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Die Gleich beit
Worte hierzu zu sagen. Oft schon habe ich über die bessere Aus gestaltung unserer Frauenabende nachgedacht, wie diefelben intereffanter und lehrreicher auszubauen wären. Wie oft macht man bie Erfahrung, daß die Frauen, zumal solche, die tagsüber einem Erwerb nachgehen müffen, förperlich und geistig müde in die Ver fammlung fommen und einem Vortrag nur schwer folgen können. Mag das Thema noch so wichtig und interessant für sie gewählt sein, die Augen und Ohren versagen ihren Dienst und das beste geht verloren, wird überhört. Wie ganz anders wäre dies, wenn sich die Referentin, im Sinne von Genoffin Wachenheim, einem bestimmten, unserer Zeit angepaßten Gebiete widmen fönnte und dies im kleinen Kreise, nach ihrer Methode tiefgründig behandeln und so gewiß großen, nachhaltigen Erfolg erzielen würde.
Das ist ein Weg, der in Wahlkreisen, in denen es an guten Kräften nicht fehlt, leicht zu gehen wäre. Wie soll aber dort geholfen werden, wo es überhaupt an wirklich geschulten Leiterinnen folcher Frauenabende mangelt? Ich habe hier besonders die abgelegeneren Kreise bzw. Orte im Auge und halte gerade hier intensivere Bearbeitung und Aufklärung für ganz besonders wichtig, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie wissensdurftig aufgeweckte Frauen da find, wo nicht die Bildungsmöglichkeiten wie in der Großstadt, in der sich meist die belehrenden Kräfte tonzentrieren, vorhanden sind. Ich bin mir der finanziellen Schwierig. feiten für unsere Partei wohl bewußt, die aus solch gründlicher Bildungsarbeit erwachsen, aber diese Opfer müssen im Interesse unferer Sache und bei der außerordentlichen Bedeutung, die die Frau seit der Erlangung des Wahlrechts für unsere Bewegung gewonnen hat, gebracht werden.
Der Parteivorstand muß unverzüglich an diese Frage herantreten und überall dort, wo nicht so fähige und geschulte Leiterinnen vorhanden sind, Sekretärinnen anstellen, die nach dem, von Ge noffin Wachenheim angeführten System, diese vernachlässigten Kreise bearbeiten.
Der Erfolg wird nicht ausbleiben und die Genossinnen werden freudig zur Erleichterung der materiellen Seite beitragen. In kurzer Zeit wird sich ein solcher Bosten von selbst bezahlt machen.
M. Segler.
Württemberg . In der ersten Maiwoche fand in Württemberg eine Reihe von Versammlungen statt, in der Unterzeichnete über " Frauenforderungen und Sozialdemokratie" referierte. Der Landesparteivorstand von Württemberg- Hohenzollern hatte eine gute Ver fammlungseinteilung vorgenommen, so daß die größeren Städte vom Süden bis zum Norden hinauf mit einem Referat bedacht werden konnten und die Versammlungsberichte wiederum den Pleineren Orten das Referat übermittelten.
Einen besonders guten Boden für Frauenagitation fand ich in den Städten, wo die„ Gleichheit" obligatorische Einführung gefunden hatte. Besonders bemerkbar machte sich das in den Schwarzwaldorten, wo doch ein gut Teil der Frauen erst nach der Re volution zu uns gekommen ist. Das Sicheinleben in unfere sozia listische Weltanschauung ist für die Frauen leichter, wenn sie neben dem Parteiorgan ständig eine Zeitung lesen, in der die besonderen Frauenfragen und forderungen erörtert werden. Durch fritische Stellungnahme zu den einzelnen Fragen werden die Meinungen geklärt und die Frauen werden zum Denken angeregt. Gerade in solchen Versammlungen war auch der Bertrieb von sozialistischen Zeitschriften und Broschüren sehr rege. Die Gleichheit" wird den Frauen hier von der Partet unentgeltlich geliefert, wenn sie den er. höhten Parteibeitrag und die 10 Pf. Postzustellungsgebühr zahlen. Dem Landessekretär Steinmeyer ist es also zu danken, wenn hier ein langgehegter Wunsch der Frauen praktisch zur Durchführung gekommen ist und die Erfolge werden sich noch immer mehr be merkbar machen.
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Ein guter Stamm von alten Genoffinnen war in allen Versammlungen rege tätig; ihnen zur Seite standen neue Mitkämpfe rinnen. Die Versammlungsbesucherinnen mußten sich sicher wohl gefühlt haben, denn nach Schluß der Versammlung hatte man es gar nicht eilig, heim zu kommen, sondern nur langsam leerten sich die Versammlungsfäle.
