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Die Gleich bett
Bewegung eine Macht geworden ist, mit der alle Wirtschaftsfaktoren zu rechnen haben.
Die wahnsinnigen Preissteigerungen belasten den Haushalt einer Konsumgenossenschaft nicht weniger als denjenigen der Einzelfamilie. Bisher wurde der Genossenschaftsbetrieb mit Betriebsmitteln aufrecht erhalten, die sich in der Hauptsache auf Geschäftsanteile in Höhe von 30 Mt. bis 60 Mt. stüßten. Alle vorwärtsstrebenden Konsumgenossenschaften hatten in den letzten Jahren die Geschäftsanteile von dem früher üblichen Durchschnittssak von 30 Mt. auf 50 Mt. bis 60 Mt. erhöht. Damit kommen aber die Genossenschaftsleitungen nicht mehr aus. In einer Zeit, in der das Pfund Hülsenfrüchte soviel Mark kostet, als es bordem Groschen wert war, kann man mit den niedrigen Borkriegssäten der Geschäftsanteile nicht mehr arbeiten. Vor dem Kriege konnte man mit 30 Mt. den monatlichen Durch schnittsbedarf eines Mitgliedes einkaufen, heute reicht der Betrag nur zu einem Pfund Schmalz wenigstens soweit es im freien Handel zu haben ist. Und die Konsumbereine sollen ja nicht mur sich aufrechterhalten, nein, sie sollen auch in raschem Tempo fich fortentwideln und neue Aufgaben erfassen. Dazu gehört aber Geld. Eine wesentliche Erhöhung der Geschäfts. anteile ist unumgänglich und dringlich. Wollte man der Entwertung des Geldes folgen, so müßte man die Ge. schäftsanteile auf 300 Mt. erhöhen. Wo weitsichtige Mitglieder dazu bereit sind, werden die Früchte nicht ausbleiben. Wo diese Erhöhung nicht durchführbar erscheint, sollte man wenigstens auf 100 bis 200 f. steigern. Wer auf diesem Gebiete nicht mitgeht. bindet der Leitung seiner Genossenschaft die Hände in einer Zeit, in der sie mehr denn je Bewegungsfreiheit und reichliche Betriebsmittel benötigt.
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Gewaltige Umsatzsteigerungen in allen deutschen Konsum bereinen fennzeichnen die gegenwärtige Periode. Bum großen Teil sind es die Preiserhöhungen, die darin zum Ausdruck fommen. Nicht univesentlich ist aber auch die größere Anteilnahme der Mitglieder und der Zustrom neuer Mitglieder, die zum Emporschnellen der Ziffern beitragen. Die 13 größten rheinisch westfälischen Konsumvereine haben den Umjazz, der im Jahre 1918 achtzig Millionen betrug, auf 121 Millionen im Jahre 1919 gebracht. Vei 26 nordwestdeutschen Konsumbereinen, die im Jahre 1918 einen Umsatz von 116 Millionen hatte, fonnte der Betrag im Jahre 1920 auf 240 Millionen gesteigert werden. Viel bedeutender aber noch ist das Emporschnellen der Ziffern in den letzten Monaten. Die brandenburgischen Konsumvereine zählten 19,4 Millionen im November 1919 gegen 6,4 Millionen Mark Umsatz im gleichen Monat des Vorjahres. Im Dezember erzielten diese gleichen Vereine 24,6 gegen 8,5 Millionen im Jahre vorher. Allein die große Berliner Konsumgenossenschaft erreichte einen Monatsumsatz von 10 Millionen gegen 3,9 Millionen im Dezember 1919. Aehnlich ist es im ganzen Deutschen Reich. Neugründungen, Verschmelzungen, Ausbreitung der Konsum bereine werden aus allen Teilen Deutschlands gemeldet. Ez geht stürmisch vorwärts, und man müßte tausend Einzelheiten aufführen, wollte man von allen Fortschritten berichten. Mehr denn je aber, ist es in dieser Zeit lebendiger Fortentwicklung notwendig, daß sich tausend Hände regen, um die an leitender Stellung befindlichen Genoffen zu unterstützen. Vertrauensvolle Mitarbeit der Mitglieder und vor allem auch der Frauen ist erforderlich, um die Errungenschaften zu mehren und das Erworbene zu festigen. Noch wiffen wir nicht sicher, was uns die Zukunft in wirtschaftlicher Beziehung bringt. Zweifellos werden harte Jabre wirtschaftlicher Schwierigkeiten und Kämpfe nicht ausbleiben. Was die organisierten Verbraucher an gefestigter Organisation und Macht in diese Periode hineinbringen, das wird dazu beitragen, ihnen die kommende Zeit erträglicher zu gestalten, und wer daran hilft, der nüßt sich und seinen Bolksgenossen mehr, als er augenblicklich übersehen kann. Abolf Rupprecht.
