72 D i e Gleichheit Nr. 8 Das Neichsmietengesetz Im Reichstag ist nunmehr das Reichsmietengesetz verabschiedet worden, das säst ein ganzes Jahr lang Gegenstand der Beratungen gewesen ist. Es ist gegen die Stimmen der Rechtsparteien an- genommen worden. Von dem neuen Gesetz ist zu sagen, daß es zwar eine wesentliche Belastung der Mieter bringen wird, die aber der von den Hausbesitzern ersehnten freien Wirtschast auf dem Gebiete des Wohnungswesens natürlich mit aller Entschie- denheit vorzuziehen ist. Das Reichsmietengesetz geht von dem Gedanken aus, die Mieter vor ungerechtfertigt hohen Mietpreisen zu schützen, dafür aber die Mittel zur Instandhaltung der Gebäude durch ausreichende Miet- zinseinnahmen zu sichern und ein begrenztes Mitbestimmungsrecht der Mieter bei der Verwaltung des Hauses einzuführen. Das Gesetz bestimmt, daß auf schriftlichen Antrag eines der Bertrags- teils die Höhe des Mietzinses gesetzlich festgelegt werden muh. Kommt eine Einigung zwischen Vermieter und Mieter nicht zu- stände, so entscheidet das Mieteinigungsamt. Auf Anordnung der obersten Landesbehörde hat der Hausbesitzer Vereinbarungen über die Höhe des Mietzinses der Gemeindebehörde oder dem Miet- einigungsamt anzuzeigen. Die Berechnung der gesetzlichen Miete muß die Friedensmicte vom 1. Juli 1914 zugrunde gelegt werden. Der in der Friedens- ' miete für Betriebs- und Instandsetzungskosten enthaltene Betrag ist abzurechnen, und erst der verbleibende Teil bietet die Grund- miete Die abzurechnenden Beträge setzt die oberste Landes- behörde fest. Zu der Grundmiete treten Zuschläge für Steigerung der Zinsen, sowie für Betriebs- und laufende Instandsetzungskosten. Die Zu- schlage sind reine Zweckbeträge, über die der Hausbesitzer dem Mietervertreter die sachgemäße Verwendung der Gelder nachzu- weisen hat. Wenn ein Hausbesitzer die Ausführung notwendiger Ii'standsetzungsarbsiten unterläßt oder die Gelder nicht sachgemäß verwendet, kann ihm auf Antrag des Mieters oder von Amts wegen der entsprechende Teil des Mietzinses entzogen und eine fachgemäße Ausführung der Instandsetzungsarbeiten angeordnet werden. Das Gesetz unterscheidet laufende und große Instandsetzungs- «rbeüen. Als große Instandsetzungsarbeiten gelten: die Erneue- rung der Dachrinnen und Ablaufrohrs, das Umdecken des Daches, der Abputz oder Anstrich des Hauses im Aeußeren, der Neuanstrich des ganzen Treppenhauses im Innern, sowie ähnliche außer­ordentliche, einen größeren Kostenaufwand erfordernde Arbeiten. Für Schaffung von Mitteln für große Jnstandsetzungsarbeiten ist von den Mietern ein weiterer Zuschlag zu zahlen. Dieser Zu- schlag ist von dem Vermieter aus ein für sein Haus besonders einzurichtendes Hauskonto anzulegen. Eine Verfügung des Haus- bcsitzers über das Hauskonto bedarf der Zustimmung der Mieter. Gemeinde und Eemeindeoerbönde könne» mit Zustimmung der obersten Landesbehörde außerdem noch einen Ausgleichfonds ein- führen, aus dem für große Jnstandsetzungsarbeiten an Wirtschaft- lich Schwache Beihilfen nach billigem Ermessen gewährt werden. Die Mietbildung ist, wie aus der kurzen Darlegung ersichtlich, sehr kompliziert und wird sicher auch auf große Schwierigkeiten stoßen, trotzdem darf nicht verkannt werden, daß die Zuschläge nach Hundertsätzen für die Gemeinden festgesetzt werden von den obersten Landesbehörden, die im Einvernehmen mit den Miet- einigungsämtern und den in Frage kommenden Organisationen handeln sollen. Der Mieter hat demnach nur darüber zu wachen, daß der von ihm entrichtete Mietzins vom Hausbesitzer sachgemäß verwendet wird. Auch die gewerblichen Räume sind in dem Rahmen d�r Zwangs- Wirtschaft mit erfaßt, doch kann hierfür dem Hausbesitzer