Nr. 23

31. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Mit den Beilagen: Für unsere Kinder. Die Frau und ihr Haus

Die Gleichheit erscheint 2 mal im Monat Prets: Vierzeljährlich 3,- Mart

Inferate: Die 5 gespaltene Nonpareillezetle 3,- Mt. und 30% tariflichen Teuerungszuschlag, bet Wiederholungen Rabatt

Ferdinand Lassalle

Berlin

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1. Dezember 1921

Der Name besitzt einen hohen Klang in der deutschen Arbeiterschaft. Und mit Recht, denn Lassalle war nicht nur der glänzende Organisator und Agitator, sondern er war ein Mensch von überlegener Geistesfraft; ein geborener Bahn­brecher und Führer. Den Frauen stand er im Leben sehr nahe; er liebte sie( soweit man bei seiner herrischen Natur den Begriff anwenden kann) und wurde von ihnen geliebt. Als er im blühendsten Mannesalter in dem von ihm selbst provozierten Pistolenduell fiel, geschah es um eine Frau: Helene von Dönniges . Und dennoch darf wohl behauptet werden, daß er uns Sozialdemokratinnen von heute( wenig­stens soweit die breite Masse der Genossinnen in Frage tommt) innerlich ziemlich fremd geblieben ist. Vielleicht beruht das zu einem Teil darauf, daß fast alles, was bisher über Lassalle geschrieben wurde, sowohl wie auch seine eigenen Schriften immer nur den fertigen Menschen vor uns hinstellt. Was wir aus seiner Jugend wußten, wies große Lücken auf. Wir sahen ihn nicht organisch wachsen und werden. Diese Lücke füllen nun die Briefe von und an Lassalle " aus seinem Nachlaß, deren ersten Band Gustav Mayer im Frühjahr dieses Jahres bei der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart her ausgegeben hat. Fünf Bände soll dieser Nachlaß füllen; der vorliegende enthält die Briefe von 1840-1848. Die Arbeit der Zusammenstellung sowohl wie das Vorwort sind so aus­gezeichnet, wie wir es bei Mayer, dem Herausgeber der Jugendbriefe Friedrich Engels , gewöhnt sind.

Das Buch ist umfangreich, aber das würde kein Hemmnis sein für seine Verbreitung in der Arbeiterschaft, weil das Bild, welches sich beim Lesen ergibt, so fesselnd ist, daß es uns nicht losläßt. Außerdem haben Briefe den Vorteil, daß man sie nicht in einem Zuge lesen braucht, was bei dem Mangel an Zeit, um den gerade wir Frauen zu klagen haben, ins Gewicht fällt. Aber das Buch kostet auch leider viel Geld( wenn es auch an sich nicht teuer ist) und die Arbeiterschaft hat wenig Geld, und das wenige sehr nötig zur Bestreitung der notwendigsten Lebensbedürfnisse. Da­durch werden diese Briefe gerade von unseren Genossinnen wenig gelesen werden können. Und das ist schade. Wahr scheinlich würden diejenigen, die sich überhaupt ein Bild Laffalles gemacht haben, enttäuscht sein; viele Charakterzüge des jungen Menschen, wie er uns aus den Briefen entgegen­tritt, stoßen ab, und doch würde uns diese Persönlichkeit im ganzen näherkommen, wenn wir seine Entwicklung auf uns wirken ließen.

Starkes Selbstbewußtsein lebt schon in dem Knaben. Das geht soweit, daß er als Fünfzehnjähriger glaubt, das Bres­lauer Gymnasium, welches er besucht, nicht mehr ertragen zu können. Er will Kaufmann werden und zu diesem Zweck die Handelsschule in Leipzig besuchen. Sein Vater ist ein­verstanden, der Versuch beginnt. Die Briefe aus der Leipziger Zeit verraten hier und da wohl Ueberheblichkeit,

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aber auch das sehnende, hoffende und enttäuschte Kind. Die geistige Ueberlegenheit Menschen und Dingen gegenüber tritt Die Tagebuchaufzeichnungen des hier bereits zutage. Handelsschülers aus dem Sommer 1841 geben den besten Einblick, wie alles Schöne und Häßliche in der Seele des Jungen stritt. Abstoßend wirkt, was er über die Dresdener Sittenverhältnisse auszeichnet und fast noch mehr, wenn man liest, welche Gefühle ihn in der Dresdener Galerie vor den Offenbarungen göttlichster Kunst beseelen.- Seine Liebes­briefe an Lonny Grodzka sind ein Gemisch von Hochmut, Naivität, ernstem geistigen Streben und brutaler Herrsch­sucht. In den Liebesbriefen an unbekannte Frauen dagegen strömt sich eine flammende Sinnlichkeit aus. Sie wirken so unmittelbar, daß man es nicht gut begreifen kann, wie diese Gefühlsergüsse erst im Konzept und dann in Reinschrift geschrieben werden konnten, zumal sie zu einem Teil fast vier Druckseiten umfassen. Wenn man das gelesen hat, wird man das Gefühl des Unechten nicht mehr ganz los.- Schön ist dagegen, was in verschiedenen Briefen verstreut sich an Empfinden für Mutter und Schwester, vor allem für lettere, fundgibt, und groß und schön ist auch die Freundschaft, die uns aus den Briefen an Arnold Mendelssohn entgegentritt,

Der junge Lassalle hat aber nicht nur überragende Geistes­fähigkeiten; daneben zeichnen ihn geradezu ungeheurer Fleiß und eine Zähigkeit, das einmal gesteckte Ziel zu erreichen, aus. Als er es nach einem Jahre in Leipzig satt hat, kommt er nach Breslau zurück und macht nach zwei Jahren trok größter Schwierigkeiten bereits sein Abiturienteneramen, um die Universität besuchen zu können. Sein Vater willigt jetzt ein, ihn studieren zu lassen.

Einem Kreis interessanter Persönlichkeiten des damaligen geistigen Deutschlands begegnen wir in den Briefen; be= sonders interessiert das Bild der Geisteskultur der jüdischen Intellektuellen.

Seine Freundschaft für die Gräfin Haßfeldt ist der Grund des Konfliktes mit Heinrich Heine . Die Art, wie er diesen erledigt, ist unverständlich und unangenehm. Was Lassalle so sest mit der Gräfin Haßfeldt verband, wird auch aus diesen Briefen nicht ganz klar. Die elegante Aristokratin wirfte wohl, obgleich sie fast zwanzig Jahre älter war als er, gleich­zeitig auf sein erotisches Empfinden und auf seine Eitelkeit. Die geistig bedeutende, fluge Frau stand ihm innerlich sehr nahe. Er selbst war von der Reinheit der Gräfin und damit von der Berechtigung des Kampfes, den er für sie führte, fest überzeugt; andere Freunde dieser Frau hatten diese Ueber zeugung in dem Maße nicht.

Von der Bedeutung Lassalles für die Arbeiterbewegung sprechen die Briefe dieses ersten Bandes nicht, und doch zeigen sie in der ganzen Entwicklung des jungen Menschen flar den zukünftigen Führer.

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Von anderer Art, aber nicht minder wertvoll ist die Laffalle- Biographie von Hermann Onden, die er neu durchgearbeitet und um Historische Perspektiven" vermehrt