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Die Gleich beit

Linsere weibliche Jugend

Die Behandlung und Verantwortung gegenüber unserer weiblichen Jugend stellt ohne Frage die größten Anforderun gen an die Erziehungskunst der Eltern und Erzieher. Wäh­rend sonst Mädchen leichter zu erziehen und zu behandeln sind als Knaben, ändert sich das in der Uebergangszeit vom Kind zum erwachsenen Menschen, in den sogenannten Flegeljahren der männlichen, in den Backfischjahren der weiblichen Jugend. Wenn die männliche Jugend dann auch äußerst wild und un­bändig zu sein pflegt, und Nerven- und Ruhebedürfnis der sie Umgebenden in oft unerträglicher Weise in Mitleidenschaft zieht, so wird sich ihnen gegenüber die Kunst des Erziehers meist darauf beschränken können, die schlimmsten Auswüchse zu beschneiden, und im übrigen die Jugend sich nach Herzens lust austoben zu lassen. Möglichst draußen, im Freien natürlich. Anders bei den Mädchen, deren Charakter sich in der llebergangszeit oft völlig verändert. Diese Veränderung wie überhaupt dieser Unterschied zwischen den beiden Ge­schlechtern ist ein ganz natürlicher; weil das erwachende Ge­schlechtsleben im weiblichen Körper viel gewaltigere Umwäl­zungen hervorruft als im männlichen.

Nichts wäre verkehrter, als nun allgemein gültige Leite sätze aufzustellen für die Erziehung und Behandlung der Mädchen in der Uebergangszeit. Darin bestehen ja gerade die Schwierigkeiten, daß man hier in fast jedem einzelnen Fall verschieden handeln und behandeln muß.

Vor allen müssen wir, wenn wir die Jugend verstehen wollen, sie nicht vom Standpunkt der Mutter oder des Er­ziehers betrachten, sondern von der Jugend selbst ausgehen. Mehr noch: Wir Aelteren müssen uns daran gewöhnen, die Jugend nicht als etwas Halbes, etwas Minderwertiges, son dern als etwas uns völlig Gleichwertiges anzusehen. Auch in der Natur erscheint uns ja ein junges Bäumchen feines wegs wertloser als ein alter Stamm. Denn wenn dieser uns durch sein Holz mehr Nugen bringt, so erfreut uns jenes durch jeine fchlante Schönheit und sein jungfrisches Grün. Ebenso beim Kind. Welche Mutter hat nicht schon das Gefühl ge­habt, daß die Freude, der Sonnenschein, der von ihrem ge­

Die höchste Freiheit aber ist, daß wir wählen dürfen zwischen Himmel und Hölle!"

In diesen Jahren entfaltete sich nun Luise Astons Dichtergenie. Sie schrieb die schon oben erwähnten Werte Aus dem Leben einer Frau und Meine Emanzipation". Ferner veröffentlichte sie einen Roman Lydia", dann Freischärferreminiszenzen"," Revolution und Konterrevolution" und ihr seinerzeit weitberühmtes Gedichtbuch ,, Wilde Rosen".

Die Zeitschrift ,, Der Freischürler", die Luise Afton ins Leben ge rufen hatte, wurde 1848, als die Wrangel- Manteuffelsche Reaktion über Berlin hereinbrach, verboten. Der alte Wrangel galt als nicht hartherzig gegen Damen. Als er aber Luise Aston , wie Corvin erzählt, in dem Schloß, wo er sein Quartier hatte, eine Wohnung anweisen wollte, angeblich, um sie besser überwachen zu fönnen, lehnte sie diesen Vorschlag ab. Die Folge war, daß sie zum zweiten Male aus Berlin ausgewiesen wurde.

Nun hatte Luise als Demokratin und als Dichterin der ,, Wilden Rosen" von den Behörden, wohin sie auch fam, alle möglichen Schikanen und Ausweisung zu befürchten. Sie ging deshalb nach der einzigen größeren Stadt in Deutschland , wo sie auf Schutz hoffen konnte, nach Bremen . Dort gab es schon damals eine sehr starte Demokratie, die eine neue freifinnige Berfassung geschaffen hatte. Dort erschien unter der Leitung des radikal- demokratischen Pfarrers Dulon die Tages- Chronit", die damals als Moniteur der Demokratie" bezeichnet wurde. Aber auch hier gewann die Reaktion die Oberhand. Die Bremer Demokraten ließen sich durch die Drohungen des Bundestags einschüchtern. Die neue Berfassung wurde aufgehoben, mit ihr die Breß- und Vereinsfreiheit. Die ,, Tages- Chronit" wurde verboten und Pfarrer Dufon mußte Bremen verlaffen.

