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Die Gleich beit

Der Beruf der Hausangestellten litt unter den Schattenseiten des ungelernten Berufes. Auch hier gilt der Grundsaß, daß die wirt. lich tüchtige Hausangestellte das Recht hat, Forderungen zu stellen. Versuche in der Hinsicht werden gemacht durch Einführung fo genannter Lehrstellen. Aber die Lehrmeisterin, die Hausfrau, braucht fein Zeugnis für ihre Befähigung als Lehrmeisterin auf­zubringen. So kann die Einrichtung solcher Lehrstellen, die sich schwer fontrollieren lassen, zur Ausnüßung der Lernenden führen, ohne den gewünschten Zweck zu erreichen. Nicht energisch genug kann die gründliche hauswirtschaftliche Ausbildung jedes schul­entlassenen Mädchens in Fortbildungsschulen gefordert werden.

In Boston   ist der Versuch gemacht worden durch die dort be­stehende Haushaltungsgesellschaft" eine Vorbereitungsschule für Hausarbeiterinnen einzurichten. Mädchen werden dort als Köchin­nen, Büglerinnen, Näherinnen usw. ausgebildet. Hausfrauen können dort Hilfskräfte bestellen, auch solche für einzelne Stunden oder Tage. Das Institut gibt den Mädchen auf Wunsch Wohnung und Verpflegung. Diese Haushaltungsgesellschaft besteht seit eini­gen Jahren und hat gute Erfolge. Sie zeigt wohl am besten den Weg zur Neuregelung der Haushaltführung. Nur zehn Prozent aller Hausfrauen hatten vor dem Krieg Dienstboten. Jezt wird die Zahl der Hausfrauen, die sich Hausangestellte halten können, immer fleiner werden. Die Lebensführung muß einfacher werden und man muß Wege finden, die Hausarbeiten zu erleichtern. Würden die Gemeinden die Häuser­reinigung mittels Vakuum übernehmen, ferner die Zentralheizung, die Wäsche, würden Häuser mit Gemeinschaftsfüchen eingerichtet, se wäre vielen Hausfrauen Erleichterung geschaffen. Die Stellung der Hausangestellten würde eine andere werden.

Die alten Zustände der Feudalzeit, das patriarchalische Verhält nis der Vergangenheit läßt sich nicht wiederherstellen. Es gilt, sich der neuen Zeit anpassen. Je klarer das erkannt wird, um so leichter wird sich auch das Verhältnis zwischen Hausfrau und Hausangestellten regeln.

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Nr. 5

Hebammen eigentlich zum Staat stehen, denn freien Berufstätigen oder Gewerbetreibenden kann man eben gar keine Dienst. anweisung" geben. Die Hebammen sind also auch ohne An stellungsverhältnis Bedienstete des Staates, nur, daß es der Staat bisher abgelehnt hat, diesen Bediensteten eine angemessene Entlohnung für ihre Tätigkeit zu sichern. So ist die Hebamme 3. B. ihrem Vorgesezten, dem Kreisarzt, Gehorsam und Achtung" schuldig, sie hat den übrigen Aerzten mit gebüh render Achtung" zu begegnen und ihr sind viele Borschriften gegeben, was sie zu tun hat und was sie nicht tun darf. So ist es ihnen auch verboten, Mittel zur Berhütung der Schwangerschaft zu empfehlen oder gar selbst einzuführen! Eines aber erscheint noch wichtig genug, aus der Berborgenheit dieser Dienstanweisung hervorgehoben zu werden, und das ist der§ 17. Hier heißt es: " Fühlt sie( die Hebamme) sich in besonderen Fällen durch die Vorschriften der Religion oder durch ihr Gewissen verpflichtet, eine Nottaufe auszuführen, so muß sie sich hierbei vor jeder Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften der§§ 19, 20, 21, 22 und 32 diefer Dienstanweisung und des§ 192 Absatz 1 des Lehrbuches hüten." Gegen diesen Paragraphen sollten sich die Hebammen gemeinsam mit den Müttern zur Wehr feßen. Es muß geradezu als eine Ungeheuerlichkeit bezeichnet werden, daß nicht die Mutter, nicht die Erziehungsberechtigten des Neugeborenen, sondern die Hebamme nach eigenem Gutdünken darüber zu entscheiden hat, ob eine Nottaufe vorgenommen werden soll oder nicht. Nehmen wir den Fall an, daß eine der katholischen Kirche   angehörende Hebamme einer evangelischen, jüdischen oder aus der Kirche ausgetretenen Wöchnerin ihren Beistand leistet. Nach den hier erlassenen Vorschriften ist sie dazu berechtigt falls ihr Gewissen fie dazu drängt oder sie durch die Borschriften ihrer Religion sich dazu verpflichtet fühlt, die katholische Nottaufe auszuführen. Es ist dies nicht nur ein Eingriff in das Ber­fügungsrecht der Eltern, sondern der Vorgang tann auch zu den schwersten Komplitationen für die Wöchnerin, die nicht immer da mit einverstanden sein dürfte, führen.

