Nr. 21

Die Gleichheit

Es liegt in der Art des Menschen, daß Schilderungen, Beschrei bungen, Charakteristiken, die auf das Geistige und Seelische eines bedeutenden Menschen gerichtet sind, von der Borstellungskraft übernommen und auf das vein Körperliche angewandt werden. Würde nicht, wem Michelangelos Erscheinung noch unbebannt ist, thn einem felsenschleudernden Prometheus gleichstellen; givingt nicht die Betrachtung seiner Bildwerke, seiner Malereien mit ihren gigantischen Gestalten dazu, in ihrem Schöpfer einen Ueber­menschen auch von förperlicher Größe und Kraft zu sehen?

Die Schilderung eines zeitgenössischen Künstlers, Condiri, foll uns ein Bild von Michelangelos   äußerer Erscheinung geben; in allem anderen soll er selbst zu uns sprechen, durch seine Ge­mälde, feine Bauwerke und Dichtungen.

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Aus der Frauenbewegung des Auslandes

Wie wir aus englischen Berichten ersehen, haben bis jekt vier Regierungen Delegierte für den Internationalen Frauenkongreß, ber in Genf   vom 6.- 12. Juni stattfinden wird, er­nannt. Die Vereinigten Staaten   von Nordamerika   ernannten Frau Jofepha Danjels, ber englische Premier Lloyd George   bat Frau Astor, die erste Abgeordnete im englischen Parlamente, die Britische   Regierung zu vertreten, Fräulen Anna Whitlock  , die erste Präsidentin der schivedischen Frauenbewegung vertritt Schweden  , und die Regierung von Uruguay   ernannte Frau Dr. Paulina Luist, die als Frauenrechtlerin und Bekämpferin des weißen Sklavenhandels sehr bekannt ist. Man ist zum Entschlusse ge= kommen, die Liga für Völkerbund   offiziell vertreten zu haben, boch sind bis jetzt noch keine Namen erwähnt worden.

Ein internationales Frauenbureau

Aus England wird gemeldet, daß die Gesellschaft für gleiches Bürgerrecht am 8. Mai eine Frauenkonferenz zusammen­berufen wird, um bie Einrichtung eines internationalen Frauen­bureaus zu besprechen.

Der Antrag für eine besondere Frauenabteilung, dem inter­nationalen Arbeitsbureau entsprechend, soll auf dem Frauen­tongreß in Genf   im Juni noch weiter entwidelt werden.

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Am Mittwoch, den 28. April soll in London   eine große Frauen­bemonstration stattgefunden haben, deren Zweck es war, gleiche Rechte und Gehaltsansprüche für die weiblichen Beamtinnen zu erzielen.

Am ersten Tage bes Frauenkongresses wird Fräulein Maude Royden   in der Genfer   Kathedrale eine Predigt abhalten, und sie wird somit die erste Frau sein, die in Genf   eine Kirchenpredigt gehalten hat. *

Aus Egypten wird eine gute Vertretung erwartet. Frau Saro­gini Nardu und Frau Chandra Sen, atvei sehr bewährte Redne­tinnen, werden an den öffentlichen Besprechungen teilnehmen, um zu beraten, wie bie Frauen des Abendlandes die Frauenbewegung im Morgenlande am meisten fördern können.

Die Abgeordnete Frau Furujhelm aus Finnland   wird über die Abgeordnetenversammlung der Frauen präsidieren, wo unter anderen die Vertreterin Dänemarks  , Fräulein Elna Murich, der die Durchführung des Gesetzes für gleiche Bezahlung ber weiblichen Staatsangestellten zu verdanken ist, Lady Astor   und Fräulein Ring Robinson, früheres Mitglied bes Senats von Co­brado, anwesend sein werden. Man erwartet eine große Dele­gation von Frankreich  , Italien  , Serbien   und Holland  .

Wegen ber schlechten Bafuta in verschiebenen Ländern Europas  , bon denen eine Delegation von allergrößtem Interesse sein muß, at man sich entschlossen, eine Sammlung zu veranstalten, um Delegierten dieser Länder die Reise zu ermöglichen.

Aus unserer Bewegung

Unfere abgeordneten Genoffinnen der Nationalversammlung haben eine gemeinsame Nunbgebung in folgendem Flugblatt, welches sich gegen bie beutschnationale Judenhete richtet, erlassen: Tausende von Flugblättern kommen in diesen Tagen in die Sände unseres Bolles. Jede Meinung, jede Weltanschauung

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ringt um die Stimme des Wählers, der Wählerin. Wenn das Werben, die Beeinflussung und Beweisführung sachlich und an ständig sind, wenn bie einzelnen Parteien den Wahlkampf in ver fassungsmäßigem Sinn führen, werden wir Frauen manche Härte verständlich finden; benn das liegt im Wesen des Kampfes. Immer aber soll man als Mensch auch im politischen Gegner den Menschen achten.

