Il6 Die Gleichheit Nr. 12 Bevölkerungsvermehrung muh das wirtschaftliche Leben zum Er starren kommen. Professor Grotjahn, das jüngste Mitglied unserer Fraktion, hält die Aufzucht von drei bis vier Kindern in jeder Familie für nötig, nur so kann die Bevölkerungszahl erhalten und ein gewisser Aus- trieb der Volkswirtschaft gesichert werden. Gerade wir Sozialisten sollten uns dieser Solidarität zwischen Familie und Gesellschaft stets bewußt bleiben. Deshalb kommt die künstliche Fehlgeburt nur bei schneller Aufeinanderfolge oder eine diese Norm über steigende Zahl in Frage. Gerade hier findet der Arzt, der nicht nur heilen sondern auch vorbeugen will, ein geeignetes Feld. Er muh eine Regelung der Geburten mit den Eltern besprechen, eine Regelung, die das wahllose Erzeugen der Kinder verhindert und Wert darauf legt, daß der Mutter Zeit bleibt, die bereits ge borenen Kinder zu pflegen und zu erziehen. Diese Regelung kann nur durch Anwendung von empfängnisverhütenden Mitteln(antikonzeptionellen Präventivmitteln) erzielt werden. Hier die sicher wirksamen von den unwirksamen oder gar gefähr lichen zu unterscheiden, dazu muß der Rat des Arztes möglichst eingeholt werden. Sie dürfen nicht verboten werden, weil sie geistlichen und militaristischen Bevölkerungspolitikern als unsitt lich erscheinen. Uns bedeutet ihre Anwendung Einschränkung der Vielkinderei zugunsten einer kleineren Zahl an Körper und Geist besser entwickelter Kinder. Das Eheleben der Menschheit muß künftig von Vernunft geleitet sein und zu einer wirklich der Er höhung der Kultur dienenden gesellschaftlichen Einrichtung empor entwickelt werden. Berechtigt doch nur auf den ersten Blick erscheint der Ein- wand, daß die Straffreiheit der Fruchtabtreibung für viele junge Mädchen den Wegsall des letzten Bedenkens vor einem vorehelichen Verkehr bedeuten und damit einem leichtsinnigen Lebenswandel Borschub geleistet würde. Mag sein, daß das für einen gewissen kleinen Prozentsatz zutreffen wird, bei dem die Furcht, die Schande nicht verbergen zu können, im Augenblick der Leidenschast so stark Ist. Ihnen gegenüberzustellen sind die Tragödien der vielen be dauernswerten Mädchen, die die gesellschaftliche Aechtung dem Kurpfuscher in die Hände oder in den Tod treibt. Die Zunahme des unehelichen Geschlechtsverkehrs wird in Wirk lichkeit durch ganz andere Gründe bestimmt, durch die immer wachsende Erschwerung der Eheschließung infolge wirtschaftlicher Not und des großen Kriegsverlustcs an heiratsfähigen Männern. Hier muh mit anderen Mitteln eingegriffen werden. Die Aechtung der unehelichen Mütter muß aufhören, andererseits der Stolz und das Selbstbewußtsein der Frauen gegenüber den Männern ge- hoben werden. Das geschieht durch die politische Gleichstellung schlecht« zu leiden gehabt. Frauen wie Karoline Schlegel- Schilling, Charlotte v. Stein, die Rahel, Bettina sind nichtnur' Frauen, sie sind Persönlichkeiten und wurden als solche hoch ge schätzt von den bedeutendsten Männern ihrer Zeit. Freilich sind es auch wieder Männer höchster Kultur, im Zeitalter des Hu manismus, welche den Frauen weitgehendste Freiheit einräumen, die nicht zweierlei Moral, zweierlei Bildung der Geschlechter kennen. Der Vorzug dieser Frauen aber ist es wieder, daß sie ihren Ehrgeiz nicht darin sehen, den Männern gleich zu sein, son dern ihre spezifische weibliche Note zum Ausdruck zu bringen. Eine der hervorragendsten weiblichen Persönlichkeiten jener Zeit ist zweifellos Karoline von Humboldt . Man hat sie die klassische deutsche Frau genannt. Klassisch, weil sie ihr Wesen, Wollen und Wirken in seltener Harmonie zu vereinen verstand. Deutsch, weil sie in schwerer Zeit mit ihren Idealen so fest im Deutschtum wurzelte, ohne den Fehler eines radikalen Nationalismus, den heute so viele Frauen, die es gewissermaßen als Privileg be trachten, ihr Deutschtum zu betonen, zum Ausdruck bringen. Ihr Gatte, Wilhelm v. Humboldt , hat Karolinens Wesen einmal sehr schön zusammengefaßt:Ich habe so oft und tief gefühlt, wie im edelsten Sinne des Wortes deutsch Du bist und wie sich in Dir klar und bestimmt zeichnet, was die Grundlage des Besten und Höchsten in unserem Denken und Empfinden ist. Ich kann gewiß mit Un parteilichkeit behaupten, daß sich vielleicht nie in einer allgemeinen Form in einem einzelnen so rein und vollkommen ausgesprochen hat als deutsche Weiblichkeit in Dir." So harmonisch und sorgenlos sich Karolinens Leben nach außen hin abzuspielen scheint, so hat es ihr doch nicht an inneren Stürmen und Schmerzen gefehlt. Vor allem war ihre Kindheit und Jugend traurig. Sie hatte die Mutter früh verloren. Der Vater führte ein abgeschlossenes Leben und trat Karoline erst nach der Verheiratung näher. Eine