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Die Gleich beit

nux einmal einige Kapitel aus Kants Kritik der praktischen Bernunft"), wo er von der Heiligkeit der Pflicht" und von der feierlichen Majestät des moralischen Gesches" spricht, und fühle die tiefe Erschütterung in seinem Innern nach. Hier ift etwas so ungewöhnliches, Mose und alle Propheten( im weitesten Sinne!) Ueberragendes, daß wir uns ans Herz fassen und sagen: Hier spricht ein Mensch zu uns, dessen Reich gleich Christi Reich nicht von dieser Welt ist. Hier durchdringt das Göttliche das Menschliche wie der Sauerstoff den Aether und gibt eine Lebenskraft und einen Mut der Bejahung, der die Elemente schafft zu einem höchsten Dasein. Und wenn wir nach dem Urquell dieses höchsten moralischen Gesezes fragen, so lautet die Antwort: Rants Mutter. Sein Biograph Borowski fchreibt darüber kurz und schlicht:" Diese Forderung seiner reinen praktischen Bernunft, heilig zu sein, war schon sehr früh die Forderung seiner guten Mutter an ihn selbst", und er fügt aus­drücklich hinzu, daß Kant diese Stelle seiner Handschrift nicht abgeändert, nichts dabei notiert, folglich gebilligt hat. Sie gibt über den Rigorismus( Strenge) feiner Moral ein gewiß nicht unbedeutendes Licht."

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Seltsamerweise oder vielleicht auch begreiflicherweise? habe ich noch bei keinem Erläuterer der kantischen Philosophie auf diesen Umstand hingewiesen gesehen. Und doch, welch großer, ja eminenter Fingerzeig liegt darin, den Zusammenhang des feelischen Einflusses der Mutter auf das Kind festzustellen und den Beweis zu erbringen, wie Mutterdenken, Mutterempfinden, Mutterhandeln einem Kinde, ja oft der ganzen Menschheit wie Hier bei Kant zum Segen werden kann.

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Muttersegen, Elternhaus was bedeutet es nicht für jeden einzelnen! Nur wenige sind in der Lage, sich je in die Gedanken­welt des Königsbergers einzudenken, dazu gehört unendlich viel Beit und ein eiserner Wille zur Denfarbeit. Selbst Goethe schredte vor Rants Hauptwerk zurück; seiner Dichtersprache war die Ausdrucksweise zu spröde, zu überfinnlich, und so geht es vielen. Aber in sein Elternhaus- da können wir uns alle einfühlen, da herrscht der gute Geist, von dem jeder einen Hauch verspüren und mitnehmen kann in die Kinderstube, die Schule, die Werkstätte. Wenn wir Kant verehren als eine Er­scheinung, deren die Welt nur alle Jahrtausende eine geschenkt erhält, so find uns die Eltern auch ein Vorbild, gleich ehrwürdig wie der Sohn, der von ihnen erzählt: Nie, auch nie ein einziges Mal habe ich von meinen Eltern irgend etwas unanständiges hören dürfen, nie etwas Unwürdiges ge=

*) Neclams Ausgabe 1111/12,

erscheinen, da fein einziger Sonnenblick über dem ganzen Drama leuchtet.

Auch Klara Viebig , die tapfere Realistin in der Schilderungskunst, hat uns in ihrem Roman vom Täglichen Brot" solche Mutter- und Kindesleiden, wenn auch nicht mit der Wucht Goethes und Hebbels, geschildert. Sie läßt eine junge Mutter ihr Neugeborenes ausseßen, um es dann, von Muttersehnsucht gepackt, wieder aufzusuchen. Gerhart Hauptmann , der einst vielgefeierte schlesische Dichter, schuf in seiner ,, Rose Berndt " ebenfalls eine Magdalena, wie man diese unter den ländlichen Haustöchtern und städtischen Dienst boten gar oft begegnet. Und dieser naturalistische Wortführer hat den Konflikt seiner Heldin so ergreifend gezeichnet, daß wir mit dem Dichter überzeugt gestehen müssen: dieses Mäd­chen, dem die Männer keine Ruhe ließen, und ihr solange nachstellten, bis sie im Unglück saß, dieses Mädchen konnte nichts anderes fun, als was geängstigtem Herzen und be­schränktem Verstande unter dem Elend der kapitalistischen Wirtschaftsweise als das nächstliegendste dünft, als das Kind zu töten. Kein Anklagewort ob des vernichteten armen Wurms kommt von unseren Lippen, ja wir sind geneigt, mit dem Volksmund zu sagen, daß das Kind der Sünde oder der Schandfleck, wie es in einer Erzählung Ludwig Anzen­grubers heißt, so am besten aufgehoben ist.

Hauptmann ist in seinem Werk den Spuren eines Ju­gendfreundes Goethes gefolgt. Schon vor hundertvierzig Jahren hatte Heinrich Leopold Wagner mit dichte­rischer Leidenschaft eine Borgängerin der Rose Berndt in sei­nem urwüchsigen Trauerspiel Die Kindesmörderin" ge­

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sehen." Er ist stolz auf sie, die ihm ein Muster des Fleißes, der Ordnung, der Menschenliebe find. Mit besonderer Freude er­zählt er, wie sie Freunde der Wahrheit gewesen und nie sei aus ihrem Munde auch nur eine Lüge gekommen.