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Bei der Beratung des neuen Hebaminengeseßes im preußischen

Dienstanweisung für die im preußischen Landtag wird sich für unſere weiblichen Abgeordneten Gelegenheit

Staatsgebiet tätigen Hebammen

Das preußische Ministerium für Bolkswohlfahrt hat unterm 15. September 1920 eine neue Dienstanweisung für die Hebammen herausgegeben. Diese Dienstanweisung enthält eine Anzahl Bor. schriften, die doch nicht so ganz ohne Interesse für uns sind. Sie gibt vor allem Aufklärung darüber, in welchem Verhältnis die

fühlen, daß wir mit aller Kraft daran sind, ihnen zu helfen. Glanz wird in ihren Tränen sein, als wären sie vom Son­nenlicht durchleuchtet. Unsere Liebe ist ihnen wie Balsam auf einer brennenden Wunde. Es wird ihnen so wundersam sein, daß ihre Seelen auffahren möchten zur Freiheit, ehe der Körper seiner Fesseln ledig ist.....

Alfred Fritzsche,

Helen Keller  

Vort Wilh. Lennemann

( Schluß)

Aber diese schleierhaften Jugendeindrücke können nur zu einem Bruchteil erklären. Was sie geworden, verdankt sie zum größten Teil ihrem bis aufs feinste ausgebildeten Gefühl, das wir in Tast­finn und Gemeingefühl spalten wollen, und ihrem Geruch. Was uns das Auge, ist Helen Keller   die Hand. Mit ihr sieht, d. h. fühlt sie alles. Sie vermag nicht nur die äußeren Merkmale sicher zu erkennen, sondern auch aus dem Gefühlten die Charakteristik herauszulesen. In dem Aufsatz über die hand heißt es: Meine Welt ist aufgebaut aus Tastempfindungen, die mit förperlicher Farbe und Klang nichts zu tun haben. Aber auch ohne Farbe und Glanz atmet meine Welt und pulsiert mein Leben. Jeder Gegenstand ist in meinem Geist mit Eigenschaften verknüpft, die durch den Taftsinn aufgenommen werden, und die, auf unzählige Arten untereinander verbunden, mir eine Art von Kraft und Schönheit oder ven Mißverhältnis geben: denn mit meinen Händen kann ich das komische ebensowohl wie das Schöne in der äußeren Erscheinung der Dinge fühlen." Ja, jie glaubt, daß sie durch Befühlen eines plastischen Kunstwerks einen tieferen und leben­digeren Eindrud yon ihm erhalte als wir durch das bloße Sehen. Mit ihrer Hand hört sie sogar die Stimmen der Ziere und weiß sie recht zu charakterisieren. Die Aeußerungen

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bieten, darauf zu dringen, daß diese Dienstanweisung einer ein gehenden Nachprüfung unterzogen und von den Bestimmungen befreit wird, die nicht dem Geist unserer Tage entsprechen. Marie Friedrich.

Man muß die Courage haben, das zu fein, wozu die Natur uns gemacht hat.

Goethe.

der Tiere," sagt sie, wenn schon wertlos, sind beredt für mich. Das Spinnen der Kaye, ihr Miauen, ihr ärgerliches, stoßweise feifendes Fauchen, das warnende oder fröhlich begrüßende Wauwau des Hundes, sein verzweifelndes Jaulen und sein zufrie denes Schnarchen, das Muhen der Kuh, das Gepläre eines Affen, das Schnauben des Pferdes, das Gebrüll des Löwen   und das furchtbare Heulen des Tigers. Mit meiner Hand habe ich alle die Laute gefühlt."

Ebenso fabelhaft ist ihr Gemeingefühl ausgebildet. Sie sagt von ihrem Körper, daß jeder Atom von ihm ein Biostop sei. Gie vermag mit ihrem Körper die verschiedenartigsten Schallwellen so genau zu hören, zu bestimmen, wie wir mit den Ohren, ja, es scheint fast, als ob die Schallempfindungen auf der Haut in ihrem Denkvermögen dieselben Vorgänge loslöften wie das Hören mit dem Dhre. Es ist unmöglich," sagt sie( Meine Welt), das Ges trappel eines Kindes mit dem Tritt einer erwachsenen Person zu verwechseln. Der Schritt des jungen Mannes, start und frei, unterscheidet sich von dem schweren und bedächtigen Tritt des Mannes in mittleren Jahren und von dem Gange eines alten Mannes, dessen Füße den Böden entlang schlürfen oder langsam und strauchelnd ihn berühren. Ueber einen bloßen Fußboden schreitet ein Mädchen mit einem schnellen elastischen Rhythmus, der von dem schweren Tritt einer älteren Frau ganz verschieden ist. Ich habe gelacht über das Knarren neuer Schuhe und das Getrampel einer neuen Köchin, die in der Küche einen Hopfer tanzte. Oftmals verraten Schritte Charakter und Stimmung des Gehenden. Ich fühle in ihnen Festigkeit und Unentschlossenheit und Bedachtsamkeit, Tätigkeit und Faulheit, Ermüdung, Sorg losigkeit, Furchtsamkeit, Aerger und Kummer. Besonders an Per sonen, mit denen ich vertraut bin, bemerke ich diese Stimmungen und Charakterzüge. Ein leises Flattern auf dem Teppich fagt mir, daß ein Windstoß meine Papiere heruntergeweht hat. Ein Klad" ist ein Signal, daß ein Bleistift auf den Boden gerollt