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Die Gleich beit
die sich mit Notwendigkeit durch Umgestaltung der Wirtschaft sich ergebende Umgestaltung der Gesinnung.
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Ein Hauptfennzeichen unserer heutigen Zeit ist das Strebertum, ist brutale, rüdsichtslose, feine Mittel scheuende Herrschsucht, ist traffer Egoismus. Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles.... Diese Gemeinsucht und Profitgier erhält ihr schärfftes Gepräge in den Kreisen der Kapitalisten. Denn die Kapitalisten bilden nur dann eine einheitliche Front, wenn es gilt, geschlossen gegen das immer mehr vorwärtsdrängende Proletariat zu fämpfen; sie sind uneinig und bekämpfen fich wütend unterein ander, sobald fie als Konkurrenten auf dem Weltmarkt auftreten.
Tritt nun an Stelle der Kapitalisten als einziger Besizer der Produktionsmittel der Staat als Interessenvertreter der Allgemeinheit, so wird durch diese sozialistische Umgestaltung die Volksgesamtheit zur Ueberwacherin und Beherrscherin der Warenerzeugung. Bugleich mit dieser Wirtschaftsumwälzung wird an Stelle der Geld- und Profitgier eine wahrhaft ideale Gemeinschaftsgesinnung treten, die ihren edelsten Ausdruck in gleich bemessener Arbeit, im einheitlichen 3u= sammenwirten der vielen finden wird.
Wie man durch die Erkenntnis, die uns die Marxsche Geschichtstheorie brachte, von der Produktionsweise auf das Massendenken( Klassenbewußtsein, Klassenhaß) schließen, ja, das gesamte kulturelle und geistige nationale Leben verstehen und seine tieferen Ursachen ergründen kann, so ist es selbstverständlich umgekehrt auch möglich, von dem Boltsleben und den Tageserscheinungen auf die Entwicklung der Wirtschaft zu schließen.
Versuchen wir, diesen Sah einmal auf die unmittelbare Gegenwart anzuwenden, so werden wir mit freudiger Ueberraschung feststellen können, daß unsere Zeit eine Uebergangsepoche bom Kapitalismus zum Sozialismus darstellt. Die gewaltigste Menschheitsentwicklung zusammengedrängt in eine tleine Zeitspanne im Verhältnis zu den Jahrmillionen, durch die der Weg der Menschheit bis hierher geführt hat.
Wohin wir blicken in heutiger Zeit: alles gärt, alles ist im Ver= gehen und Entstehen begriffen, überall sehen wir Altes und Ueberlebtes zusammenstürzen, um dem Neuen und Besseren Platz zu räumen. Alles wächst und wird und drängt aus den starren Formen des Alten heraus, um ins Land der Zukunft zu treiben. Nichts ist; alles ist Entwicklung. Alles fließt."
Derartige erregte Zeiten bringen natürlicherweise auch Rückfälle mit fich. Ein Beispiel: der Kapp- Putsch . Für den gesamten Gang der Entwicklung ist er bedeutungslos. Er hat im Gegenteil eher die Entwicklung in ein schnelleres Tempo verfekt als bisher.- Wir sagten oben, daß man sehr gut von den Tageserscheinungen auf die Wirtschaftsentwicklung schließen kann. Weist uns nun das Tagesgeschehen auf gärende und in Entwicklung begriffene Zustände des politischen Lebens hin, so können wir hieraus aufin Entwicklung begriffene Zustände auf dem Gebiete der Wirtschaft schließen. Wir gewinnen durch sorgfältige Betrachtung und Abwägung des heutigen Zeitgeschehens und der politischen Zustände ein getreues Bild der fortschreitenden Entwicklung der Wirtschaft, wir erhalten die Gewißheit, daß die Entwicklung unhemmbar, unaufhalt sam zum Sozialismus brängt!
Gehen wir nach dieser Erkenntnis mit neugestärfter nie versie gender Hoffnung ans neue Werk, an die neue Arbeit, die unser harrt. Ihr Frauen, haltet euch bereit und steht treu auf eurem Posten. Werbt der Partei neue Kämpferinnen, denn ihr gehört die Zukunft, das lehrt uns die heutige Zeit. W. Sch.
Aus unserer Bewegung
Mitwoch, den 19. Mai, fand im Volkshause zu Niesa eine gut besuchte Frauenversammlung statt. Genosse Lehrer Günther sprach über:„ Die Frauen und die Reichstagswahlen." Er wies klar und leichtverständlich an der Hand verschiedener Beispiele nach, daß jede der rechtsstehenden Parteien, ohne Ausnahme, vor dent 9. November 1918 sich zur Frage der politischen Gleichberechtigung der Frauen ablehnend verhalten habe. Jetzt habe man sich den Verhältnissen angepaßt, durch Versprechungen suchen diese Barteien die Frauen für ihre Listen zu gewinnen. Sollten sie damit Glück haben, so werden sie bald ihren wahren Charakter zeigen und uns unser Recht fürzen. Es heißt daher auf der Sut zu sein und mit ruhiger Ueberlegung zur Wahlurne zu
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schreiten. Es sind trok der schwierigen Verhältnisse doch viele segensreiche Einrichtungen geschaffen worden. Man denke an den Achtstundentag, die Steuergesebe, Erwerbslosenunterstützung, die Verbesserung des Invalidengefeßes und der Hinterbliebenenfürsorge, endlich aber an den großen Fortschritt auf dem Gebiet des Bildungswesens.
