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Die Gleich beit

oder sie betteln. Wer sollte sie auch darüber aufklären, wenn fie z. B. nicht Gewerkschaftsmitglied find? Und gerade bei den Bedürftigen wird man am häufigsten Unkenntnis und Gleichgültigkeit gegenüber den Einrichtungen des Staates finden. Daher muß die Wohlfahrtspflegerin auf das ge= naueste über diese Dinge Bescheid wissen. Sie muß z. B. sofort, wenn sie in eine Familie fommt, in der sich eine Wöchnerin befindet, der alle Geldmittel fehlen, fragen, ob sie ihre Wochenhilfe angemeldet hat und abholen läßt. Und wird ihr dann geantwortet: Nein, die Frau von nebenan hat gesagt, ich hätte keinen Anspruch darauf, weil ich nicht versichert bin", so muß die Wohlfahrtspflegerin wissen, wie man durch Fragen und Einsehen der Papiere feststellen kann, ob das richtig ist. Andernfalls muß sie die Frau belehren und ihr bei Stellung eines Antrages behilflich sein. Damit wird sie einen Teil der Not lindern können, denn die Quellen, die aus einem Rechtsanspruch fließen, strömen meistens reich­licher als diejenigen, die aus der Armenpflege oder privaten Fürsorge flüssig gemacht werden können. Mit einer ruhigen, fachlichen Auskunft kann sie sich auch das Vertrauen ihrer Schüßlinge erwerben.

Einiges über den Arbeiterschutz und das Kinderschutzgesetz. Ehe ich auf die oben erwähnten Gefeße eingehe, möchte ich ein paar orte über die Arbeiterschutzbestimmungen sagen.

Im Mittelalter und bis zum Uebergang zum absoluten Staat war das Arbeitsverhältnis ein patriarchalisches. Der Arbeitnehmer nahm sich seiner Gesellen, die meistens in seinem Haushalt lebten, bei Krankheiten und wirtschaftlichen Zufällen an. Die Gesellen stiegen meistens dann zu selb ständigen Handwerfstreibenden auf und waren daher im allgemeinen im Alter unabhängig. Den 3ünften als 3u sammenschlüssen der einzelnen Gewerbe lag außerdem die Fürsorge für die Arbeiter durch Errichtung von Hilfs fassen usw. ob. Aber auch schon damals fam es zu Gesellen­organisationen und Arbeitskämpfen. Der abfolute Staat übernahm die meisten Aufgaben der Zünfte selbst. Er griff ganz bewußt in das Gewerbeleben ein, um die lokalen

Frau teilnehmen zu lassen an den Segnungen der Freiheit, ihre Rechte zu erweitern und die ihr zwangsweise auferlegten Fesseln zu durchbrechen, zogen bald die allgemeine Aufmerksamkeit auf Luise Aston . Sie war die entschiedenste und bedeutendste Vor­fämpferin für die völlige Gleichberechtigung der Geschlechter. Nur wenige wagten so entschieden vorzugehen wie diese junge Frau. In ihrer 1846 erschienenen Schrift Aus dem Leben einer Frau" beschreibt sie ihre Vergangenheit, begründet die Schlüsse, die sie daraus gezogen und als Folgerung ihrer eigenen Lebenserfah­rungen tam sie zu der Forderung der Gleichstellung der Geschlechter. Natürlich wurde die für damalige Zeit unerhört fühne Kämpferin vielfach angefeindet. Auch den Behörden erschien sie gefährlich und sie wurde mehrmals ausgewiesen, aus Berlin 1846, aus Hamburg 1848. Die Folge war ihre berühmte Verteidigungsschrift: Meine Emanzipation, Verteidigung und Rechtfertigung". Sie beginnt mit den Worten: Eine Frau, die ihre Privatangelegenheiten vor das Forum der Deffentlichkeit bringt, muß entweder grenzenlos eitel sein oder mit der äußersten Notwendigkeit zu diesem Schritt ge­zwungen werden, eine Notwendigkeit, gegen welche sich aus falschem Schamgefühl zu sträuben ebenso feig als ehrlos wäre." Sie schildert dann, wie der Mann, dessen Ehre getränkt ist, Mittel hat, sich zu rächen. Die Frau ist hilflos. Statt wie früher einmal in blutigen Rämpfen und in Minneliedern verherrlicht zu werden, verlangt die Frau ihren Anteil an der Freiheit des Jahrhunderts. Nach der zerriffenen Karte des Himmels einen Freiheitsbrief für die Erde." Als höchstes Recht sieht sie auch für die Frau das Recht der freien Persönlichkeit an. Dieses Recht ist in ihr beleidigt worden. Sie fonnte die Entwürdigung, der die Frau unter dem weiligen Schuß der Penaten des Hauses, dem Gesetz und der Sitte ausgesetzt ist, nicht ertragen. Sie wollte sich in Berfin zu literarischer Tätigkeit sammeln und bilden, weil sie in dem eigenen Los das Erlebnis vieler Tausende erkannte, denen sie helfen wollte.