französische Erzieherin Hatto wenig und durch die Erziehung in den gewerkschaftlichen Organisationen. Der Verkehr der Geschlechter muß harmloser sein. Da» kann schon durch die gemeinschaftliche Erziehung in der Schule geschehen, das wird weiter gefördert durch die Jugendbewegung, in der die jungen Mädchen und jungen Männer gemeinsam sich bilden und an edleren Vergnügungen Gefallen finden. Wichtig ist natürlich, daß die Furcht vor der unehelichen Geburt beseitigt wird durch die gesetzliche Gleichstellung des unehelichen Kindes mit dem ehelichen im Sinne der neuen Versasiung. Eine umfassende Jugendfürsorge hat einzusetzen, die schon vor der Geburt mit der Schwangerenfürsorge beginnt. Durch sie muß der hoffenden Mutter schon früh Sicherstellung der Alimentierung gewährleistet werden, ihr mit Rat und Tat in ihrer Not beige standen werden. Anstalten sind zu gründen, In denen die aus Stellung und Obdach gejagten Opfer einer brutalen Sittlichkeits auffassung vor und nach der Geburt mit ihrem Kinde Unterkunft finden. Für ärztlich gutgeleitete Wöchnerinnenheime ist aus reichend Sorge zu tragen. Ob die Errichtung von Findelhäusern. in denen die Kinder namenlos abgegeben werden können, zu empfehlen ist, erscheint mir zweifelhaft; durch sie wird das Band zwischen Mutter und Kind, das zu beider Nutzen gestärkt werden mühte, zerrissen. Die Reichswochenhilfe ist möglichst weit auszubauen. Sie hat für mindestens 3 Monate vor und nach der Geburt für Mutter und Kind ausreichenden Lebensunterhalt zu bieten. Durch alle diese Maßregeln würde die Angst vor den Sorgen der ersten Lebensmonate des Kindes beseitigt. Und das gilt nicht nur für die uneheliche Mutter, sondern auch für die eheliche, deren Freude am Kinde dadurch gehoben würde. Man könnte sogar versuchen, durch eine Geldprämie, die bei der Geburt fällig wird, den Ansporn zur Kindererzeugung zu geben. Meist ist es die Furcht vor den Sorgen um die ersten Lebcnsmonate des Kindes, die zur Abtrei bung führt. An die Wochcnhilse muß sich dann die Errichtung von Krippen, Kinderhorten und Kindergärten anschließen, die der Mutter ermöglicht, der Erwcrbsarbeit nachzugehen, sie von der Er ziehung entlastet und doch ihr die Möglichkeit gibt, sich des Kindes in ihren freien Stunden zu erfreuen. Durch eine durchgreifende Schulreform mit Unentgeltlichkeit des Unterrichts und der Lern mittel sowie Schulspeisung muß den Eltern eine weitreichende Sicherheit gegeben werden, daß sie ihren heranwachsenden Kindern eine genügende Ausbildung für den Kampf ums tägliche Brot ge währen können. Eine solche zielsichere Bevölkerungspolitik würde die Freude am Kinde wieder erneuern. Natürlich müßten weitausschauende wirt schaftliche Reformen hinzukommen, die wir hier nur mit einigen Verständnis für das temperamentvolle wissensdurstige Mädchen. das in der Abgeschlossenheit des väterlichen Gutes aufwuchs. So waren denn Bücher ihre Hauptfreunde, und sehr zeitig nahm sie selbständig Stellung zu den verschiedenen Zeitfragen. Sie wuchs in der Natur auf und so gab ihr Rousseau, der die Rückkehr zur Natur immer wieder predigte, unendlich viel. Durch seinenLontrat social" dachte sie früh nach über den Aufbau und die Gegensätze in der menschlichen Gesellschaft. In seinemsiimile" lernte sie sich mit Erziehungsfragen beschäftigen, die sie später, als sie Mutter wurde, zu verwirklichen suchte. Ueber ihrer Mutter schaft stehen Nousseaus schöne Worte:Werde Mutter! Nähre dein Kind an deinem eigenen Busen. Hüte es, erziehe es, und von selbst wird die Sittenlosigkeit verschwinden, das Gefühlsleben zur Natur zurückkehren, werden die Eheleute sich innig verbunden fühlen. Denn sobald die Frauen wieder anfangen, Mütter zu sein, werden die Männer es lernen, wieder Gatten und Väter zu werden." Karoline wäre aber nicht ein echtes Kind der Romantik ge wesen, wenn die rührende Liebesgeschichte von Rousseau »Abälard und Heloise " sie nicht tief ergriffen hätte. Nicht minder tief er schütterte sie die Erzählung von Werthers Leiden. Aber nicht nur Karoline v. Dachröden, alle weich empfindenden rotnantischen Geister der damaligen deutschen Jugend weinten um Werther. Und diese gemeinsamen Tränen vereinigten sich in dem sogenannten Tugendbund, der räumlich Entfernte einander geistig nahe brachte. So kam ein lebhafter schriftlicher Gedankenaustausch zwischen Karoline v. Dachröden und Wilhelm v. Humboldt zustande, der sie beide wünschen ließ, sich persönlich kennen zu lernen. Der Vorwand war ein ganz prosaischer. Humboldt kam auf das Gut Dachrödens, um eine landwirtschaftliche Maschine zu besichtigen. Um so mehr schwelgten die beiden jungen Leute in hochgespannten überschweng lichen Gefühlen. Und wie ihre Seelen sich schon früher gefunden