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Die Gleich beit

Die Frauen und die Staatskirche

Bon Val. Gerhardt Eulo

Als die Sozialdemokratische Partei Deutschlands fich mit aller Kraft für das Frauenwahlrecht einsehte, fonnte sie mit Recht er­warten, daß sich alle Frauen aus der erwerbstätigen Bevölkerung geschlossen für die Arbeiterparteien entscheiden würden. Die Er fahrung hat jedoch gelehrt, daß gerade unsere Partei am wenigsten Nußen von der Einführung des Frauenwahlrechts gehabt hat. Der größere Teil der weiblichen Wählerschaft ging zum Lager der bürgerlichen Parteien, in fatholischen Gegenden fast ausschließlich zum Lager des Zentrums, über. Welches sind die tiefften Ur. fachen dieses Mißerfolges? Mir erscheint( neben anderen wichtigen Ursachen) die bisherige, angeblich feindliche, Stellung der Sozial. demokratie zur Religion und zur Kirche als ein schwerwiegender Grund. Wir fordern die Trennung von Staat und Kirche, von Kirche und Schule; wir fordern bei dem jeßt entbrennenden Rampfe um das Reichsschulgesetz wieder besonders nachdrücklich die weltliche Schule! Aber der Saß unseres alten Brogramms: Religionist Privatsache wird immer wieder von einer großen Anzahl der Wählerinnen, trotz dauernder Aufklärung in der Tagespresse, In unseren Zeitschriften und in den Bersammlungen zum Teil un absichtlich, zum Teil mit voller Absicht falsch aufgefaßt. Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, daß viele Frauen, besonders in ländlichen und in katholischen Gegenden, sich ganz im Banne der Geistlichkeit befinden.-Im fleinsten Kreise hat der Schreiber biefer Zeilen von intelligenten Landarbeiterfrauen öfters hören müssen: Wir können als Christen nicht sozialdemokratisch wählen, weil ihr uns die Religion nehmen wollt!" Mich interessieren hier hauptsächlich die Frauen, die aus Unkenntnis die Begriffe Kirche, Religion und Christentum durcheinanderwerfen und des halb die Forderung des Programms falsch verstehen. Würden diese Frauen regelmäßig unsere Presse lesen und unsere Ber­fammlungen besuchen( manche Frau hat kein Interesse daran und findet nie Zeit dazu!), würde jede Genoffin an ihrem Teile aufklärend auf die ihr nahestehenden indifferenten oder nicht or ganisierten Wählerinnen wirken, so würden sie bald ihren Irrtum einsehen. Bleiben unsere aufklärenden Vorträge aber ungehört, unsere Artikel ungelesen, so müssen wir, falls wir ein Interesse an der Aufwärtsbewegung unserer Partei haben, andere Mittel ver­suchen.-

Manche Mitglieder unserer Partei bezeichnen die Agitation zum Austritt aus der Landeskirche als eine verhängnisvolle Tattit. Die Tatsache steht fest, daß in den Reihen unserer Wähler, be­sonders in den Reihen unserer Frauen, die Zahl derer groß ist, die gute Sozialisten, aber auch gute Christen sind. Sie wollen sich auch als Sozialisten am tirchlichen Leben beteiligen und weder auf die äußere Form, noch auf ihre innere Zugehörigkeit zur Kirche verzichten! Wenn wir nun einen scharfen Kampf gegen die Kirche proflamieren, so gehen der Partei zweifellos sehr viele solcher Ge­noffinnen und Genoffen verloren. Es fragt sich, ob unsere bis. herige Taktik im Kampf gegen die alte Staatskirche berechtigt und notwendig war; es fragt sich zweitens, ob eine Fortsetzung diefer Taktik im Interesse unserer Partei unter den heutigen Um­ständen praküsch und flug ist.

Die erste Frage ist rückhaltlos mit" ja" zu beantworten. Wir waren durchaus berechtigt, die Kirche als eine gefügige Dienerin bes Kapitalismus, als ein nur zu williges Werkzeug der herrschen. den Klasse zu betrachten. Wir find auch heute noch in der Lage, nachzuweisen, daß die monarchistische lleberlieferung mit ihrer Anpassung an die dynastische, tapitalistische und militaristische Ordnung des alten Staates, mit ihrer nationalistischen Lehre vom ,, deutschen Gott", vom heiligen Krieg" von einzelnen Geistlichen ruhig weiter gepflegt wird. Wir weifen mit Recht darauf hin, daß viele Geistliche beider Konfessionen, die sich anmaßen, auf fulturellem Gebiet die Berater des Klassenbewußten werftätigen Proletariats zu sein, von jeher in allen wirtschaftlichen und staats­politischen Kämpfen die Schildhalter der Monarchie, des Militaris. mus und des Kapitalismus", turz die Todfeinde der Volkssache waren! Die Behauptung, daß sich die Kirche in den Dienst einer Partei oder je nach der politischen Orientierung des Pfarrers in den Dienst von zwei oder drei bürgerlichen Parteien stelle, wird von den Vertretern derselben mit vielem Wortschwall und großer Entrüstung als unwahr zurückgewiefen. Die Tat fachen beweifen aber nur zu oft die Wahrheit dieses berechtigten Vorwurfs. So lesen wir z. B. im Reichsboten", dem Blatt der konservativen Geistlichkeit: Evangelische Kirche und Deutsch nationale gehören innig zusammen. Denn wer hat am meisten das nationale Deutschtum hochgehalten? Waren es nicht die

