Nr. 4
Die Gleich beit
nichtig. Ebenso nichtig ist beispielsweise eine Ehe zwischen Vorfahren und Abkömmlingen, zwischen voll und halbbürtigen Geschwistern, zwischen Schwiegervater und der Witwe feines Sohnes, zwischen Schwiegersohn etwa und der Mutter seiner geschiedenen Frau. Gültig dagegen ist die Ehe mit der Schwester der verstorbenen Frau, die Ehe zwischen Onkel und Nichte.
Praktisch von größter Bedeutung ist die Bestimmung, daß eine Ehe zwischen einem wegen Ehebruchs geschiedenen Ehe mann und der Frau, mit der der geschiedene Ehegatte Ehebruch begangen hat, nicht geschlossen werden darf. Dies gilt selbst dann, wenn beispielsweise der verheiratete A., der sich der B. gegenüber als unverheiratet ausgegeben hat, nun mehr wegen Ehebruchs geschieden, die B. heiraten will. Bon diesem Berbot ist allerdings Befreiung möglich, und zwar auch noch nachträglich, dergestalt, daß die Ehe sodann als von Anfang an gültig anzusehen ist. Die Befreiung erfolgt in Preußen für preußische Staatsangehörige durch den Justizminister, und zwar auf Bericht des Landesgerichts, vor dem der Scheidungsprozeß in erster Instanz geschwebt hatte. Wenn auch zu beachten ist, daß dieses Eheverbot nur dann gilt, wenn im Scheidungsurteil gerade der Ehebruch mit der Person, mit der er nunmehr die Ehe eingegangen ist, festgestellt ist, so muß dieses Ehehindernis doch aus allgemeinen Gründen als außerordentlich bedenklich erscheinen. Hat z. B. die in einer tiefunglücklichen Ehe lebende A. mit dem B. „ Ehebruch " getrieben und wird nun ihre Ehe mit 2. auf Grund des Ehebruchs mit B. geschieden und heiratet sie nunmehr den B., so ist diese Ehe nichtig, mögen auch beide neuen Ehegatten in ihrer ehelichen Bereinigung ihr Glück gefunden haben! Die Richtigkeit kann hier wie bei all diesen schweren Ehehindernissen sogar durch den Staatsanwalt auf dem Klagewege geltend gemacht werden. Das Notventil, die Möglichkeit der Befreiung von diesem Ehehindernis, ist nur ein schwacher Notbehelf. Die Annahme, durch diese Bestimmung etwa die Ehebrüche zu hindern, die Ehe zu verfitt lichen", ist ein Trugschluß, und es ist zu wünschen, daß die Gesetzgebung hier flarere Wege einschlägt als sie derzeitig bestehen.
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Feuilleton Not
Sie trugen Blumen durch die Illaienklänge,
Ich fab es kaum,
Es wuchs in meiner Seele das Verlangen Пach Raum.
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Was foll das Locken all der feinen Düfte, Das Schmeicheln füßer Schönheit Gunit, Es lodert tief, ganz tief in meiner Seele Der Welten Brunit.
Das schreit nach Wahrheit!
Weg mit deinen Blumen, du trügrifch Bild,
Du Tand und Glanz,
Gib mir zu trinken voll den Kelch der Leiden, dann reif ich ganz.
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Dann fühl ich, wie die Tot fich an mich klammert, Aus hohlen Augen fieht fie fchon das Licht, Sie ist gereift in dunkeln Quell der Qualen, nun doch beliegt lie lich!
Sie trägt die Krone des Erkennens
Und hüllt fich in das Kleid des harten muß Und trägt in ihren dürren бänden, Verborgen in den Schalen, Weisheit, Trug.
Die Armen, die da greifen nach den füßen Früchten, Die eines Lebens Spanne lich betrügen, Ich will durch Schmerzen und Erkennen
Durch Пot und Tod und Dunkel
Auf zum Lichte fiegen!
Lotte Witte.
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Was muß die Wohlfahrtspflegerin von der sozialen Gesetzgebung wissen?
Neben bestimmten Abschnitten des Bürgerlichen Gesetz buches, dem Fürsorgeerziehungsgesetz u. a., die für die persönliche Fürsorge besonders wichtig sind, muß die Wohlfahrtspflegerin mit den Gesezen vertraut sein, aus denen der Bedürftige den Anspruch auf bestimmte wirtschaftliche Leistungen des Reiches, der Länder oder Gemeinden herleiten tann. Sie sollen im folgenden behandelt werden.
