Nr. 23
30. Jahrgang
Mit den Beilagen: Für unsere Kinder.
Die Gleichheit erscheint wöchentlich Preis: Monatlich 1,20 Mart, Einzelnummer 30 Pfennig Durch die Post bezogen vierteljährlich ohne Bestellgeld 3,60 Mart; unter Kreuzband 4,25 Mart
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Die Frau und ihr Haus
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Redaktion der Gleichheit, Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Amt Morigplatz 14740 Expedition: Berlin SW 68, Lindenstraße 3
Ende und Anfang
Am 21. Mai ist die Nationalversammlung endgültig auseinandergegangen, nachdem sie für den 19. Mai noch einmal zur Erledigung dringender Gesetzesvorlagen zusammenberufen war. Von besonderem Interesse ist die Heraussetzung der Versicherungspflichtgrenze in der Angestelltenversicherung von 5000 Mr. auf 15 000 ME.; von unserer Partei waren als Höchstgrenze 25 000 mt. beantragt worden. Eine Verein heitlichung der sozialen Versicherung tut dringend not im Interesse der Versicherungsanstalten als Träger der Leistungen sowohl, wie im Interesse der versicherten Bevölkerung. Die Nationalversammlung fonnte bei der ungeheuren Arbeitsfülle, welche sie zu bewältigen hatte, dieses Gebiet nicht mehr in Angriff nehmen, um so notwendiger ist es, daß der kommende Reichstag sich sehr bald damit beschäftigt.
Außer einer Reihe von Interpellationen( über den Protest gegen die Verwendung schwarzer Besagungstruppen im Rheinland ist in der letzten Nummer der„ Gleichheit" ein gehend berichtet worden) und gesetzgeberischen Maßnahmen stand auch der Entwurf zur Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit zur Verhandlung. Die Deutschnationale und die Deutsche Volkspartei wehrten sich energisch gegen dieses Gesetz; sie wollen diese Klassenjustiz nicht entbehren, und da unsere Koalitionsparteien, Zentrum und Demokraten, ebenso wie die U. S. P. D. schwach vertreten waren, blieb das Haus durch Obstruktion der Rechtsparteien beschlußunfähig. Die äußerst notwendige Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit scheiterte, und an der Bu= sammensetzung des kommenden Reichstages wird es liegen, ob wir von dieser Ungerech tigkeit loskommen. Die Prozesse über die ErSchießung der 28 Matrosen in Berlin und des in den Karpathen 1915 zu Tode gemarterben Soldaten Helmhake sollten jeden gerecht empfindenden Menschen mahnen, am 6. Juni dafür zu sorgen, daß eine Mehrheit in den Reichstag zieht, die mit der Masse des Volkes empfindet und die Beseitigung jeder Klassenherrschaft verlangt.
Einem Ersuchen der beiden sozialistischen Parteien entsprechend, hob die Regierung den Belagerungszustand in den weitesten Teilen des Reiches auf. Es ist außerordentlich bedauerlich, daß die Verhältnisse in unserem Vaterlande noch immer Ausnahmezustände bedingen. Mit aller Kraft muß daran gearbeitet werden, daß Putschversuche unterbleiben, weil sie uns unserer verfassungsmäßig garantierten Freiheit berauben. Wir wollen die freiheitliche Ent. wicklung der deutschen Republik, und wer das mit uns wilk, der muß durch die Wahl zum Reichstag jeden gewaltsamen Umsturz ablehnen. Nur durch die Demokratie retten wir die Errungenschaften der Revolution, bahnen wir uns den Weg zum sozialistischen Staat.
Um
Die 1. S. P. D. sorgte dafür, daß der arge Mizton dieser letzten Sigung der Nationalversammlung in einem Gelächter ausklang. Sie stellte einen Antrag, der gegen wärtigen Regierung das Mißtrauen auszusprechen. überhaupt zur Abstimmung gebracht zu werden, mußte der Antrag von 15 Mitgliedern des Hauses unterschrieben sein. Die U. S. P. D. hat 23 Abgeordnete, sie konnte aber nur 14 Unterschriften aus der eigenen Fraktion für den eigenen Mißtrauensantrag aufbringen und so fiel er mit Gelächter unter den Tisch.
Neichskanzler Müller richtete ernste, zur Eintracht mahnende Worte an die scheidenden Volksvertreter und an unser gesamtes Volt. Nie sollten wir vergessen, daß wir durch eiserne Bande der Not aneinandergeschmiedet sind und daß wir deshalb auch den schärfsten Kampf fachlich führen müßten. Nur durch gemeinsame Erfüllung der Pflichten, die uns der Friedensvertrag des verlorenen Krieges auferlegt, und durch den gemeinsamen Willen zür Verständigung mit den anderen Völkern, Iodern wir den eisernen Ring. Mit einer Botschaft des Reichspräsidenten , welche im Sinne der Ausführungen des Kanzlers entsprach, und mit einem herzlichen Abschiedswort des Präsidenten Fehrenbach schloß die Tagung des ersten Parlaments der deutschen Republik.
Die Nationalversammlung hat in ihrer fast fünfzehnmonatigen Dauer eine ungeheure Menge von Arbeit ge leistek; gut und wertvoll ist sie sicher nicht immer gewesen. Ein Urteil darüber, ob es unter den sehr schwierigen inneren und äußeren Verhältnissen möglich gewesen wäre, Besseres zu leisten, wollen und können wir getrost der Geschichte überlassen.
Es kommt jetzt alles darauf an, auf dem freiheitlichen Grunde der von der Nationalversammlung geschaffenen Verfaffung weiterzubauen. Die Zusammensetzung des Reichstages entscheidet über unsere staatliche und wirtschaftliche, soziale und fulturelle Entwicklung für Jahrzehnte. Besonders für uns Frauen. Die Grundlage unferes Kämpfens und Strebens nach vollständiger Gleichberechtigung vor dem Gefetz, d. h. also um die Erringung unserer Menschenrechte, ist unser unbeschränktes Staatsbürgerrecht. Nur solange wir wählen dürfen und Frauen und Männer unserer Ueber. zeugung in die Volksvertretung entsenden, haben wir einen Einfluß auf die Gestaltung der Gefeße. Und es ist so vieles, was um- und neugestaltet werden muß: das Arbeiterrecht, die Versicherungsgesetzgebung mit dem Rentenwesen, Mütter-, Kinder- und Jugendfürsorge, das Bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, das Schul-, Erziehungs- und Bildungswesen und vieles andere noch. Ergeben die Wahlen des 6 Junk eine Mehrheit der Rechtsparteien, dann ist unser freies Wahlrecht in Gefahr, dann ist das notwendige gesetzgeberische Reformwert, wie es oben gestreift ist, in Frage gestellt.
Wir alle müssen dafür sorgen, daß die Reichstagswahlen des 6. Juni der Anfang einer stetigen Aufwärtsentwicklung werden, die unsere Kinder in das heilige Land des SozialisClara Bohm- Schuch. muß führen soll.