Nr. 14
31. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Mit den Beilagen: Für unsere Kinder. - Die Frau und ihr Haus
Die Gleichheit erscheint 2 mal im Monat Prets: Vierteljährlich 3,- Mark
Inferate: Die 5 gespaltene Nonpareillezelle 2,- Mart, bel Wiederholungen Rabatt
Zuschriften sind zu richten an die Redaktion der Gleichheit, Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Amt Morigplag 14838 Expedition: Berlin SW 68, Lindenstraße 3
An die neue Jugend!
Ihr geht ins Leben hinein,
Zweige der grünenden Welt in der erhobenen Hand, Um eure jungen Stirnen spielt der aufgehende Schein Einer Sonne, die euch führt in das kommende Land.
Was eure Väter voll Müh',
Was eure Mütter voll Weh ringend und darbend gebaut, Gab euch den heiligen Grund, drauf ihr in segnender Früh Aufsteigt zum fruchtbaren Tag. Seht, wie das Licht euch vertraut!
Seht, wie das Licht euch begrüßt,
Kinder der wandelnden Zeit, Jünger des neuen Geschlechts! Vieles, was mächtig bis heut, vieles war traurig und wüst, Aber es wächst in der Welt Ordnung des reineren Rechts.
Seht, wie der Kampf euer harrt!
Schlechtes noch schreckt euren Schritt, Schatten der Dämmerung sinkt, Zwietracht und niedriger Wahn grauer Vergangenheit starrt. Aber ihr fürchtet euch nicht. Seht, wie die Zukunft euch winkt!
Kommende Männer und Frau'n!
Bildet in Glück euch und Leid, formt euch in Lust und in Pein! Wandert zu Höhen, weithin, Ströme des Lebens zu schau'n! Schaut und schreitet und wirkt, kühn eine Welt zu befrei'n! Karl Henckell
Mütter und Jugend
Ein Kindlein kommt auf die Welt, und siehe, da sind auch schon all die lieben Vettern und Basen." Nein, wie das Kind der Mutter gleicht!"" Seht einmal, es ist der zweite Bater!" Und sie selbst, die Mutter, hat wohl in mancher der vielen Stunden reicher Innerlichkeit, die nun gefolgt sind, geforscht in dem kleinen Menschengesicht, was wohl darin geschrieben stand von Altvertrautem. Und wenn sie eine von den ganz feltenen Müttern war, hat sie auch einmal gesucht, was an Eigenem, Neuem darin angedeutet lag, und dabei ist es ihr wohl geschehen, daß eine plößliche Angst ihr heimlich durchs Herz gegangen ist. Aber dann fam wieder die starke Glückswelle und nahm alles mit fort, nur der Besitzstolz der jungen Mutter, der blieb.
Und während in der Wiege das kleine Menschlein seinem Schicksal entgegenschlief, hat sie gewacht und gedacht und einen Lebensweg für es festgelegt, so wie er ihrem Mutterherzen herrlich erschien.
Aber das kleine Ding dehnte sich und wuchs und strebte fort aus dem Mutterschoß und tat den ersten Schritt dem eignen Ziel entgegen. Welche Mutter wäre töricht genug, es daran zu hindern?
Dem ersten Schritt aber folgt ein zweiter, ein dritter. Er muß nicht fortführen von der Mutter, er muß nicht. Ach, daß es so häufig doch geschieht!
Es beginnt die lange schwere Probe auf das tiefste Wesen menschlicher Mütterlichkeit.
Kann sie verzichten auf ihr vermeintliches Besitzrecht am Kinde?
Versteht sie das junge Menschenfind nur, solange es mit ihr willig den gleichen Weg geht und seinen Lebensrhythmus dem ihrigen anpaẞt?
Oder hat sie jenen unbeirrbaren Instinkt des Herzens, der im Kinde auch das Andersgeartete, das Fremde ahnend erfaßt und sie fähig macht, ihm zu helfen, damit es seinen ureigenen Zwecken entgegenzureifen vermag? Und kann sie auch schweigend abwarten? Wohl ihr, wenn sie besteht! Wie die Jungens und Mädels diese Mutter zu den ihrigen rechnen! Sie fliehen nicht vor ihr, so wenig sie in träger Gewohnheit immer in ihrer Nähe bleiben. Nach Tagen und Wochen ernster Arbeit oder froher Wanderlust kommen sie zur Mutter und bringen ihr den Reichtum ihrer jungen Herzen in freiwilliger Geberlust.
In den Stunden jugendlicher Erschütterung kehren sie zurück zu dem Schoß, von dem sie ausgegangen sind, hier löst sich ihnen das Rätsel des Lebens, hier finden sie das Gleichmaß ihrer Kräfte wieder.
Und in den schönen und festlichen Stunden der Gemeinschaft führen sie diese Mutter als Ehrengast in ihren Kreis. Warum gibt es so wenig Mütter?!