Nr. 15
Die Gleich beit
Fragen zu heben vermochten. Vielmehr hat gerade die letztere das Individuum noch tiefer in seine Unbedeutendheit hinabgedrückt, indem es ihm den Himmel nahm( d. h. den ideellen Begriff eines absolut Guten und Vollkommenen) und an seine Stelle Zwede und Ziele setzte, die sich an der menschlichen Schwäche und Unvollkommenheit notwendig totlaufen mußten.
Das Verdienst, die Verlogenheit der Zweck- und Wertsetzung unseres täglichen Lebens erkannt und bekämpft zu haben, teilt er Nietzsche zu, aber bei aller Hochachtung vor Nietzsches Wollen und Wissen kommt er doch zu dem Schluß, daß es ihm nicht gelungen ist, Tafeln der Werte" über uns aufzuhängen. ,, Gr hat die Gestalt des neuen Propheten in hinreißenden Büchern bor uns aufgestellt, aber er selber war dieser Prophet nicht."
Auch mit Kant setzt sich Goldstein auseinander und auch hier hindert die schuldige Ehrfurcht vor dem genialen Denke: ihn nicht, seine Theorien unter die kritische Lupe zu nehmen und nachzuweisen, daß die Lehre von der Kritik der reinen Vernunft und der Pflicht als kategorischem Imperativ auf einer Voraus seßung beruht, die der damaligen Zeit unanfechtbares Postulat war, uns Heutigen aber verloren gegangen ist, nämlich ,, die finnvolle nach einem Plan auf einen gwed hin geschaffene Welt und den Glauben an ein ewiges Leben der Seele".
Für Goldstein steht fest, daß der Zweck der Welt" für die Menschen unerfahrbar ist, und daß es darum ,, die unbedingte Pflicht in Kants Sinne einer kosmischen Notwendigkeit nicht gibt".
Ohne Kant und Nietzsche jedoch wären wir heutigen verloren in der entgötterten Welt, denn ohne das Bewußtsein einer Notwendigkeit oder Nüßlichkeit seines Handelns kann fein Mensch leben. Erschütternd malt Goldstein die grenzenlose Verlorenheit des Menschen, der sich vom Zwedbegriff nicht lösen kann.„ Au der schweren Kette der Notwendigkeit trotten wir, einer hinter dem anderen, unseren schmalen Weg über die Erde, vereinsamt in der Unendlichkeit von Zeit und Raum, hilflos und winzig unter bem majestätischen Geheimnis des Daseins, gebeugt und erniedrigt durch den hohnvollen Blick ewig stummer Welträtsel!"
Und doch- Durch uns strömt die tote Materie als lebendiger Organismus. Im Menschen erhellt sich das Leben zu Verstand und Vernunft, aus ihm lodert das Selbstbewußtsein als Wille. Der Mensch will, und mit diesem Wunder aller Wunder ist er Anfang und Ende, Schale und Mittelpunkt der Welt."
Der Mensch will! Das ist Goldstein der Schlüssel zu jener Weltanschauung, die uns aus der Sinnlosigkeit des Lebens erlösen soll. Was aber will der Mensch? Er will über das Menschliche hinaus, er sucht einen Wert außerhalb und ober
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Feuilleton
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Denn was in deines Schoßes Macht... Wohl ist mit deiner Mädchenschaft Der keufche Schmelz von dir geftreift, Doch nur, weil einer höb'ren Kraft Dein Wefen ſtill entgegenreift.
Und ichlägit du gleich die Augen tief Vor jedem, der des Weges kam: Was dich fo glühend überlief, Ift deiner Seele schönste Scham. Noch bift du dir nicht klar bewußt, Daß du ein höchftes eingetauscht, Seit tief in deiner eignen Bruft Der Quell des Lebens felber raufcht. Und fühlst dich doch von einer Flut Aus Gottes reinſtem Born betaut, Пun deiner mütterlichen Hut Ein neues Leben anvertraut. Ich aber flüg'le meinen Schritt Und grüß das neue Leben laut. Viel taufend Stimmen grüßen mit Und fingen dir, du Lebensbraut! Denn was in deines Schoßes Пacht Moch träumt und Blut von dir erhält, Wird einft, zum hellen Licht erwacht, Vielleicht der Heiland einer Welt.