In einer privaten Unterhaltung mit einem Beamten äußerte sie ihre Ansichten über Religion und Ehe. Darauf erhielt sie den Be­fehl: Berlin binnen acht Tagen zu verlassen, well sie Ideen ge­

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Schranken zu lockern und den Weg zum Merkantilsystem der Nationalwirtschaft freizumachen. Die Industrieentwicklung fonnte aber auch den Staatseingriff nicht mehr vertragen. Die liberale Wirtschaftsidee, der Gedanke der Befreiung von staatlichen Fesseln, siegte und machte den Weg frei zur Eni­wicklung der Industrie. Als das patriarchalische Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelöst und der Ar­beiter an die Maschine gestellt wurde, hörten auch alle Ein­griffe des Staates zum Schutze des Arbeiters auf. Ein namenloses Elend besonders unter den zu Beginn der kapi. talistischen Wirtschaft in erster Reihe an die Maschine ge­holten Kindern und Frauen war die Folge. Der Arbeiter war nun ganz auf den Ertrag seiner Arbeit angewiesen, in Krankheitsfällen vollkommen ohne Hilfe. Ebenso erging es ihm in Zeiten der Arbeitslosigkeit, die wegen der vielen Krisen zu Beginn der kapitalistischen Wirtschaft sehr häufig war. Die wirtschaftliche Selbständigkeit war nunmehr nur durch den Besitz von fast unbezahlbaren Maschinen zu er­werben. So waren die Arbeiter also im Alter genau so den wechselnden Zufällen des Wirtschaftslebens ausgesetzt wie in der Jugend und vollkommen ohne Mittel, wenn sie zur Arbeit zu gebrechlich wurden, was durch die Ausnüßung sehr früh der Fall war. Am schlimmsten wirkte die ungeheure Kinderarbeit, gegen die in England, in dem ja die kapitali­stische Entwicklung am schnellsten fortgeschritten war, zuerst eingeschritten wurde. Die in den sechziger Jahren entstande­nen gewerkschaftlichen Arbeitervereine errichteten zwar. Rassen zur Versorgung franker und arbeitsloser Mitglieder, aber ihre Mittel waren gering und sie umfaßten ja auch nur einen fleinen Teil der Arbeiterschaft; den anderen kam ihre Hilfe naturgemäß nicht zugute.

Der Rüdgang der Refrutentauglichkeit in den industriellen Gebieten lenkte in Deutschland zuerst die Aufmerksamkeit des Staates auf die Gefahr der industriellen Entwicklung. Aber obwohl das schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, wurden erst im Jahre 1879 der Reichsgewerbeordnung Bestimmungen zum Schutze der Arbeiter eingeführt.

( Fortsetzung folgt)

äußert und ins Leben gerufen, welche für die bürgerliche Ruhe und Ordnung gefährlich seien." In ihrer Rechtfertigung spricht Luise Aston offen aus, daß sie nicht an die Notwendigkeit und Helligkeit der Ehe glaube. Sie nennt die Ehe ein Institut, das mit der höchsten Sittlichkeit strahlt, während es jeder Unfittlichkeit Tür und Tor öffnet, das einen Seelen b und fanktionieren will, während es meist den Seelen handel sanktioniert. Sie vermirft die Ehe, weil sie zum Eigentum macht, was nimmer Eigentum sein kann, die freie Persönlichkeit", weil sie ein Recht gibt auf Liebe, auf die es fein Recht geben kann, bei der jedes Recht zum brutalsten Unrecht wird. Ihre einzige Frauenemanzipation sieht sie darin, das Recht und die Würde der Frauen in freieren Verhältnissen, in einem edlen Kultus der Liebe wiederherzustellen. Doch zu diesem neuen Kultus der Frauenwürde und Frauenliebe gehört nach Luise Aftons Mei­nung tiefere Bildung und ein höheres Bewußtsein der Frauen selbst. Bildung erst gibt dem Leben und der Liebe die höhere Weihe und die innere Freiheit, ohne welche jede äußere Freiheit zur Schimäre wird." Ehe ohne Liebe nennt sie ein Wegwerfen ihrer eigenen Persönlichkeit". Sie erklärte es für gemein, unauf. hörlich nur den Unterschied zwischen Mann und Frau hervorzu­heben und hielt es für äußerste Ungerechtigkeit, auf den geschlecht fichen Unterschied Borrechte zu begründen. Auch stellte sie den Satz auf, daß eine Frau, die sich jedem Manne hingebe, nicht vera ächtlicher fei, als ein Mann, dem jede Frau recht sei.

Ihr Glaubensbefenntnis nennt Luise Afton ein religiöses, da sie nach der Theorie Schleiermachers Religion als die Form auffaßt, in der jeder einzelne sich mit dem Universum vermittelt. Sie nimmt das Recht für sich in Anspruch, nach ihrer Fasson selig gu werden, ein Recht, das den Frauen so gut zusteht wie den Männert. Sie richtet ihre Klage gegen den allgemeinen Geist der Reaktion, der mit einer zivilisierten Organisation droht: 3th rufe alle freien Männer auf zu meinen Advokaten! Sie werden nicht dulden, daß eine Frau so gewaltiame: Bevormundung unterworfen, daß ihre Seele polizeilich in den Himmel estortiert wird. Auch wir sind mündig und wollen fämpfen für unsere Freiheit, für unser Recht!