Nr. 10

30. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Mit den Beilagen: Für unsere Kinder. Die Frau und ihr Haus

Die Gleichheit erscheint wöchentlich

Preis: Monatlich 1,20 Mart, Einzelnummer 30 Pfennig Durch die Voit bezogen vierteljährlich ohne Bestellgeld 3,60 Mart; unter Kreuzband 4,25 Mart

Berlin 6. März 1920

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Zuschriften find zu richten an die Redaktion der Gleichheit, Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Amt Morigplag 147 40 Expedition: Berlin SW 68, Lindenstraße 3

Der Gesezentwurf über die Grundschule

Von Hedwig Wachenheim

Form zwanglos und selbstverständlich als die der sozialisti­Schulart. Die sozialistisch- demokratische Ge­fellschaftsordnung der Zukunft sett die Selbstregierung und Selbstverwaltung des Boltes in allen gemeinsamen Angelegen­heiten voraus, sowohl im Wirtschaftsleben wie in der Politif, wie in allen übrigen Kulturaufgaben. Es muß ihr deshalb darauf ankommen, alle Fähigkeiten des Volkes für diese mannigfaltigen Aufgaben freizu­machen und sie so hoch wie möglich zu ent. wideIn. Das wird in erster Linie durch ein Schulwesen angebahnt, das allen wertvollen Eigenschaften jedes einzelnen die volle Möglichkeit der Entfaltung bietet."

Als Preußen vor 100 Jahren daniederlag, richteten sich die Gedanken der großen Reformatoren darauf, aus dem preußischen Arbeits- und Gesellschaftsorganisation einzig angepakte fchen Untertanenvolf ein Staatsoolf zu erziehen. Dem galt unter anderem die Heeresreform Boyens, galt die Städteord­nung Steins, die durch die Selbstverwaltung der Gemeinde den Bürger für die Aufgaben des Staates schulen wollte, galt Humboldts Arbeit für die Volfserziehung und der Nuf Fichtes nach einer nationalen Erziehung. In Verbindung mit Ruß land und Desterreich gelang die Niederwerfung Napoleons , ehe die durchgeführten Reformen Früchte tragen konnten. Aber die Mißachtung der ihnen zugrunde liegenden Idee hat sich an Preußen und Deutschland im vorigen Jahrhundert und im Weltkrieg gerächt. Der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht war entstellt worden durch die Kluft zwischen Offizieren und Mannschaften, der Sinn der Städteordnung und des allge­meinen Wahlrechts durch die Kluft zwischen Regierenden und Regierten. Den Reformatoren der Schule aber erging es, wie fast allen großen Pädagogen, ihre Lehre fand zwar Anhänger, aber keine Durchführung. Die deutsche Schule hat nicht ver­mocht, deutsche Staatsbürger zu erziehen. Das wollte sie auch nicht. Sie war im wesentlichen eine Berufsschule, in den ein­zelnen Bundesstaaten mehr oder minder streng in Schulen für Besizlose, denen sie die für den Militärdienst, die Staats­bedürfnisse und den landarbeitenden Beruf notwendigen Kenntnisse gab, und in Schulen für Besitzende, denen sie die nötige Schulung für selbständige geistige Arbeit und Führer­stellungen im Heer und Staatswesen vermittelte, geteilt. Das Volksschulkind galt im Grunde auch 1914 immer noch für die Entlassung reif, wenn es die für einen vernünftigen Menschen seines Standes notwendigen Kenntnisse gefaßt hatte", wie es im Allgemeinen Landrecht von 1794 hieß. Man hat zu Beginn des Krieges oft gesagt, der deutsche Bolfsschullehrer sei der Sieger im Weitfrieg und hat damit fagen wollen, daß das Berständnis der Wassen für die Lage Deutschlands . dem deutschen Heere die Stoßkraft verleihe. Dieses Verständnis war nicht durch die Erziehung der staat­lichen Schule, sondern man kann fast sagen, trog der staat­lichen Maßnahmen entstanden. In der Selbstverwaltung ihrer Drganisationen waren die Arbeiter zu Bürgern größerer Ge­meinschaften erzogen worden. Nicht die jungen, zuletzt aus der Schule Entlassenen waren die Vorkämpfer der Notwendigkeit der Landesverteidigung, sondern die alten, durch Gewerk­schafts- und Parteidienst gegangenen Arbeiter. Die Sozial­demokratie war selbstverständlich die Feindin des bestehenden Schulwesens, das der Aufrechterhaltung des Klassenstaates diente. Ihre Gedanken zur Schulreform faßt Genosse Heinrich Schulz in seinem Buch Das Schulprogramm der Sozialdemo­fratie" in die Worte zusammen: In der sozialistischen Gesell­schaftsordnung fehlt jedweder Grund und jedwede Möglichkeit, den heutigen selaffenunterschied im Schulwesen festzuhalten. Dagegen ergibt sich die Einheitsschule in ihrer vollendetsten

Die Revolution hat den demokratischen deutschen Staat ge­schaffen, der Selbstregierung und Selbstverwaltung des Volkes in allen Angelegenheiten bedeutet. Der demokratische Staat muß auch nun ein einheitliches Schulwesen schaffen, das jedem Begabten den Aufstieg zu höheren Berufen ermöglicht und alle zur Bereitschaft erzieht, dem staatlichen Gemeinwesen zu dienen und ihnen den Erwerb der dazu notwendigen Fähig feiten ermöglicht. Das heißt, die Schule muß so ausgebaut werden, daß nicht nur die obere Bolksschule, sondern auch das ganze höhere Schulwesen( Mittel- und Hochschulen) direkt an eine gemeinsame Grundschule anknüpft. Außerdem müssen Mittel bereitgestellt werden, die den Minderbemittelten den Besuch der höheren Schulen trotz Verlust der Arbeitsjahre durch den verlängerten Schulbesuch ermöglichen. Die neue Reichsverfassung sagt darüber im Art. 164: Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten. Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf. Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für die Aufnahme eines Kindes in eine be­stimmte Schule sind seine Anlagen und Neigungen, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Nel­gionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend... Für den Zu­gang Minderbemittelter zu den mittleren und höheren Schu len sind durch Reich und Länder und Gemeinden öffentliche Mittel bereitzustellen, insbesondere Erziehungsbeihilfen für die Eltern von Kindern, die zur Ausbildung auf höheren Schulen für geeignet erachtet werden, bis zur Beendigung der Ausbildung."

Das

die

Die in der Verfassung festgelegten Bestimmungen über die Schule müssen noch durch Gesetze geregelt werden. Reichsministerium des Innern hat nun den ersten Schul­über ., Gesezentwurf gesetzentwurf, den Grundschule", dem Reichskabinett unterbreitet, das den Entwurf dem Reichsrat weitergeleitet hat. Der Gesetz­entwurf gehört zu den Gesezen, die den neuen Aufbau der Schule vorbereiten sollen.