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halb der Menschen, einen Wert, der bliebe, wenn wir mit unseren Unzulänglichkeiten gar nicht oder nicht mehr wären". Das ist aber, wenn man sich nicht in irgendeiner Form zu Gott be. fennt, ein Unding, weil es einzig und allein der Mensch ist, der Wertungen schafft, Maß und Ziel also aus sich selbst heraus in das Weltgeschehen hineinstellt. Jeder Mensch richtet sein eigenes Tun und Lassen sowie sein Urteil über die Handlungen anderer nach der ihm ganz persönlich eigenen Grundwertung", die wiederum durch seine Veranlagung bestimmt und durch die Grundwertung seiner Zeit- und Artgenossen bedingt ist. Sier nun scheidet sich zum ersten Male klar das Edle vom Gemeinen Gewöhnlichen. Jedes lebende Wesen wertet nach dem, was ihm nüßt und schadet. Wer im Essen und Trinken, im animalischen Genuß und Behagen Zweck und Inhalt des Lebens erblickt, wird den Nebenmenschen niemals begreifen, der einer Idee zuliebe mag sie nun greifbaren oder eingebildeten Wert haben in den Tod zu gehen fähig ist. Im Verhältnis des Menschen zur Idee wird also das an sich Zwecklose tatsächlich und wirklich zum Wert, denn nun frage ich nicht mehr: was nüßt es mir, so oder so zu handeln, sondern ich handele wie meine innere Stimme, mein Gewissen es für notwendig und wertvoll hält. Goldstein führt klar den Beweis, daß das Gewissen nicht etwa nur das Produkt der Zeit- und Sittenkonvention ist, sondern daß es einen Ewigkeitswert hat, daß es eine Realität darstellt, die in weit größerem Ausmaß als bisher bestimmenden Einfluß auf unser Sein und Wollen bekommen muß. Gib deinem Leben absoluten Wert und nimm als Maßstab deiner Handlungen die unbedingte, von Rücksicht auf deinen Vorteil oder Genuß befreite Wertung!" Oder mit einfachen Worten: Erfülle deine Pflicht nicht deshalb, weil es unvorteilhaft wäre, ihr aus dem Wege zu gehen, sondern befiehl deinem Willen jede Pflichterfüllung als um deiner eigenen erstes und selbstverständliches Gebot Hochachtung willen! Das ist Goldsteins Forderung. Auch er weiß, daß die Freiheit des Willens physiologisch begrenzt ist. Jm Wollen des Sittlichen jedoch ist sie unbegrenzt, und in dem Bogen, den der Wille von seinen natürlichen Haftpunkten aus hinaufspannt in das persönliche Können und Vollbringen, liegt der unantastbare ewige Wert des Menschen.
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Und das ist das Schöne an dem kleinen gelben Büchlein, das im Shbillenverlage in Dresden erschienen ist, daß es jeden Menschen zum Brückenbauen aufruft und ihm beweist, daß sein eigenes Sem und Wollen ihn von der Sinnlosigkeit des Daseins erlösen kann, wenn er den Begriff des Zweckes durch den Begriff des wahren lebendigen Persönlichkeitswertes ersetzt. Charlotte Buchow.
Vom Tschingdarah und der eigenen Melodie
schingdarah!! Tschingdarah! Tschingdarahdabumdarah!!! Aus einer entfernten Straße meht's zu mir her!... Die Menschen, vorher noch gleichgültig durch die Straßen ziehend, merken auf, die Körper straffen sich, die Mienen lauschen gespannt und nun kommt's daher... brausend! flirrend! klingelnd!... den straffen Rhythmus nervenpeitschend allen in die Glieder jagend, und Leben und Bes wegung, vorher nur schwach zu spüren; fommt über alle,-an denen dieser Sput vorbeitost. Ach! himmlisch ist das doch!" sagt ein junges Ding mit strahlendem Blick zu mir. Himm lisch? Für mich ist's mehr teuflisch, und weckt in mir alle traurigsten Gefühle." Ihr starres Erstaunen im fragenden Blick deutet mir an, sie fühlt es nicht, was mich bewegt.„ Ist denn der Krieg so spurlos an Ihnen vorübergegangen, lassen diese himmlischen" Klänge in Ihnen keine Bilder aus unsern trübsten Tagen auferstehen?" Wieder stummes Staunen. Welchen Sinn und Zweck hatte doch diese „ himmlische" Musik während des Krieges gehabt und ver folgt? Sehen Sie nicht in der Erinnerung, wie sie vorweg zieht, die Instrumente blitzend, blank geputzt... tfchingdarah! Tschingdarah! Den ganzen Troß der zum Tode Ber urteilten wie ein großer Magnet hinter sich herziehend? Wohl strafft der peitschende Rhythmus die Muskeln und viele schreien: Hurra! aber dada! Sehen Sie nicht die junge Braut am Arme des kraftvollen Jünglings, sehen Sie die
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