigung von Vaterlandsliebe und Sozialismus, die sich in ihm vollzogen hat und die er ebenso in einem wahrhaft sozialistischen Staat von der Arbeiterschaft erhofft, der Ausdruck tiesinnerster Ueberzeugung und lautersten Wohlwollens ist.

Die ersten Stapitel des Buches," Wurzeln des Sozialismus" und Aufteimende Praxis"( nämlich der verschiedenen Formen der Gemeinwirtschaft), die lange vor der Revolution entstanden sind, bringen für den sozialistischen   Leser zwar meist schon Bekanntes. Doch die glühende Menschenliebe, die auch hier wieder, wie in

29. Jahrgang

Seelenverfassung des heutigen Proletariats sich auftürmen. Aber, echt marxistisch, glaubt er, daß nur auf dem Untergrund einer sozialistischen   Umwelt und Wirtschaft, nur durch Mitbesitz und Mitverantwortung am wirtschaftlichen Gedeihen die Arbeiter­massen allmählich zu jener sittlichen Höhe heranzeifen werden, auf der eine Vereinigung von Sozialismus und Vaterlandsliebe fich vollziehen kann.

Ein beredtes Beispiel für eine solche Entwicklung ist ihm das ruhige und besonnene Verhalten der Arbeiterschaft des Zeißwe: fes, die jahrzehntelang zur Mitverantwortung erzogen worden ist, in­mitten eines Chaos von Streiks und wahnsinnigen Lohnforde= rungen. Ebenso die Tatsache, daß die extremsten Elemente im Ruhrrevier als Polizei wirken konnten, sobald sie ihre berechtigten Forderungen erfüllt sahen.

In diesem Glauben an die Entwicklungsmöglichkeit der mensch­lichen Seele klingt das wahrhaft erhebende Buch aus.

Sehr zu bedauern ist sein hoher Preis. Denn es wäre wert, die allerweiteste Verbreitung zu finden; unter den jog. Gebil deten, um sie in gemeinverständlicher Form über das Wesen des Sozialismus aufzuklären, unter dem Proletariat, um es von wahnwizzigen Taten abzuschreden, besonders aber unter den führenden Geistern der Partei, um ihnen Mut zu entschlossenen Dr. Dora Landé. Taten einzuflößen.

allen Wilbrandtschen sozialpolitischen Schriften uns umweht, ber- Die Notwendigkeit von Rednerschulen

leiht auch diesen Kapiteln einen sittlich originalen Wert, der nur mit dem der Schriften seines großen Meisters selbst, mit Marg, verglichen werden kann.

Im dritten Teil des Buches Sozialisierung", der ganz und gar unter dem Eindruck leidenschaftlichsten persönlichen Mit­erlebens und Mithandelns an den politischen und wirtschaftlichen Kämpfen der Revolution durchdacht und niedergeschrieben ist, übt Wilbrandt   scharfe Kritik an der Regierung. Sein Standpunkt ist schon durch zahlreiche Aufsätze und öffentliche Vorträge der letzten Monate bekanntgeworden und gewinnt durch seine theo­retische Mitarbeit wie durch sein persönliches Wirken im Ruhr fohlenrevier als Mitglied der Sozialisierungskommission eine praf­tische Bedeutung, die weit über den Bereich des reinen Theori­fierens hinausgeht. Wie die Mehrheit der Kommission drängt auch Wilbrandt   zur sofortigen Sozialisierung in weitestem Um­fange auf allen Gebieten der Industrie und, was besonders zu bemerken ist, auch der Landwirtschaft. In der energischen und aufrichtigen Durchführung sozialisierender Maßnahmen sieht er die einzige Rettung aus dem Chaos der Gegenwart, das einzige Heilmittel für das arbeitsentwöhnte Proletariat wie auch für die ganze Unwirtschaftlichkeit der Volks- und Weltwirtschaft, den ein­zigen Weg endlich auch zu einem wahrhaften Völkerbundsideal. Doch ist Sozialisierung in seinen Augen nicht einfache Verstaat­lichung, vielmehr im allgemeinen Ueberführung des Ertrages an die Betriebstätigen selbst und an den Staat oder auch an ge­meinnüßige Zwede unter Anlehnung an den Staat und möglichster Wahrung der Initiative tüchtiger Betriebsleiter. Dafür gibt es mancherlei Möglichkeiten. Als Vorbilder im fleinen weist der Autor auf den Stiftungsbetrieb des Zeißwerkes in Jena   und auf den Genossenschaftsbetrieb von Guise   in Frankreich   hin. Aber auch den Konsum- und Produktivgenossenschaften und kommunal­sozialistischen Unternehmungen will er für die Zukunftsorgani­sation unserer Wirtschaftsordnung einen weiten Raum gönnen. Entweder, so meint Wilbrandt  , man entschließt sich zu weitest­gebenden Sozialisierungen, dann hat man es in der Hand, unsere Volkswirtschaft mit Vernunft wieder aufzubauen. Andernfalls greifen die Massen zur Gewalt, flüchtet die Seele in die Wildnis zu Spartakus