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evangelischen Universitäten mit den daraus hervorgegangenen Männern in Kirche, Schule, Beamtenstand und der Armee? Waren es nicht die Fürsten , die großen(!!) Hohenzollern voran??" Doch genug! Wenn Geistliche solche Ansichten weiter verzapfen, so muß die Kirche in ihrer Gesamtheit die Folgen tragen. Eine Mitarbeit bzw. eine wohlwollende Neutralität der Arbeiterschaft in firchlichen Fragen ist in solchen Fällen auch in der Zukunft völlig unmöglich, selbst dann nicht, wenn unsere Partei Einbuße an Mitgliedern erleiden müßte. Ehe sich die oberste firchliche Be hörde nicht entschließt, folche Ruinen einer alten Zeit zu schleifen, wird der Versuch unmöglich sein, den alten Bau mit neuem Geiste erfüllen zu können.

Im Hinblick auf die maßlose Hezze, die in der Kirche gegen die Sozialdemokratie getrieben wurde, ist es außerordentlich schwer, die oben gestellte zweite Frage zu beantworten. Unwillkürlich möchte man ja" sagen. Denkt man aber daran, daß man durch weitere Anteillosigkeit und weiteren Kampf die Kirche zu einem gefährlichen geistigen Stützpunkt der Reaktion, zu einem Sammel beden aller Feinde der demokratischen Staatsverfassung macht, daß wir die wertvolle Hilfe vieler Genoffinnen und Genossen ent behren müssen, daß wir an Zahl erheblich verlieren, so möchte man, nein" fagen!- Die Verhältnisse haben sich seit der Revo lution auch etwas geändert. Das landesherrliche Kirchenregiment ist verschwunden. Es gibt eine ganze Anzahl sozialistischer und demokratischer Geistlicher, die eine Umwandlung der alten fapt talistisch- monarchistisch gesinnten Staatsfirche in eine Volkskirche erstreben. Sollte ihr Erfolg nicht größer sein, wenn die Partel durch eine den Verhältnissen Rechnung tragende, geänderte Taftit ihre Bemühungen unterstützte? Eine weitere Abstinenzpolitik erscheint nicht vorteilhaft. Nachdem sich die Landeskirche, wider willig dem Druck der demokratischen Zeitforderungen nachgebend, zur Ausschreibung von Wahlen entschloß, bot sich die Gelegenheit, die Kirche in unserem Geiste zur wirklichen Volkskirche umzu bilden, wenn wir uns gefchloffen an den Wahlen beteiligt hätten! Wir hätten leicht eine Mehrheit bilden können. Trotz alledem sollte das alles nicht daran hindern, daß wir jetzt unfere Tatlik allmählich ändern. Wir müssen natürlich imftande sein, eigene Anschauungen und Meinungen über Gott, Kirche usw. hinter das Wohl des großen Ganzen, für die Partei, stellen zu können. Wenn die Sozialdemokratie das große Wert der Mensch heitsbefreiung vollbringen will, so wird sie aber auch nicht umbin können, für die einzutreten, die ihrem innersten Herzensbedürfnis nach firchlich- gläubig sind.

Auch daran wollen wir denken, daß unsere Partei auf dem Lande immer größere Ausdehnung gewinnt; daß Parteigenossen und-genosfinnen an der Staats- und Gemeindeverwaltung un mittelbar beteiligt sind. Eine fritische Nachprüfung unserer Stellung zur Kirche erscheint baldigst geboten.

Allen Frauen, die Interesse an dieser Frage haben, empfehle ich die Ausführungen der Genossen Radbruch und Meerfeld in den ,, Vorschlägen für die Erneuerung des Programms der Sozial demokratie" zu lesen. Vielleicht geben diefe Zeilen der einen oder anderen Genoffin auch Veranlassung, sich hier in der Gleichheit" ebenfalls zu dieser wichtigen Frage zu äußern.

Soziale Rundschau

Die Notstandsmaßnahmen für Rentner

Nach den Ausführungsbestimmungen über Notstandsmaßnahmen zur Unterstützung von Rentenempfängern der Invaliden und der Angestelltenversicherung ist den Gemeinden zur Pflicht gemacht, die Notstandsmaßnahmen beschleunigt durchzuführen und den Renten empfängern bei Geltendmachung ihrer Ansprüche behilflich zu fein. Die Anträge sind schriftlich oder mündlich bei der Gemeindever waltung zu stellen. Auch ist geftattet, den Antrag durch einen Ber treter stellen zu lassen. Hierbei ist aber zu empfehlen, dem Vers treter eine schriftliche Vollmacht mitzugeben. Zuständig ist die Ge meindeverwaltung des Wohnortes. Hat ein Rentenempfänger feinen Wohnort, oder ist derfelbe streitig, so gilt als Wohnort der Ort, der für die Bestimmung der Bahlstelle der Rente oder des Ruhegeldes maßgebend war. Auf Verlangen sind die Renten empfänger verpflichtet, durch Vorlage der Bescheide die Zahlstelle nachzuweisen.

Alle Feststellungen, insbesondere über Einfommens und Fa milienverhältnisse, erfolgen von Amts wegen. Die hierzu erforder lichen Verhandlungen und Urkunden( Bollmachten und amtliche Be scheinigungen) bei der Stellung von Anträgen, der Durchführung von Erhebungen und Auszahlungen auf Grund des Gesetzes, find gebühren und stempelfret.