Bir Sozialdemokraten vertreten die Anschauung, daß, solange die kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse nicht überwunden sind, gesetzliche Bestimmungen getroffen werden müssen, um allen, die unverschuldet in Not geraten, einen Rechtsanspruch auf ausreichende Fürsorge durch die Allgemeinheit zu sichern, der sie davor bewahrt, weder bei Privatpersonen, Vereinen oder Behörden betteln zu müssen.
Ich
Die hier im nachfolgenden behandelten Gesetze sind allerdings nie unter dem alleinigen Einfluß von Sozialdemokraten entstanden; sie sind zum Teil sogar schon lange vor dem Kriege gemacht und sehr verbesserungsbedürftig. Aber sie beruhen doch auf dem vorhin genannten Gedanken. meine in erster Reihe die Invaliden, Kranken- und Unfallversicherung, die Wöchnerinnenhilfe, die Kriegsfolgenpflege, die Arbeitslosenfürsorge. Daß sie heute befonders unzureichend sind, liegt ja zum Teil auch bei der Entwertung des Geldes. Man muß bei einer fritischen Betrachtung der Leistungen diese Tatsache von den Mängeln trennen, die durch den Willen des Gesetzgebers hervorgerufen sind.
Warum wird nun von der Wohlfahrtspflegerin verlangt, daß fie diese Gebiete der Gesetzgebung fennt? Die Wohlfahrtspflegerin hat meistens für Familien zu arbeiten, die wirtschaftlich ungünstig gestellt sind oder sich in direkter Notlage befinden, und zwar häufig durch Arbeitslo gkeit, Krankheit, Invalidität, Kriegsfolgen. Sie soll diesen Familien wirtschaftlich helfen. Unzählige wissen gar nichts von ihrem Rechtsanspruch auf Fürsorge und gehen ohne Hilfe zugrunde
Frauengestalten des 19. Jahrhunderts
Die
( Schluß)
ie junge schöne Frau schloß sich voller Begeisterung den Beftrebungen für Freiheit und Menschenrechte an. Sie gehört zweifellos zu den interessantesten Frauengestalten der gärenden Zeit, die der Revolution von 1848 voranging. Bald fand fie fich heimisch unter den revolutionären Geistern und war ein eifriges Mitglied der Gesellschaft der Freien", wo fie Bruno und Edgar. Bauer, Mag Stirner u. a. fennen lernte. Mit Klarem Blick erkannte fie die Schäden der menschlichen Gesellschaft und vertiefte fich in das Studium der großen Denker ihres Jahrhunderts. Deren Einwirtung auf ihre eigene schriftstellerische Tätigkeit ist unverkennbar. Mit scharfem Bid erkannte sie, daß Rousseaus Gedanke, in die Urwälder zurückzufliehen, die ganze Kultur als Flittermert und Unnatur von sich zu werfen, der neuen Menschheit nicht mehr möglich ift. Sie stellt den deutschen Philosophen die Aufgabe, solche Ideen auf ihren wahren Gehalt zurückzuführen, ihre innerste Bedeutung aufzufaffen, ihnen ihre richtige Stelle anzuweisen in der Geschichte des Geistes. Hatte sie doch aus eigener Anschauung erfannt, daß die Industrie die Mutter des Proletariats ist, die zugleich den Reichtum und die Armut bringt, den Reichtum für einzelne, welche die Materie repräsentieren, die Armut für die Massen. Sie hat die Armut, die bisher nur in der Knechtschaft Rettung vor dem Hunger fand, zuerst freigegeben und organisiert, so daß sie jetzt als organiFlerte Macht in die Geschichte tritt." Aber sie hatte auch erkannt, daß in der Wohltätigkeit, und meg fie noch soviel mit chriftlicher Liebe prunken, eine Erniedrigung liege für die Bedürftigen, deren ewige Menschenrechte zu einem Gegenstand frommer Herablaffung herabgewürdigt werden. Und je mehr sie die Menschen und das Leben fennen lernte, desto mehr kam sie zu der Ueberzeugung: ,, Die Macht des Gedankens wird und muß sich die Welt unterwerfen."
Ihre mehr und mehr sich betätigenden Bestrebungen, auch die