Nicht daß der Autor die Regierung des bewußten Verrats an ihren bisherigen Jdealen oder des bösen Willens antlagt. Aber er zeigt, wie einseitig die Machtpsychose in einzelnen Personen wirkt, andererseits der fehlende Glaube an die heilende Wirkung der Sozialisierung, das allzu starre Festklammern an der revisio­nistischen Auslegung Margistischer Grundsäße ein Nicht können im tieferen Sinne, eine Lähmung des Willens erzeugt, die uns verhängnisvoll werden muß. Freilich auch Wilbrandt   in seinem Optimismus fann sich nicht die Hindernisse verhehlen, die in den realen wirtschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart und in der

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Rednerisch geschulte Kräfte sind eine Vorbedingung für die Ausbreitung der Ideen, die die Arbeiterbewegung erfüllen", so sagt Robert Albert in einem Aufsatze über Rednerschulen. Er errichtete selber Ende April 1919 eine Rednerschule, da er das Bedürfnis der Partei und der Gewerkschaften nach Nach­wuchs rednerisch gebildeter Kräfte empfand. Wenn die Masse sogenannte Volks­auch Redner, die volkstümlich sprechen redner am meisten schätzt, so ist doch ein Volksredner auf feinen Fall einer, der redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist", sondern vielmehr ein Redner, der seine natürliche Ver­anlagung durch Selbstzucht und Fleiß zur Vollkommenheit hin entwickelte, und der es versteht, seine und fremde Gedanken in einer dem Volfe gefälligen Form wiederzugeben. Robert Albert legt die Erfahrung über Rednerschulen in dem Sazze nieder: Das ganze Geheimnis( der Rednerausbildung) liegt in der Ausbauer, in der andauernden Uebung des lauten und deutlichen Sprechens," des fleißigen Aneignens von Wissen und Kenntnissen." Auch Frauen müssen jetzt vielfach öffentlich reden. Ihnen kommt die Beweglichkeit der Frauennatur entgegen und erleichtert ihnen, die ersten Schwierigkeiten des Auftretens und des Nedens zu über­winden. Darin aber liegt auch wiederum eine Gefahr. Nicht selten fehlt der Frau die Selbstfritik und sie ist nicht fähig, augen­blicklichen Beifall, der sehr oft eine Stimmungsfache ist, von ehrlicher Anerkennung einer Leistung auf irgendeinem Gebiete 31 trennen. Die Frau läßt sich auch viel leichter verleiten, Studien aller Art für ihre Ausbildung als zu gering anzuschlagen, versäumt ein Nachholen der Bildung und redet vielfach über Dinge, die über ihrem Wissensgebiet liegen, und die sie somit gar nicht beherrschen kann. Will man über eine Sache reden, muß man sie von Grund auf bearbeitet haben. Es ist das notwendig, um frei sprechen zu können und die Punkte hervorheben zu können, die die Träger der Nede sind. Man soll immer nur über einen Stoff sprechen, den man beherrscht, und man sollte niemals einen Vortrag ohne Vorbereitung halten. Es ist notwendig, ihn sehr sorgfältig auszuarbeiten, die Einteilung auswendig zu lernen und den Vortrag selber frei aus dem Gedächtnis heraus zu halten. Als Hilfe mag zunächst die Einteilung der Rede, die man sich aufschreiben kann, dienen. Die Einteilung ist Nückgrat oder Ge­rüft des Baues der Rede. Sie muß far in dem Kopf des Redners sich entwickeln und darf nicht künstlich sich ausbauen, sondern muß aus sich selber herauswachsen.

Wenn wir von geborenen" Rednern sprechen, hat dieses zwar eine gewisse Berechtigung, denn was man nicht lernen kann, wenigstens oft nur schwer sich erringt und aneignet, ist das freie Sprechen und die damit verbundene Hingabe an den Stoff und an die, zu denen man spricht. Eine einseitig mit dem Verstande gehaltene Rede fann nur den Verstand ansprechen und nur einen