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Die Gleich beit
Wenn die„ Gleichheit" jetzt diese Aufgaben erfüllt, dürfen die Leserinnen, die nicht in der praktischen Wohlfahrtsarbeit stehen, sich nicht benachteiligt fühlen. Auch vor ihren Augen wird ein Gebiet unseres Gesellschaftslebens enthüllt, das so wichtig ist, wie nur irgendein anderes. Auch von hier aus lernen fie erkennen, welche Mächte im Staatsleben miteinander ringen, und auch hier werden ihnen Wege gewiefen, die zu einer Umgestaltung des Gesellschaftslebens führen. Wer aus Klassenbewußtsein und sozialem Pflichtgefühl heraus an dieser Umgestaltung mitarbeitet, dem kann es nicht gleich gültig bleiben, wie bis zur Vollendung dieses Werkes den dem Elend Preisgegebenen geholfen wird.
Frauen als Gemeindewaisenräte
Es dürfte noch nicht allgemein bekannt sein, die Praxis bestätigt diese Auffassung, daß nun auch an Frauen das Amt eines Gemeindewaisenrats übertragen werden kann. Mit der rechtlichen Gleichstellung der Frau als Bürgerin mit dem Mann, ist diese Möglichkeit eingetreten, wenn auch meines Wissens bisher eine befondere Verordnung nicht ergangen ist.
Das Preußische Gesetz vom 15. Juli 1919( Preußische Gesezsammlung Nr. 31 Seite 113) sagt in seinem ersten Baragraphen: Bürger- und Gemeinde recht steht in den Stadt- und Landgemeinden unter den gleichen Voraussetzungen wie den Männern auch den Frauen zu." Worin besteht nun das Bürger- und Gemeinderecht?
Nach§ 5 der Städteordnung( Westfalen ) besteht es in der Befähigung zur Uebernahme unbesoldeter Aemter in der Gemeindeverwaltung und zur Gemeindevertretung. Diese Befähigung haben die Frauen erlangt. Die weitere Frage ist nun die:„ Ist das Amt eines Gemeindewaisenrats ein Gemeindeamt im Sinne der Städteordnung?" Die Antwort gibt der Artikel 77 des Preußischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, der diese Frage bejaht. Demnach können Frauen zum Waisenrat bestellt werden. Unsern Genossinnen fann nur emp= fohlen werden, von diesem neuen Recht ausreichenden Gebrauch Binder Bielefeld.
eu machen.
Briefe über Kindererziehung
Werte Freundin!
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Das Lustgefühl der Abhängigkeit" versehen Sie mit einem Fragezeichen und verraten dadurch, daß Sie meine ,, manchmal viel zu gelehrten" Auseinandersetzungen doch noch nicht immer verstanden haben. Ob das an meiner Unklarheit denn das meinen Sie ja doch unter„ Gelehrtheit"-, oder an Ihrer, na, fagen wir einmal friedlich: Unaufmerksamkeit liegt? Natürlich an der ersteren! Also bessern wir uns! Das wir" können Sie aber ruhig im Sinne von wir Beide" nehmen!
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Das Wchl- und Luftgefühl der Rettung aus beschmutzten Windeln, mein erstes Beispiel davon, wie das Kind das Eingreifen einer höheren" Macht freudig empfindet, liegt Ihrem Gedächtnis offenbar schon zu fern oder sollten Sie am Ende völlig stubenund windelrein zur Welt gekommen sein? Buzutrauen wäre es Ihrem Reinlichkeitssinn! Aber vielleicht haben Sie noch eine nebelhafte Erinnerung an Ihre ersten Gehversuche? Wenn nicht, genügt auch die Beobachtung an Ihrem Jüngsten. Da haben Sie nämlich die beiden Lustgefühle, sowohl der Abhängigkeit wie der Eigenkraft hübsch nebeneinander. Ererbtem Menschendrange folgend will fich das Kind, überdrüssig des ewigen Klebens am Boden, erheben: es gelingt; mit hellem Jauchzen begrüßt es den selbsterrungenen Sieg über die Erdenschwere. Aber o weh! Die Beinchen knicken und torkeln, die Händchen greifen suchend umher, das eben noch strahlende Gefichtchen verzieht sich zum Weinen. Da erfaßt es die rettende Mutterhand und wieder jauchzt es froh auf, diesmal aber über die Erlösung aus peinlicher Gefahr, und es fühlt sich geborgen im Schutz der Helfermacht. Ein paar Tage später hascht es noch willig nach der Hand, die seine wackelnden Schrittchen leitet, und stößt sie nach kurzer Zeit doch eigenwillig beiseite, wenn es zeigen will, daß es schon ganz bon selbst" zu gehen versteht. Sicherlich ist beim gesunden Kinde die Lust an der eigenen Kraftbetätigung größer, aber angenehm war doch auch das Sichgeborgenfühlen und Nicht selbstsorgenmüssen in aufregender Lage. Solche Lagen kommen dem Heranwachsenden immer wieder; neue Aufgaben fordern ein Handeln von ihm und doch