Dabei herrschte im Hause nicht etwa ein finsterer, weltabge­wandter Geist. Natürlichkeit und Heiterfeit, in deren Sonne sich alle guten Eigenschaften entwideln fönnen, waren die Hausgeister, mit deren Hilfe die Kinder- fieben an der Zahl- heranwuchsen.. Die Erziehung war eine streng christliche, aber frei von Muder­und Zelotentum und unduldsamer Orthodoxie.

Die Mutter führte ihren Manelchen", wie sie den Namen Immanuel kosend fürzte, als er sechs Jahre alt war, selbst zur Schule und nahm an seinen geistigen Fortschritten innigen Ana teil. Sie selbst lernte durch den Jungen, und einer ihrer liebsten Gänge war, ihn abends hinauszuführen, ihm die unendliche Sternenpracht zu zeigen, ihm das Universum zu erschließen, so weit sie dies vermochte. Wer weiß, ob nicht in jenen Kindestagen schon die Keime zu den Gedanken gelegt worden, die uns der Philosoph in seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels" gezeigt hat. Nur schade, daß der Lebensfaden dieser lugen Frau so kurz gesponnen war. Sie starb, als ihr Sohn erst 13 Jahre alt war, zu einer Zeit, da sie wohl erkannt hatte, daß außergewöhnliche Fähigkeiten in ihm schlummerten, wo sie aber doch nicht ahnen konnte, daß das kleine, zarte, etwas berwachsene Bürschlein mit den blonden Haaren und blauen Sternenaugen eine Seele in fich trage, deren Schwungkraft einst die ganze europäische Gedankenwelt umformen sollte und der ein­Mann werden würde, dessen Name in der Geisteslehre denselben Ruf bedeute wie der eines Kopernikus in der Körperlehre.

Was Kant in seinem späteren Leben so beliebt machte bei hoch und niedrig, das waren seine guten Manieren. Der Geistes­gewaltige konnte sehr ungehalten sein, wenn der gute Ton" übersehen wurde. Wir gehen nicht fehl, wenn wir hier auch wieder die edle Frau" erblicken, die ihrem Sohne das Feingefühl übertrug.

Jenes Feingefühl für den inneren und äußeren Anst and, ohne deffen Beachtung der Verkehr von Mensch zu Mensch so unangenehm werden kann, dessen Vorhandensein uns ein Beweis guter Kindheitserziehung ist.

Rant war stets stolz auf seine Erziehung im Elternhaus. Als ihn sein Schicksal Hofmeister in einem hochgräflichen Hause werden ließ, meinte er, daß er seine Erziehung und die Eindrücke seiner Kinderstube nicht vertauschen möchte mit dem, was er dort erlebt habe. Die einfache Handwerkerstube hatte ein besseres Edelreis hervorgebracht wie der gewaltige Schloßbau.

schaffen. Bei ihm ist es eine Eva, die, vom Manne verführt, ihrem Kinde den Tod gibt. Woher der aus der Sturm- und Drangperiode der deutschen Literatur herüberragende Dichter seinen Stoff hatte, ist uns unbekannt. Bon Gerhart Haupt­ mann wissen wir, daß er als Geschworener einstmals ein Era lebnis hatte, das er später zu seinem erschütternden Drama formte.

Anders als der Schlesier Hauptmann hat der oberbayerische Volksschilderer Ludwig Thoma das Elend der unehelich gebärenden Mutter gestaltet. Er läßt sein harmloses Land­kind in die Stadt ziehen, allwo die Bedauernswerte einem Schwindler in die Hände fällt, um dann nach der Entbindung den Weg so vieler ihrer Schwestern, den der käuflichen Dirne zu gehen. Und als dann das unglückliche Mädchen nach der Heimat kommt, und die fromme" Zentrumsbevölkerung solch eine" nicht unter sich dulden will, da packt den Vater der ungeratenen" Tochter die Verzweiflung, er sticht Magda­lena nieder, damit der fromme Böbel sein Kind nicht lebendig in die Hände bekommt. Der Pöbel, der das Haus des Nach­bars stürmen will, um die Unglückliche dem Fanatismus zit opfern. Unter ähnlich fromme Elemente führt uns Sudolf Greinz in seinem Roman von der Gertraud Sonn weber". Doch hat dieser Tiroler Dichter das Motiv kompli zierter gestaltet. Hier ist es der junge Pfarrer des Dorfes, der in reiner Liebe das ihm zugetane Mädchen schwängert, aber nachher nicht den Mut findet, seine Tat öffentlich zu vertreten. Blindfanatische Dorfgenossen steinigen die Schwans gere aus dem Dorf. Bei Nacht und Nebel in Gegenwart zweier Holzknechte bringt sie in einer Berghütte ihr Kind zur