Nr. 23
Soziale Rundschau
Die Gleich beit
Ein Gesezentwurf betr. die öffentliche Kinderfürsorge ist in Schweden der Deffentlichkeit unterbreitet worden. Der Entwurf sieht die Uebertragung der Kinderfürsorge an die Gemeinden vor unter Beseitigung der bisherigen Aufteilung zwischen Schul-, Gesundheits- und Armenbehörden. Das Kinderfürsorgeamt foll aus einem Pfarrer, einem Lehrer( Lehrerin) und aus wenigstens drei anderen Persönlichkeiten bestehen. Ein Mitglied muß stets eine Frau sein. Ein Arzt soll hinzugezogen werden. Die Kosten sollen in erster Linie von den Gemeinden unter Beteiligung der Kreise und des Staates beftritten werden. Das Schuhalter der von der Fürforge erfaßten Kinder endet mit dem 15. bzw. 16. Lebensjahr, doch können in besonderen Fällen auch Kinder über 15 bzw. 16 Jahre in Schußerziehung genommen werden. Die Fürsorge felbst soll sich auf den nötigen Unterhalt und Erziehung in Einzelpflege oder in Kinderheimen erstrecken.- Bedürftigen unehelichen oder sonst alleinstehenden Müttern kann vom Kinderfürsorgeamt ein Pflegebeitrag für das Kind gewährt werden, ebenso kann solchen Müttern 6 Wochen vor und 6 Wochen nach der Niederkunft eine Unterstüßung vermittelt werden.( Dies ist eine Annäherung an das dänische Alimentationsgesetz.)
Zusammenlegung der Angestellten- und Invalidenversicherung.
Auf Veranlassung des Bureaus für Sozialpolitik ist von sachverständiger Seite ein Gefeßentwurf ausgearbeitet worden, der zwar die bisherige Sonderversicherung der Angestellten aufrechterhalten, die Behörden und Träger der Versicherung aber zufam menlegen will.( ,, Soz. Praxis.")
Verschmelzung der Kriegsbeschädigtenorganisationen.
In Weimar fand fürzlich eine gemeinsame Reichskonferenz des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegerhinterbliebenen und des Einheitsverbandes deutscher Kriegsbeschädigter und Hinterbliebener zur Fortsetzung der Einigungsverhandlungen statt. In allen Fragen wurde eine restlose Uebereinstimmung erzielt. Die endgültige Verschmelzung der Organisationen wird im Januar vellzogen werden. Die neue Organisation wird eine Million Mitglieder zählen.
Soziale Filme.
Die Deulig- Film- Gesellschaft hat einen Film hergestellt, der die Unfallverhütung in gewerblichen Betrie ben" zeigt. Der Film ist unter Mitarbeit von Prof. Dr. Chajes und Dr. Schmidt, Dozenten an der Technischen Hochschule Charlottenburg, entstanden. Er verfolgt den Zweck, den Arbeitern, Gewerbeaufsichtsbeamten, Technikern usw., die Schußeinrichtungen gegen Berufsunfälle und Berufskrankheiten zu erklären und die Anwendung derselben geläufig zu machen. Der Gedanke an sich ist sehr gut und es ist sehr wohl zu denken, daß ein derartiger filmmäßig lebendiger Anschauungsunterricht gute Dienste leistet. Nur wäre ein noch bedeutend weiterer Ausbau nötig. Aber ein Anfang ist gemacht, und es ist zu wünschen, daß solche Lehrfilme in Arbeiterkreisen, Gewerkschaften usw. recht viel vorgeführt wer= den. Ganz besonders wichtig wäre es 3. B. für Betriebsräte, die doch die Vorschriften der Gewerbehygiene genau kennen müssen, um eine wirksame Kontrolle ausüben zu können.
Aus der Frauenbewegung des Auslandes
Rdt.
Aus London wird gemeldet, daß die Lebensbeschreibung Reir Hardies, des Gründers der britischen Independent Labour Party Das ( Unabhängige Arbeiterpartei), demnächst erscheinen soll. Buch, von W. Stewart geschrieben und mit Vorwort von J. RamJay Macdonald versehen, wird von dem„ Keir Hardie Memorial Committee" veröffentlicht und ist durch dessen Sefretär. Francis Johnson, 8 Johnson's Court, E. C. 4, um den den Preis von 15 Schilling zu beziehen.
Das Buch enthält eine ausführliche Beschreibung von der Tätigkeit Keir Hardies und dessen Einfluß auf die sozialistische Bewegung in Großbritannien , mit der Hardie sein ganzes Leben hindurch verbunden war. Es wird von großem Nußen für diejenigen sein, die sich für die Geschichte der englischen Arbeiterbewegung intereffieren.
