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Nr. 5

Die Gleichheit

Briefe über Kindererziehung

XX.

Liebe Frau Margarete!

( Schluß)

Biene und Ameise sind uns seit dem weisen Salomo   so oft als Muster des Fleißes und vorsorgender Sparsamkeit vorgehalten worden, daß ihre Tugendboldigkeit sie fast verhaẞßter gemacht hat, als ihr Stachel und Biß. Darum versuche ich nicht erst, die im ganzen Tierreich unerreicht dastehende Jugendpflege und fürsorge diefer Insekten als vorbildlich auch für das zweibeinige Gesellschafts­tier Mensch anzupreisen, ist doch ihre Wohnstätte fast nur noch eine riefenhafte Krippe und Kleinkinderbewahranstalt geworden und das Leben des ganzen Wolfs ganz ausschließlich auf Fortpflanzung ein­gestellt. Dabei scheinen sie trotzdem heute nicht erheblich flüger oder dümmer zu sein als ihre über und auf den Pyramiden einst herumwimmelnden Vorfahren. Ob man ihnen auch gepredigt Ob man ihnen auch gepredigt haben mag, sie müßten einzig für die Bienheit und Ameisheit arbeiten wie wir für die Menschheit?

Diese nachdenklichen Ueberlegungen sollen mich und Sie und die Reformpädagogen davor warnen, nun im Kinde und seiner richtigen Aufzucht den alleinigen 3ielpunkt alles gefell­schaftlichen Lebens zu sehen. Gewiß ist für die Gesellschaft Fort­pflanzung eine wichtige Aufgabe, aber doch nicht wichtiger als Erhaltung und künstlerisch schöne Ausgestaltung des Lebens der einzelnen, aus denen nun doch einmal die Gesellschaft besteht. Wollen Sie darum der nachfolgenden Darstellung der Zukunfts­schule immer stillschweigend hinzufügen: Dies alles soll geschaffen werden nicht nur für die Jugend, sondern auch dies und das für die Erwachsenen: Museen, Theater, Partanlagen, luftige schöne Stätten für Arbeit und Muße, Landhäuser und Reisemöglichkeiten für alle und was Sie sonst noch an sozialpolitischen Wünschen auf dem Herzen haben! Und nun schreibe ich getrost hin: Die Einheitsschule muß der Kulturmittelpunkt jeder größeren oder kleineren Lebensgemeinschaft werden! Sie erfaßt den werdenden Menschen schon vor seiner Geburt, indem sie sich Siedlungen für werdende und stillende Mütter mit sorgsamer Pflege und Arbeitsgelegenheit angliedert; sie braucht die Säuglinge und braucht die Mütter; indem jene die richtige Pflege erhalten, gehen diese und neben ihnen die künftigen Berufskinderpflegerinnen, Hortleiterinnen, Kinder­gärtnerinnen und alle, die es mit dem Mutterwerden Ernst nehmen in die Mutterschule. Die Zwei-, Drei-, Bierjährigen, furz die ganze vorschulpflichtige Jugend findet hier ihr Heim, ein gesundes, sonniges, von Liebe, aber auch von verständiger Er­

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ist. Wenn ein Buch fällt, gibt es einen flachen Klaps. Ein hölzernes Klopfen am Geländer sagt mir, daß das Essen fertig ist. Doch weiter: ich kenne das Gluckern von Flüssigkeit in einem Kruge. Wenn ich also meine Milch verschüttet habe, so kann ich mich nicht mit Unwissenheit entschuldigen. Bekannt sind mir auch das Knallen eines Pfropfens, das Prasseln einer Flamme, das Tidtad der Uhr, der metallische Schwung der Windmühle, das mühsame Heben und Senken der Pumpe, das Sprizen des vollen Wasserstrahles aus dem Schlauche, das nedische Rütteln des Windes an Tür und Fenstern, das Krachen des Donners und viele andere Schwingungen, die sich nicht berechnen lassen. Es gibt fühlbare Schwingungen, die nicht zum Tastbereich der Haut gehören. Sie durchdringen Haut, Nerven, Knochen wie Schmerz, Wärme und Kälte. Trommelschlag durchdringt mich von der Brust bis zu den Schulterblättern. Das Klirren des Eisenbahn­zuges, das Knirschen der Maschine packen mich an, und ich fühle es wie den Handschlag eines alten Seebären noch lange nachher." Sie hört auch die Musik. Sehr liebt sie die Orgel. Klavier­musik empfindet sie am besten, wenn sie die Hand auf den Deckel legt. Dann entdecke ich ein zartes Erdbeben, ich fühle melodische Wiederklänge und die Stille, die darauf folgt. Ich bin imstande, dem herrschenden Geiste und Sinn der Musik zu folgen. Ich unterscheide den fröhlichen Tanz, wie er über die Tasten hüpft, das langsame Klagelied der Träumerei usw." Auch diese Be­hauptungen sind von Psychologen start bezweifelt worden, u. a. von dem deutschen Universitätsprofessor Dr. W. Stern. Auf einer Reise in Amerika   hat er nun mit Helen Keller   Versuche angestellt. Er berichtet darüber in der Zeitschrift für angewandte Psycho­logie. Er schreibt dort, daß er auf Grund seiner direkten Beobachtungen anderer Meinung geworden sei und zugeben müsse, daß Helen Keller   ein richtiges Empfinden für Musik befizt, wie sie es von sich behaupte. Seine Versuche schildert er folgender­maßen: Ich setzte mich ans Klavier, Helen Keller   lehnte sich mit