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traut es sich dazu ohne weiteres meist die Kraft nicht zu. Willkommen ist da das gebietende oder verbietende Wort, das sein Handeln be. stimmt; um so mehr, je öfter es die Erfahrung macht, daß es gut dabei fährt. Vertrauen zur Leitung schleicht sich in sein Herz; Sichführenlassen und Gehorchen gewährt eine Sicherheit, die selbstwilliges oder gar ungehorsames Handeln niemals zu bieten bermögen. Man beruhigt sich dabei, eindeutigen Weisungen zu folgen und fühlt sich jeder Art von Verantwortung für das Ges schehende enthoben. Das alles sind Lustgefühle, denen ein nicht allzu starker Wille sich gern ergibt, zumal eben dies Fehlen jedes Auflehnungswillens noch das ungeheuchelte Lob der Gebietenden findet: man ist ein folgsames, artiges Kind, dem es wohl ergehen wird und langes Leben auf Erden verheißen ist. Eben das gleiche spielt sich später im Leben ab. Unbedingter, blinder Gehorsam, Strammstehen und nicht mit den Wimpern zuden bei Unbill waz noch vor kurzem das Jdeal des Soldaten; der Beamte hatte im Dienst" teine eigene Meinung, mindestens keinen Willen, der dem des Vorgesezten" sich hätte widersetzen können. Dafür gab es dann verschiedene Annehmlichkeiten, von der Freude am bunten Rock an über allerhand Bevorzugung vor dem Zivilisten, festes Gehalt, Alters- und Waisenversorgung bis zu der Dienstschnalle, dem allgemeinen Ehrenzeichen oder gar dem roten Adler vierter Güte. Verstehen Sie jetzt das Lustgefühl der Abhängigkeit"? Der alte Tolstoi hat einmal auf die grauenhaft ernste Kehrseite dieses die Menschen zu Puppen erniedrigenden Mandarinensystems aufmerksam gemacht: das ist die teuflisch) raffiniert aus. geflügelte Art, wie immer der Untergebene angeleitet wird, alle Verantwortung für sein Tun auf den Vorgesetzten" abzuschieben. Der Soldat und der Henker tötet, aber er ,, tut nur seine Pflicht"! Malen Sie sich das selber weiter aus. Ach ja, es ist etwas sehr Tröstliches und Lebenserleichterndes, wenn man jemand hat, auf den man ,, scine Sorgen werfen kann", von dem man sich vertrauensvoll und demütig leiten läßt, dem man zuletzt alle Verantwortlichkeit zuschiebt mit dem frommen:„ Er wird's wohl machen!" Merken Sie nun, wo wir hinauskommen? Es ist der Gang der religiösen Erziehung, den ich Ihnen schilderte, von dem nach der Mutterhand langenden Kindchen über das Be= tenntnis: Mit unserer Macht ist nichts getan" und ,, Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe" bis zu dem Schrei eines ge= quälten Herzens nach Erlösung aus Gnaden allein!" Mißver stehen Sie mich nicht: ich ta dele nicht etwa diese Erziehung: ich zeige nur, wie eine ganz klare und deutliche Linie hier von der natürlichen Ohnmacht des Menschenkindes hinaufführt zu der bewußten Sehnsucht nach göttlicher Hilfe und Erlösung aus der ebenso natürlichen Ohnmacht des reifen Menschen gegenüber den ihm gesetzten Schranken seines Denkens( die Wahrheit bleibt ihm verborgen!), des Könnens( ,, allmächtig" wird er nie!) und des Wollens( Heiligkeit bleibt ihm versagt!). Daß August Horneffer einmal diese Sehnsucht die ,, weibliche" genannt hat im Gegensaz zu der auf Selbsterlösung durch eigene Kraft gerichteten ,, männ lichen" Sehnsucht, werden Sie ihm hoffentlich verzeihen, wenn Sie bedenken, daß es weibische Männer" und das entsprechende Gegenstück reichlich im Leben gibt. Eind wir aber einmal über die Torheit hinaus, den Unterschied zwischen echter Weiblichkeit und ebensolcher Männlichkeit als einen Wertunterschied zu fassen, dann werden Sie auch verstehen, daß ich das religiöse Anlehnungsbedürfnis und die Entwicklung der frommen Abhängigkeitsgefühle nicht schlechtweg für einen Jrrweg der Erziehung halten kann, trägt doch jedes Kind und jeder Mensch ein halb weibliches und halb männliches Herz in seiner Brust, nur daß die Hälften" nicht eben auf der Goldwage abgemessen sind. Die Entwicklung der ,, männlichen" Charakterseite, die nun der sittlichen Erziehung obliegt, fönnen Sie sich jetzt leicht selber vorstellen. Jene Lust, selbst, ohne stüßende Hand gehen zu wollen, fündet ihn an; der unbändige Trieb, dem Gebot und Verbot ein Schnippchen zu schlagen, setzt ihn fort. Im Troß und im Ungehorsam drängt sich der„ Eigensinn" vor. Man will durchaus seine Erfahrungen, so unangenehm sie mitunter sind, selbst machen und lehnt das fremde Gesetz ab. Cache weisester Erziehung ist es, diesem Drang dadurch entgegenzukommen, daß möglichst überall jenes Fremdgesetz durch Uebernahme in die eigene Vernunft zum Selbstgesetz werde, daß der Heranwachsende mit einem Minimum von Irrtum. Sünde und Mißerfolg seine Eigenerfahrung bereichere und so die im Kindesalter doch nicht völlig zu entbehrende Geho- samserziehung zur Selbstzucht veredele. Selbstverständlich bleibt am Schlusse des tätigen Lebens wie übrigens auch beim Frommen ein gewaltiger Fehltetrag zwischen Gewolltem urd Erreichtem, dessen Tedung wirklich nicht in unserer Macht" liegt. Ob wir dann von der Gnade des Weltrechenmeisters die
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