Aber was seit Monaten unser Volf wie eine schleichende Krank heit erfassen will, was uns beim Lesen in rechtsstehenden Zei= tungen entgegenstarrt, was beim Kaufmann, Bäcker, Fleischer und Gemüsehändler geraunt, getuschelt und laut geschimpft wird, was uns in widerlich aufgemachter Weise in Flugschriften geboten wird: Die Juden find an allem Unglüd schuld", das führt vom politischen Kampf zum blutigen Rassenkrieg. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Dagegen müssen wir Front machen!

Man pekuliert mit diesem Gerede, das schon seit Monaten herumgesprochen wird, auf die politische Gleichgültigkeit der Fraut Mit den groben Flugblattmachwerken soll sie eingefangen werden. Es sind dieselben plumpen Mittel, die früher in der Sudelküche der antisemitischen Presse angewandt wurden. Und sie stammen heute aus derselben schmutzigen Quelle. Warum greift man zu Lüge und Klatsch in der ekelsten Form?

Warum stachelt man ein Sensationsbedürfnis niedrigster Ark auf durch erfundene Erzählungen von Kindermorden, die aus rituellen Gründen verübt wurden? Warum verschweigt man die Beweise?

Weshalb predigt man widerlichen Haß gegen Menschen, die weiter nichts benn anderer Abstammung sind?

Die Juden haben gewiß in ihren Reihen gute und weniger gute Menschen, minderwertige Naturen und Verbrecher, aber ins­gesamt sind sie nicht schlechter oder besser als andere Menschen auch, die von einer Mutter geboren. Oder können wir sagen, daß alle nichtjüdischen Menschen rein und engelgleich wären?

Zehntausende jüdischer Mütter haben während des Krieges alles Leid, alles Elend getragen, genau wie die anderen. Fühlt Ihr es mit, wie einer Mutter zumute ist, die ihr blühendes Kind hingegeben hat, das man nun bis ins Grab als Feind und Drüdeberger schilt?

Was den Volksfeinden in Deutschland   nicht paßt, ist, daß an dere Kreise jetzt Einfluß in unserem Staats- und Wirtschafts­leben gewinnen sollen. Jahrzehnte haben sie, deren Anhänger vornehmlich in der deutschnationalen Partei sind, sich als die Herrscher, die Herrenmenschen gefühlt.

Vor allem danken wir ihrem brutalen Machtdünkel Krieg und Niederlage.

Die ehemaligen Konservativen, die Leute von der Vaterlands­partei, die heutigen Deutschnationalen find es, die sich zum Anti­femitismus, zum Rassenkrieg bekennen. Sie waren es, die das deutsche   Volt beinahe verbluten ließen.

Nun wollen sie die Schuldspuren verwischen. Darum das Ge schrei in allen Arten:" Die Juden find an allem schuld!"

Die Deutschnationalen haben ihre Stärke, politische More und ihr Ansehen, baher auch ihren Einfluß verloren. Daru scheuen sie vor feinem Mittel zurüd. Der alte Trick, der den flüchtenden Gauner Haltet den Dieb" rufen läßt, soll sie vor bem Zorn des Volkes, vor dem Voltsgericht in Sicherheit bringen. Deshalb suchen fie durch die Anstachelung ber niedrigsten Instinkte Verblendete oder oberflächlich Denkende au ihrer Gefolgschaft zu machen.

Frauen und Mädchen! Hütet Euch vor all denen, die Euch vor und während des Krieges als Unmündige behandelten, Euch alle politischen Rechte vorenthielten.

Ueberlegt und handelt dann!

Wir fordern Euch auf: Lehnt den Antisemitismus ab, diese Abscheulichkeit, bie burch sittliche Aufklärung bekämpft werden muß", wie einmal ber Volksschriftsteller Peter Rosegger   äußerte. Tolstoi, der edle Russe, ber in seinem Vaterland, das in der Kultur so weit zurück war, die fürchterlichsten Judenpogrome er lebte, fennzeichnet die Judenheze als ein Getvissenloses Treiben, um die Wut ber ungebildeten Masse gegen eine Minderheit zu erregen".

Es wäre die größte Schante für das deutsche   Bolt, seine Männer und Frauen, wenn es das letzte Machtmittel des ver­fommenen zaristischen Rußlands   benußen wollte: systematisch geschürte Judenheze!

Schlagt den Verderbern unseres Volkes biese schmierigen Mittel aus den Händen, denkt nach über die aufdringliche Art, mit der