Nun war auch Luise Astons Verbleiben in Frage gestellt. Sla war des ruhelosen Lebens müde, und als ihr ein Dr. Meier, dessen Bekanntschaft sie in dem Feldzug nach Schleswig- Holstein gemacht hatte, jeine Hand antrug, nahm sie seinen Antrag an. Sie schloß die Ehe, eine Institution, die sie vorher so leidenschaftlich bekämpft

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funden Kind ausgeht, daß sein herziges Lachen mehr wert ist, als all unser Wissen und unsere Erfahrungen, die wir im Leben mühsam gesammelt haben, und die nur zu oft auf recht schwachen Füßen stehen. Schon das kleine Kind ist ein voll­wertiges, in sich abgeschlossenes Wesen mit eigenem Denken, Fühlen und Wollen und eigenen Ausdrucksmöglichkeiten. Wieviel mehr erst das der Kindheit entwachsene Mädchen. Lernen wir, die Jugendliche als Persönlichkeit zu achten! Das ist die Grundlage, auf der einzig und allein Verständnis und gegenseitiges Vertrauen zwischen Eltern und Kind, zwischen Mutter und Tochter erblühen kann.

Für die körperliche Erziehung in den llebergangs­jahren muß ganz besonders auf eine gesunde Lebensweise und auf Regelmäßigkeit in der Tageseinteilung( Arbeiten, Mahlzeiten) geachtet werden. Die Kost muß möglichst reiz los, das heißt wenig gesalzen, gepfeffert oder gewürzt sein. Gerade in diefen Jahren ist Gemüse viel dienlicher als Fleisch. Das Geld für Fleisch und Wurst sollte lieber dazu verwendet werden, recht viel Obst zu kaufen. Wir können unseren Kin dern gar nicht genug Obst zu essen geben. Jeder Alkohol­genuß ist unbedingt zu vermeiden! Die Mädchen sind nach Möglichkeit zu förperlichen Arbeiten heranzuziehen. Sitzende Tätigkeit muß durch fleißiges Wandern, Sporttreiben oder Turnen ergänzt werden.

Nicht weniger Beachtung verdient die geistige Kost. Hier­über herrscht noch immer eine unglaubliche Gleichgültigkeit. Mütter, die es verabscheuen würden, ihren Kindern verschim­meltes Brot, verfaultes Fleisch oder sauer gewordenes Essen vorzusetzen, geben ihnen gedankenlos Bücher und Bilder in die Hand, führen sie zu Kino- und Theaterstücken, die auf den Geist des Kindes genau so verderblich wirken, wie verdorbenes Essen auf den Körper. Mehr noch als anderswo gift hier der Goethe- Spruch: Eines schickt sich nicht für alle." Bücher, Theaterstücke usw., die für den Erwachsenen ungefährlich sind, können bei der Jugend den größten Schaden hervor rufen. Wie die körperliche, muß auch die geistige Kost reiz los sein. Vor allem darf die Phantasie nicht fünstlich ange­regt werden. Sie ist in diesen Jahren an und für sich schon lebhaft genug!

hatte. Aber im Grunde hatte sie ja nur die Ehe bekämpft, die fein Bund der Seelen ist. In glühenden Farben hatte sie oft die Begleiterscheinungen geschildert, welche die Gegenfäße von Geist, Temperament, Charakter, Bildung und sozialer Anschauung in der Ehe zum Unglück führen müssen. Und doch kehrte auch sie zur Ehe zurüd, als ihr Leben und ihre Anschauungen abgeflärt waren und als sie den Mann fand, der ihr Verständnis und Liebe entgegenbrachte. Auch diese Ehe brachte Luise Meier- Afton, wie sie sich jetzt nannte, zunächst teine ruhige Zeit. Sie verheiratete sich im Jahre 1850. 1855 ging das Paar nach Rußland , zwei Jahre später nach Defter reich. Da Luise sich nun öffentlich nicht mehr bemerkbar machte. blieb fie fortan unangefochten.

Im Frühjahr 1871 wählte Dr. Meier aus Rücksicht auf die an gegriffene Gefundheit seiner Gattin das reizend gelegene Städtchen Wangen im Allgäu zum Aufenthalt. Allein Luise trug schon den Todeskeim in sich. Am 21. Dezember 1871 fchloß sie die schönen, einst so bewunderten Augen. Ihr Gatte starb bald nach ihr im Jahr 1873 in der Jrrenanstalt Kreuzlingen am Bodensee .

In Wangen weiß niemand etwas von der Bedeutung Luise Meier- Aftons für die Frauenfrage. Nur ein paar Klatschgeschichten tursieren noch von dem außergewöhnlichen Ehepaar. Die Grabs steine find an der Mauer des fleinen Friedhofs eingelassen und werden als Kuriosität gezeigt. Meiers Grabschrift, die er in seinem Testament selbst bestimmt hat, lautet: Der mitleidsvolle Tod gönnt Ruh und Rasten- Dem mitleidslos gehezten Einfuß Meier­Afton."( Der Meier hatte ein künstliches Bein.) Dr. E. Meier, geboren in Bremen 1812, verheiratet den 25. November 1850, ver bannt 1854, gest. 1873.

Daneben ist Luisens Grabstein:

..Luise Aston- Meier, geb. Hoche,

geb. 25. November 1814, geft. 21. Dezember 1871. Nad Kampf Frieden."

Und ist nicht das Endziel von unser aller Leben, Kämpfen und Ringen der Frieden?