Alles steht noch in den Anfängen, soll es vollendet wben, müssen die Arbeiterfrauen für die Liste Bud, Schmidt, Frau Luße stimmen. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, daß auch die Töchter in häuslicher Stellung auf die Wichtigkeit der Wahl hingewiesen werden müssen. Es darf keine Frau am 6. Juni fehlen und alle müffen ihre Pflicht richtig erfüllen. Die Versammlung zollte den Ausführungen lebhaften Beifall. Frieda Flämig.
Bücherschau
Den Lebensweg eines Arbeiterfindes schildert der bekannte volkstümliche Schriftsteller Bruno H. Bürgel in seinen Lebenserinnerungen, die letzthin unter dem Titel: Vom Arbeiter zum Astronomen", im Berlage von Ulstein u. Co., erschienen find.
Geboren und aufgewachsen in dem Berlin der Gründerjahre und seiner noch dörflichen Vororte, läßt uns Bürgel in den Kapiteln:„ Aus der Jugendzeit" und„ Als junger Arbeiter" einen tiefen Blick werfen in die Lebensnöte einer Generation und einer ganzen Klasse. Angesichts des sechzigjährigen sich für den Lebensunterhalt der Seinen als Flickschuster abrackernden Pflege= baters gehen ihm die ersten sozialen Betrachtungen, natürlich im findlichen Sinne, durch den Kopf. Im dreizehnten Lebensjahre teimt im Gehirn des Jungen ein Gedanke auf, der richtunggebend für sein ganzes Leben werden sollte. Obgleich in der Dorfschule niemals über astronomische Dinge gesprochen wurde, und der Junge den Begriff Himmelstunde" nicht einmal dem Namen nach fannte, entwickelt sich bei ihm ganz plötzlich eine wahre Sehnsucht nach dem gestirnten Himmel, und der Entschluß entsteht, ein Astronom zu werden. Ein früherer Lehrer der Mathematit, als ein Entgleister", ebenfalls Bewohner des ,, Grauen Glends", vermittelt dem jungen Bewunderer der Sterne die ersten wissenschaftlichen Begriffe der Naturkunde und lehrt ihm die Anfangsgründe mathematischer Forschung kennen.
Der heiße Wunsch des Bierzehnjährigen, studieren zu können, wurde erdrückt von der Not um das tägliche Brot, die ihn zwang, als Fabrikarbeiter für sich und die Pflegeeltern den Lebensunterhalt zu verdienen. Auch diese Jahre verlebte der junge Bürgel nur auf der Schattenseite der gottgewollten Ordnung. Da waren es die Bücher mit ihren großen und guten Gedanken, die ihm das ferne Ziel wiesen. Wie schwer war doch der Weg dorthin. In dem Artikel: Per aspera ad astra", d. h. ,, Auf rauhen Wegen zu den Sternen", sagt Bürgel selbst: In der blauen Bluse, mit der Blechkanne voll Kaffee unter dem Arm, trabte ich im Winter, wenn die Sterne noch am Himmel standen, über die verschneiten Felder durch die langen Chauffeen von meinem Dorf nach meiner Arbeitsstätte in Berlin . Der Weg war fast anderthalb Stunden lang, und ich lief ihn fünf Jahre lang, Sommer und Winter, weil ich die 60 Pf., die damals eine Arbeiter- Wochenfarte foftete, sparen wollte, um mir Bücher dafür taufen zu können." So vergingen Jahre raftlosen Lernens und auch bitterer Not, bis der Tag fommt, an dem Bürgel mit dent Astronom M. Wilhelm Meyer bekannt wird und in demselben einen treuen Führer durch das Labyrinth der Wissenschaft findet. Da sich trotz späteren Universitätsstudiums feine Möglichkeit bot, auf einer Sternwarte tätig sein zu können, widmet Bürgel sich als volkstümlicher Schriftsteller der Verbreitung naturkundlichen Wissens, in dem Gedanken, daß jede Wissenschaft mit unge münztem Golde zu vergleichen ist, wenn sie nicht ins Voltsganze dringt.
Dem kleinen Büchlein kann nur die größte Verbreitung gewünscht werden. Den Aiten als ein Stück Erinnerung an vorrevolutionäre Zeiten, den Jungen als Beispiel raftlosen Lernens, als Rüstung für den Kampf um den Besitz politischer und wirt. schaftlicher Macht, die nur mit geistigen Waffen errungen wird. Gilt doch mehr denn je das Wort: Wissen ist Macht, Macht ist H. Schröter. Wissen."
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