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fahrung geleitetes Kindergartenparadies, und dabei- Geselligkeit und diejenige Ordnungserziehung, die sich aus der Vielheit, dem Zusammenstoß unzähliger Sonderwünsche und dem zwingenden Bedürfnis nach Einheitlichkeit der Leitung und einer jedem das Seine zuerteilenden Gerechtigkeit von selbst ergibt. Hier, und nur hier, werden die Grundlagen zu jeder sittlichen Bildung gelegt: die guten Gewöhnungen an Reinlichkeit, Pünktlichkeit, Gewandt heit, Gehorsam, Artigkeit, Billigkeit, Aufrichtigkeit usw. erworben, nicht durch Geschichten erzählenhören, sondern durch tägliches und stündliches Ueben an, mit und unter den Spielgefährten. Die " gute Kinderstube" darf nicht länger ein Vorrecht von Besitz und Bildung bleiben. In Spiel und leichtester Arbeit wird der un ermüdliche Betätigungsdrang des Kindes geweckt, geleitet und zur Etetigkeit gewöhnt, feinem Schöpferwillen der bildfame Stoff über­antwortet, seiner Wißbegier und seinem Mitgefühl Tier- und Pflanzenleben anvertraut. So wächst es unmerklich hinein in die eigentliche Schule. Kein schmerzlicher und beängstigender Uebergang vollzieht sich da von der Freiheit zum Zwang, vont Spielen zum Lernen, vom sorglosen Herumflanieren zum Ge­horchen und Stillsigen, sondern eins wächst aus dem anderen mit dem Wachstum der kleinen Geister und Glieder, die nun nicht mehr bloß Beschäftigung, sondern schaffende Arbeit verlangen. Auch die Schulklasse ist nicht mehr der Kerfer, wo Galeerensträflinge von harten Bänken zu dem hochthronenden Gewaltigen auf dem Katheder aufschauen, sondern eine Werkstatt, erfüllt von Leben, Tätigkeit des Kopfes und der Hände, Lust und Fröhlichkeit. Die neue Arbeitsschule ist nicht nur eine alte Lernschule mit aufgepfropftem Werkunterricht, sondern die Erziehungsstätte, wo die geistigen und förperlichen Kräfte durch stete llebung entfaltet und gestärkt werden sollen im Dienst der Gemeinschaft. Anleiten zum scharfen Beobachten, Handanlegen, Mitschaffen, Nachschaffen, Selbstschaffen das heißt arbeiten lehren. Praktische Kultur­funde wird getrieben; ist Ropf und Hand erst in der Technik der Heimat und Gegenwart heimisch, schweisen sie von selbst gern in die Weite und in geschichtliche Bertiefung. Die früher herrschen­den geistigen Fächer, Rechnen und Erdkunde, Geschichte nebst dem unentbehrlichen Lesen und Schreiben ordnen sich von selbst ein an den Ort, wo sie gebraucht werden und finden dann die innere An­teilnahme der Belehrungsuchenden. Kein ungesunder Ehrgeiz wird geweckt mit seinem unschönen Gefolge von Selbstfucht, Stre­berei, Rücksichtslosigkeit, Neid, Betrug, aber auch kein Zwangs­und Strafsystem foltert Faule und Gleichgültige; denn gegen seitige Hilfe von Kamerad zu Kamerad, vom Aelteren und Ge schickteren an den Anfänger zur Hervorbringung von Gemein

dem Körper an das Instrument, insbesondere ließ sie ihre cine Hand mit der ganzen Fläche darauf ruhen. Ich spielte zunächst eine einfache Melodie in Viervierteltakt, deren Rhythmus ich möglichst stark zu bezeichnen suchte. Helen Keller   begann alsbald mit der freien Hand dazu Takt zu schlagen, und zwar im wesent lichen forrekt. Als ich fertig war, meinte sie, es sei ein Soldatens marich gewesen. Sodann spielte ich den Donauwalzer von Strauß. Und hier zeigte sich eine merkwürdige Wirkung. Helen Keller  geriet in offensichtliche Erregung, der ganze Körper begann zu vibrieren und sich zu wiegen, auch das Mienenspiel verriet starten, luftvollen Affekt. Diese Ausdrucksbewegung war so elementarer Gewalt, daß eine nur eingeredete Freude gänzlich ausgeschlossen ist. Nach Schluß bezeichnete sie das Stück richtig als ländlichen Tanz. Ich spielte dann noch den Chopinschen Trauermarsch, bei dem sie wieder in eine ruhigere Verfassung geriet. Ihre Bezeich­nung Wiegenlied dafür ist gar nicht so unrichtig, wie es im ersten Augenblick scheinen möchte, denn jenes Musikstück ist seinem Stim­mungsgehalte nach sowohl tragisch als auch elegisch und weich."

Eine ähnliche Stellung wie das Gefühl nimmt der Geruch in ihrem Leben ein. Mit seiner Hilfe erkennt sie die Bekannten, die Handwerker, die ins Zimmer treten, weiß, wann die Lampe ange­zündet und ausgelöscht wird. Zuweilen, sagt sie, wenn es wind­still ist, sind die Gerüche so gelagert, daß sie den Charakter der Landschaft, eine Heuwiese, einen Dorfladen und einen Garten, eine Scheune, ein Fichtenwäldchen, ein Bauerngehöft mit offenen Fenstern, selbst ihrer Lage nach unterscheiden kann. Ich erkenne am Geruch die Art eines Hauses, das wir betreten. Ich habe ein altmodisches Landhaus erkannt, weil es verschiedene Schichten von Gerüchen hat, die von einer Reihenfolge von Familien, Pflanzen, Parfümerien und Draperien hinterlassen sind."

So vermag sie mit Hilfe des Gefühls und des Geruchs wohl Naturschönheiten zu empfinden und geordnet in sich aufzunehmen. Jetzt können wir auch verstehen, daß Helen Keller   sich glücklich