Aus unserer Bewegung
Wohlfairiskonferenz in Annaberg
Wie anders sah das Erzgebirge heute aus als vor fünf Wochen. Damals Schnee und Tauwetter, heute der Frühlingsbeginn. Die Sonne lachte auf grüne, mit Blumen übersäte Wiesen, auf murmelnb awischen ihnen laufende Bergflüsse, auf Birken im ersten Grün. Die fleinen Städte lagen im Sonnenschein, und das Auge, das im Frühling das Schöne sucht und das Häßliche überjieht, schaute nicht auf die Fabriken, sondern ruhle gern auf den
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alten Mauern und Fachwerkbauten, zwischen denen erstes Grün und erste Blüten schimmerten. Annaberg zeigt sich weit oben am Berghang überragt von dem mächtigen Bau der alten AnnenKirche. Vor fünf Wochen müßten wir im Glatteis hinaufMettern zum Marktplatz, heute schien wohlig warm die Frühlingssonne. Damals war ich mit einer aus dänischen und deutschen Gewerk schaftlern bestehenden sozialen Studienkommission hier gewesen. Grauenhafte Not, furchtbares Elend haben wir gesehen. Schlechte Löhne, dabei Teuerung wie in der Großstadt, Heimarbeit von Frauen und Kindern bis in die tiefe Nacht hinein haben Unterernährung, Erhöhung der Zahl der Nachitischen, Tuberkulöjen, der Sterbefälle im Gefolge.
Heute berichtete der Leiter des Gewerkschaftsfartells zuerst mit innerer Zufriedenheit vom Generalstreit. Es war gelungen, die genügsame, im Frieden und Krieg, und nachher gegen ihr Schickfal viel zu gleichgültige Arbeiterschaft zum Stampf um Freiheit und Recht aus den Betrieben zu bringen. Feindlich standen ihnen die Arbeitgeber gegenüber. Das verlieh dem Kampf Schwung und nachhaltige Wirkung. Und die Konferenz, zu der wir heute gekommen waren, zeigte Wege, auf denen die Hilfe des Aus- und Inlandes Gutes, Hilfe vollbringen kann. Aber alle diese Knospen können nur blühen und reisen, wenn der Baum, an dem fie wachsen, wenn Deutschland wieder gedeiht. Nur dann kann die Gesundung der Arbeiterverhältnisse im Erzgebirge trop folidarischer Hilfe des In- und Auslandes kommen.
Die Konferenz vom 12. April 1920 in Annaberg galt einer Aussprache der betreffenden Ortzausschüsse für Arbeiterwohlfahrt mit dem Bezirksausschuß in Annaberg und Vertretern des Hauptausschusses in Berlin . Dazu waren vom Hauptausschuß in Ber lin die Genoffinnen Nyned und Wachenheim , und von den Orts. ausschüssen zirka 25 Tellnehmer, auch Frauen, erschienen. nosse Jungnickel- Annaberg leitete die Sißung. Die Genossin Ryned berichtete zunächst über die Aufgaben, die sich die Arbeiterwohlfahrt gestellt hat und über ihre Biele. Alle Teilnehmer stimmten darüber überein, daß die Gründung der Arbeiterwohl= fahrt notwendig war, um ber Arbeiterschaft eine Basis zu geben, von der aus die Arbeiter die Wohlfahrtspflege in ihrem Sinne gestalten fönnen.
Die Versammlung behandelte dann die Organisation im Erz gebirge . Der Leiter des Bezirksausschusses, Genosse Rudolf Schmieder- Annaberg i. S., Vogtstr. 3, Telephon 425, soll den Orisausschüssen Anregungen und Auskünfte geben. Die Notwendigkeit der Teilnahme an allen Wohlfahrtsarbeiten innerhalb der Orte, seien sie nun behördlich oder privat, wurde betont. Die Berliner Genossinnen wiesen noch einmal auf die Notwendigkeit einer besonders regen Mitarbeit der Frauen hin. Diese Arbeit interessiert die Frauen und so besteht die Möglichkeit, sie dadurch zur regeren Anteilnahme an dem Schicksal des Volfes, zur Politit, zu erziehen.
Den 3. Punkt der Tagesordnung bildele die Hilfsaktion für die Kinder. Die erzgebirgischen Genossen haben schon Heime im Erzgebirge in Aussicht, in denen zirka 150 Rinder untergebracht werden können. Sie übernehmen es, nähere Abmachungen mit. diesen und anderen Heimen über die Dauer der Unterbringung zu treffen. Sie wollen sich dann an den sächsischen Heimatdienst, der eine Sammlung für das Grzgebirge eingeleitet hat, wegen Bewilligung von Mitteln für die Hilfsaftion wenden. Auch die Gemeinden sollen zusteuern. Vom Hauptausschuß für Arbeiterwohlfahrtspflege stehen dazu 100 000 21. zur Verfügung, die der deutsche Zweig der Internationalen Kinderhilfe durch Gemoffin Adele Schreiber gegeben hat, später kann wahrscheinlich noch mehr flüssig gemacht werden. Ueber die Verwendung des Geldes soll entschieden werden, wenn die Leistungen der Gemeinden und Amishauptmannschaften und des sächsischen Heimatdienstes geflärt sind. Der Hauptausschuß wird sich mit den bämschen G- noffen, die bereit sind, Lebensmittel und Kleidung zu senden, in Verbindung seßen. Die Lebensmittel sind notwendig, um die Ernährung so gut zu gestalten, daß eine Erholung der Kinder möglich ist. Das kann aus deutschen Mitteln nicht geschehen. Die Kleidung soll vor der Abreise in die Heime ausgegeben werden.
Der Verlauf der Konferenz war befriedigend. Wir gingen mit der Hoffnung auseinander, wenigstens ein paar Hundert der ärmsten Kinder etwas Gutes schaffen zu fönnen. Möge c gelingen! Hebwig Wachenheim.
Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bohm- Schuch. Drud: Vorwärts Buchdruckerei. Verlag: Buchhandlung Vorwärts Paul Singer G. m. 6. S. fämtlich in Berlin GW 6, Cindenstraße