Der Verband der englischen Frauengewerkschaften( Women's Trade Union League), der im Jahre 1874 gegründet wurde, hat
229
anläßlich des allgemeinen britischen Gewerkschaftstongresses, der vor einiger Zeit in Cardiff tagte, seine Selbständigkeit aufgegeben und gehört dem neuen Generalrat der Gewerkschaften nun als " Frauengruppe" an. Der Präsident des Gewerkschaftskongresses dankte der Vorsitzenden des Frauenverbandes, Miß Gertrude Tuck well , für ihre Tätigkeit im Namen der vereinigten Gewerkschaften. Cl. L.
*
England. Die Arbeitsgemeinschaft englischer Frauengewert schaften erläßt einen Appell an die öffentliche Meinung Englands, in dem sie auf die sozialen Gefahren schlecht bezahlter Frauenarbeit hinweist. In den Industrien, in denen immer noch keine Schiedsgerichte eingerichtet sind, herrschen in bezug auf die Frauenarbeit geradezu furchtbare Zustände. Es werden noch Stundenlöhne von 2 bis 3½ Pence gezahlt. Als wichtigste Organe zur Verhütung der Ausbeutung werden die Gewerbeinspektoren an gesehen, deren Zahl jedoch lehthin in England verringert wurde.
In England ist jetzt die zweite Frau in das Unterhaus gewählt worden.
*
Eine französische Frauenliga gegen den Krieg. In Paris hat sich eine ,, Liga der Frauen gegen den Krieg" gegründet, die jede Beteiligung am Kriege, sei sie direkt oder indirekt, ablehnt. Gie bekämpft jeden Militarismus. Als Mitglieder werden Frauen aller Länder aufgenommen, die das 16. Jahr vollendet haben und auf dem Boden der Grundsätze der Liga stehen. Noch ehe die Gründung erfolgte, hatten sich bereits 150 Frauen zur Mitarbeit gemeldet. Die Liga besitzt auch eine Zeitschrift.
*
Washington . Die neunationale Frauenpartei Ameritas sammelte im Laufe der letzten Wochen alle ihre Kräfte zu einer Kampagne für die Abschaffung aller für die Frauen noch vorhandenen gesetzlichen Hindernisse. Dieser Kampf um die völlige Gleichberechtigung der Frau hat jetzt begonnen. Vor allem erwartet man vom Prästdenten Harding, daß er seine und der Regierung Unterstützung einer weitgehenden Gesetzesvorlage gewähren wird, die sich gegen alle gesetzlich festgelegten Verschiedenartigkeiten in der Behandlung der Geschlechter richtet. Das Gesez sell Maßnahmen einschließen, die die amerikanischen Frauen unabhängig von der Nationalität ihrer Ehegatten macht und soll alle die Unterschiede abschaffen, unter denen die Frauen im Staatsdienst zu leiden haben, und die Gesetzesungleichheiten, die im sogenannten„ District of Columbia " F. P.
herrschen.
Aus unserer Bewegung
Frauenkonferenz des Bezirks Niederrheins.
In Berfolg der in Görlitz auf der Wohlfahrts- und Frauentagung gegebenen Anregungen berief die Bezirkssekretärin Genoffin Arning für den 1. und 2. November eine Bezirksfrauenkonferenz nach Duisburg ein. Die Konferenz wies einen erfreulich starken Besuch und rege Anteilnahme an den Verhandlungen auf. Bürgermeister Genosse Dr. Caspori Brandenburg sprach mit einleuchtender logischer Präzision und überiegener Beherrschung des Sachgebiets über Zweck und Aufgaben der Arbeiterwohlfahrtspflege". Seine scharfen und sehr flaren Begriffsunterscheidungen zogen den heute mehr denn je notwendigen Trennungsstrich zwischen der Arbeiterwohlfahrtspflege und bürgerlich- konfessioneller Wohltätigkeit und wiesen den Eigenweg der Arbeiterwohlfahrt zur Kommunalisierung und späteren Sozialisierung. Nach ihm sprach die Ge noffin Klara Bohm- Schuch über das aktuellste Problem der Frauenfrage, die Bevölkerungspolitik". Ausgehend von den bis tief in die Genossenkreise hinein herrschenden gänzlich verkehrten Anschauungen über benölkerungspolitische Probleme, mies sie den fünftig in diesen Fragen zu gehenden Weg und sein Ziel auf, dabei einige der brennendsten Fragen, wie die der unehelichen Mutter, der Selbstbestimmung der Familiengröße, der Abänderung des § 218 usw. besonders illustrierend. Am zweiten Tage sprach die Bezirkssekretärin Genoffin Marie Arning eingehend und anfeuernd über„ Organisation und Agitation" innerhalb der Frauenbewegung am Niederrhein . Sie gab ein plastisches Bild des Standes der Frauenbewegung im Bezirk Niederrhein , wies die Er. folge der„ Gleichheit" nach und bereitete die demnächst einsetzende Frauenwerbewoche vor. Sie gab dann noch aus der Praxis nützliche Winke zur Agitation, Organisation und Weiterbildung.