Nr. 15

31. Jahrgang

Die Gleichheit

Seitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Mit den Beilagen: Für unsere Kinder.

Die Gleichheit erscheint 2 mal im Monat Preis: Viertelfährlich 3,- Mark

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Berlin  

1. August 1921

Zum Ausgleich zwischen Lohn und Lebenskosten

Bon Henriette Fürth  

In der Nr. 18 des Reichsarbeitsblatts"( 30. Juni 1921) ist ein für großstädtische Arbeiterkreise darum besonders lehrreicher und bemerkenswerter Aufsatz erschienen, weil in thm an der Hand schlüssiger Ziffern der Nachweis erbracht wird, daß trotz der gestiegenen Löhne auch heute noch ein entschiedenes Mißverhältnis zwischen Einkommen und Aus­kommen weitester Volksschichten besteht. Der Verfasser, Staatsbaurat Staude( Bremen  ) entnimmt seine Angaben den Mitteilungen des Bremischen Statistischen Amtes, kom­biniert mit der Wirtschaftsrechnung eines Schiffszimmerers aus dem Jahre 1909 und zufällig aufgefundenen vertrauens­werten Mitteilungen über Brot- und Kartoffelpreise und Aus­gaben aus dem Jahre 1854. Es wird gezeigt, daß die Kosten der Ernährung, die sich im Jahre 1913 auf etwa 50 Proz. der Gesamtausgaben beliefen, in den folgenden Jahren, und awar bis zu 95 Proz. im Jahre 1916 anstiegen. Das heißt also, daß von 100 Mt. Einkommen nur 5 Mark für andere Zwecke( Wohnung, Kleidung usw.) zur Verfügung standen. Im Jahre 1917 bringen dann die Teuerungszulagen eine tleine Besserung, bis 1918 das, was der Verfasser eine sprunghafte Lohnerhöhung" nennt, ein Ab­finken der Ernährungsquote auf 63 Proz. vom Einkommen herbeiführte. Das reihefolgende Neusteigen aller Preise brachte es dann zuwege, daß zwischen 1918 und 1920 die Kosten der Ernährung 63 bis 92 Proz. des Gesamteinkom­mens aufzehrten.

Diese nüchternen Zahlen spiegeln das, trotz steigender Löhne immer schlimmer werdende Elend deutlich wider. Kaum eine Möglichkeit, die Miete zu zahlen. An Wäsche, Kleider, Schuhe, an Ergänzung von Wäsche und Hausrat fann nicht gedacht werden. Kulturaufgaben kommen überhaupt nicht in Frage. So sieht, durch die Brille nüchterner Wirklichkeit gesehen, die Kehrseife der vielverleumdeten Lohnsteigerung überall da aus, wo nur ein Ernährer für alle Bedürfnisse der Familie und, wohlgemerkt, einer nur aus 4 Personen be­stehenden Familie vorhanden ist.

Man sollte nun meinen, aus dieser Sachlage müßte der Autor mit Notwendigkeit zu der Forderung einer entsprechen­den Lohnerhöhung kommen. Er argumentiert aber gerade umgekehrt, indem er sich die landläufige Anschauung au eigen macht, daß nicht die wachsende Geldentwertung ein­schließlich unserer Beziehungen zum Ausland, sondern die unverhältnismäßige Lohnsteigerung an der übermäßigen Berteuerung aller lebensnotwendigen Bedarfsgüter schuld sei. Als Beweis führt er an, daß die Verkaufspreise der Elektro­Industrie infolge der hohen relativen Unkosten, Löhne und Materialpreise auf eine von der Elektroindustrie als ungesund empfundene Höhe getrieben seien. Der Lohnanteil, bezogen auf 1 Kilogramm fertige Ware, stieg von 40 Pf. im Jahre 1913/14 auf etwa 2 Mt. im Jahre 1919 und auf etwa 4 Mr. In 1920. Die Gesamtlohnsumme stieg bei wenig veränderter

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Die Frau und ihr Haus

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Belegschaft von 59 auf 278 Millionen Mart. Der Verfasser verschweigt leider die Umsatz- und Gewinnziffer der betreffen. den Unternehmungen und übersieht auch, daß nach den vor. liegenden Inderziffern die Warenpreise gegen 1914 um das Fünfzehnfa che gestiegen sind, während sich nach den obenstehenden Angaben aus einer Qualitätsindustrie die Löhne um das tnapp Fünffa che erhöht haben.

Ebenso steht es mit dem Hinweis auf den angeblichen zusammenhang zwischen Lohn- und Unwirtschaftlichkeit der großen Verkehrsunternehmungen. Wenn die preußische Staatseisenbahn statt eines vormaligen Betriebsüberschusses

von 800 Millionen Mark jährlich im Februar eine Zubuße von rund 14 Millionen Mark täglich erforderte, so ist das neben der bekannten Tatsache, daß man die Eisenbahnen dem Reich weit über Gestehungskosten aufgehängt( wenn ich mich recht erinnere: 38 statt 18 Milliarden Mark) und dieses nun die hohen Zinsen herauszuwirtschaften hat, dem zuzu­schreiben, daß bis zur Stunde die Tariferhöhung mit der Steigerung des Zinsendienstes, der Materialkosten und Löhne

nicht Schritt gehalten hat. Wo man, wie z. B. bei der Frank­ furter  

Straßenbahn, da zu übergegangen ist, eine der Sach­lage entsprechende Tarifgestaltung vorzunehmen, ist mit Sicherheit die Umwandlung des Zuschuß- in einen Ueber­schußbetrieb zu erwarten.

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Ist man sonach genötigt, den aus den Lohnsteigerungen gezogenen Schlüssen Staudes mit Entschiedenheit entgegen. zutreten, fo gilt erfreulicherweise nicht dasselbe von dem von ihm gemachten Endvorschlag. Stin begrüßenswertes Endziel ist die Besserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter. Als Gradmesser dient ihm eine Lebenshaltung, bei der die Aus­gaben für die Ernährung einer Familie mit zwei Kindern nach Möglichkeit 50 Proz. der Einnahmen nicht überschreiten und die verbleibenden 50 Pro3. für die Bestreitung der Kosten der übrigen Lebensbedürfnisse verwendet werden können... Das Ziel fann nur innerhalb der wirtschaftlichen Möglich­feiten und nur schrittweise erreicht werden".

Diese schrittweise Anpassung der Löhne an die Kosten der Lebenshaltung will der Verfasser dadurch erreichen, daß aus zuverlässigen Erhebungen über die Ernährungskosten in den zurückliegenden drei Monaten das Mittel errechnet und für die folgenden drei Monate ein um 5 Proz. erhöhter Lohnsatz bezahlt werde. Betragen beispielsweise die Kosten der Er­nährung einer Arbeiterfamilie mit zwei Kindern in den Monaten September, Oktober, November in Mittel 69,5 Proz der Einnahmen, so werden sie für die folgenden drei Monate auf 65 Proz. dadurch zurückgeführt, daß die Löhne entspre chend erhöht werden."

Mit Hilfe dieser gleitenden Lohnstala hofft der Verfasser dahin zu gelangen, daß das gesunde Verhältnis der hälftigen Teilung zwischen Ernährungs- und sonstigen Lebenskosten herbeigeführt werde. Er hofft, daß diese glei­tende Skala eines Tages auch einmal nach unten wirksam gemacht werden könnte, wenn erst, und zwar mit infolge diefer kampflosen und an sich durchaus einwandfreien Me­thode der Lohnfestsetzung, eine gewisse Beruhigung und Ge­