Bersammlungen fanden statt in Alpirsbach , Schramberg und Schwenningen , dann in Ulm und Göppingen , weiter in Stuttgart und Waiblingen und in Heilbronn - Pochingen war Schluß. In der Stuttgarter Bersammlung wurde eine von der Genoffin Blos eingebrachte Resolution einstimmig angenommen, die sich scharf gegen die beabsichtigte Freigabe der Milch und der daraus hergestellten Produkte wendet, da dadurch die Gefahr der Ueber teuerung entsteht. Helene Grünberg , Nürnberg
Wohlfahrtspflege
Nr. 11
Die Sozialbeamfinnen zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz Der Deutsche Verband der Sozialbeamtinnen hielt in der ersten Maiwoche seine vierte Hauptversammlung ab und beschäf tigte sich dabei auch mit dem tommenden Reichsjugendwohlfahrts gesetz. Dr. jur. Margarete Berent referierte vor Berbandsmit gliedern und Gästen über„ Die Stellung der Sozialbeamtinnen zum Reichsjugendwohlfahrtsgefeh", und zwar gab sie hauptsächlich die positiven Gesetzesbestimmungen zur Kenntnis, während Elsa v. Liszt als Korreferentin die kritischen Bemerkungen zu dem Gefeßentwurf übernahm. Die Ausführungen Frl. Dr. Berents waren sehr klar und fachlich.
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Frl. v. Liszt trat der in manchen Kreisen verbreiteten Met nung entgegen, daß nach der amtlichen Regelung der Jugend- und Wohlfahrtspflege nun ein trockener, bureaukratischer Geist in die Arbeit einziehen werde. Es handelt sich hier um die plan volle 3ufammenfassung aller bestehenden Einrich tungen, um ein finngemäßes Hand- in- Hand- Arbeiten. Das Be stehende soll weiter beruht, und da, wo noch nichts ist, soll etwas geschaffen werden. Die Sozialbeamtinnen werden zeigen, daß sie feine vertnöcherten Beamten find, sondern Menschen, die mit Freude ihren Beruf ausfüllen. Die Referentin nahm dann zu einzelnen Punkten des Gefeßes Stellung. Bei Besprechung des § 1 betonte sie ausdrücklich, daß immer darauf hingearbeitet wer den wird, Eltern und Kinder zusammenzulassen. Der Zusammen hang der Familie müsse gewahrt bleiben. Sie tritt ferner für un bedingte Beibehaltung des§ 4 des Gesetzes ein. Das Jugendamt soll eine Behörde sein, die alle Maßnahmen für die gesamte Jugend umfaßt, nicht nur der verwahrlosten, sondern für je bes Kind. Sie würde es sehr bedauern, wenn im Hinblick auf die Kosten die vorbeugende Fürsorge, die im§ 4 zum Ausdruck kommt, fallen gelassen würde. Selbstverständlich hält sie die zur Ver fügung gestellten 50 Millionen zur Durchführung des Gesetzes für viel zu gering. Von der Person des hauptamtlichen Leiters des Jugendamtes verlangt sie eine besondere fachliche Ausbildung, so wohl theoretisch als auch praktisch. Auch verwaltungstechnisch durchgebildet muß der Betreffende sein, ganz abgesehen davon, daß es eine starke Persönlichkeit sein muß, die der ganzen Arbeit den Geift gibt. Frl. v. Liszt wendet sich auch dagegen, daß die leiten. den Posten etwa ausschließlich Männern übertragen merden und den Frauen nur die Außenarbeit zufällt. Es muß jeder auf dem Bosten arbeiten, für den er befonders geeignet ist. Die Rednerin schloß ihre Ausführungen mit den Worten:„ Wir Sozialbeam tinnen begrüßen das Gefeß aufs wärmste. Wir wollen an seiner Ausgestaltung und Durchführung mitarbeiten in dem Wunsch, un serer Jugend zu helfen."
Diese Auffassung tam auch in der anschließenden Aussprache zum Ausdruck. Es meldete sich auch u. a. Frau Ministerialrat Genossin Dorothea Hirschfeld zum Wort, die ganz besonders auf die viel zu geringe Summe von 50 Millionen für das ganze Reich hinwies. Sie schlug vor, sich bei der Durchführung des Gesetzes der Mitarbeit der Jugendausschüsse der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge zu bedienen.
Die Versammlung beschloß, an den 29. Ausschuß des Reichs tages, der das Gefeh berät, eine Eingabe zu richten mit der Bitte, aus dem§ 4 die vorbeugende Fürsorge nicht herauszunehmen. Dies stelle teine Ersparnis dar, da dieselben Ausgaben dann später bet der kriminellen Jugend wieder auftauchen. Eine Abschrift dieser Eingabe soll an den Reichsfinanzminister gesandt werden mit einem Antrag auf Erhöhung der für die Durchführung des Gefeßes bereitzustellenden Mittel.
In einer am darauffolgenden Tage stattgefundenen Fachver sammlung der Polizeifürsorgerinnen sprach Polizeifürsorgerin Margarete Dittmer( Berlin ) über das Thema:„ Wie können Polizeifürsorge, Jugend- und Wohlfahrtsämter erfolgreich zu fammenarbeiten?" Positive Vorschläge an sich brachte die dies bezügliche Aussprache nicht. Es wurde eine Kommission gebildet, die dem Reichstag einen Antrag zugehen lassen soll, sich mit der Frage der Zusammenarbeit zwischen den genannten Organisas tionen zu beschäftigen und sich ferner auch dazu zu äußern, daß in dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz die Stellung der Polizeifür forgerin nicht erwähnt worden ist.
Beachtenswert war die Aeußerung einer seit vielen Jahren in ber Berliner Polizeifürsorge tätigen Schwester. Sie wünscht nicht, daß die Polizeifürsorgerinnen alle Jugendlichen dem Jugendamt zur Pflege abgeben müssen, denn sie wollen ihre Freude an der