ein be- fonderer Zuschlag seitens des Mieteinigungsamtes bewilligt worden. Ebenso sind Untermieter, also die Mieter möblierter Zimmer in die Mietzinsreqelung des Gesetzes mit einbegriffen, was sehr notwendig war. Für Neubauten sollen die Bestimmungen des Gesetzes nicht gelten. Das Gesetz tritt'spätestens am 1. Juli 1922 in Kraft und verliert am 1 Juli 1926 seine Gültigkeit. Es ist nun vor allen Dingen dafür zu sorgen, daß die Mieterschaft sich mit dem Gesetz und feinen näheren Bestimmungen vertraut macht und in jedem Hause eine Mietervertretung sich um die Wahrung ihrer Interessen dem Hausbesitzer gegenüber kümmert. Cin ftlzllennopfen macht sich in dem härtesten Stein eine BShle, wenn er oft darauf fällt, und ein gutes Wort findet, wenn nicht heute, lo doch morgen einen guten Platz. Bippei. Die Frauen und die Staatskirche Mit den Leußerungen der Genossin Wachenhelm wollen wir nunmehr die Diskussion über das Thema »Frauen und Staatskirche" schließen. Es ist beim besten Willen nicht möglich, alle eingegangenen Er- widerungen zu veröffentlichen, da dieGleichheit� sehr an Raumknappheit leidet und der politische und gesetzgeberische Stoff nicht zu sehr zurückgestellt wer- den darf. Die zahlreichen Zuschriften haben jedoch bewiesen, welch starkes Interesse für kulturelle Fragen in den Kreisen unserer Genossinnen vorhanden ist. Und das ist unter den jetzigen so überaus schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen wohl als ein besonders erfreuliches Zeichen anzusehen. Den Genossinnen, deren eingesandte Arbeiten aus dem oben erwähnten Grunde nicht zum Abdruck gekommen find, sprechen wir hiermit unseren herzlichsten Dank aus. Die Redaktion. Es ist gewiß sehr unerfreulich, daß immer wieder von der Kanzel herab die Republik bekämpft und die Monarchie verherrlidzt wird. Aber nur unter diesem Gesichtspunkt läßt sich die Frage der Kirchen» Zugehörigkeit des Sozialisten nicht lösen. Wir sind auch früher nidst allein deshalb Propagandisten des Kirchenaustritts gewesen, weil von der Kanzel herab und bei allen anderen Gelegenheiten die Kirche und ihre Diener Klassenstaat und Klassengesellschaft stützten, sondern weil die ganze Lehre, der ganze Inhalt des da» maligen Christentums und des heutigen denn an der Lehre hat sich nichts geändert mit der Gegebenheit kapitalistischer Verhält- nisse sich durchaus abgefunden hatte. Und darauf kommt es an. Die Verbreitung und Erhaltung dieser Lehre unter der Bevölke- rung ist es, mit der wir uns in erster Linie zu beschäftigen haben. Daneben sind die monarchistisd)en Ausfälle der Pastoren von unter» geordneter Bedeutung. Man kann auch nicht einfach sagen, wer an Gott glaubt und nur für die, die es tun, sehen wir ja den Konflikt, gehört in die Kirche. Denn die christlickie Kirche ist ja nicht nur eine Ge- meinschaft der Gottgläubigen, derjenigen, die empfinden, daß über oder im All der Welt ein Einziges, ein Höchstes, ein Göttliches, ein Absolutes, ein Unbedingtes, ein Gott oder wie man sonst sagen will, ist: sie ist viel mehr oder eigentlich besser: viel weniger: näm» lich eine Gemeinschaft, die auf einer ganz bestimmten Lehre auf» gebaut ist, die sie in ihren Anhängern festige» und für die sie neue werben will. Diese Lehre ist es, die im Religionsunterricht den Schülern, im Konfirmandemmterricht den im Reifealter stehen- den Knaben und Mädchen, von der Kanzel den Massen vorgetragen wird, durch viele Kirchen- und bürgerliche Sitten immer wieder in ihr Bewußtsein gepflanzt wird. Und die Frage für uns ist, ob diese Lehre mit unseren Bestrebungen, den Willen zum Sozialismus in alle zu pflanzen und ihn im einzelnen stark zu machen, so stark, daß er Taten auslöst, sich verträgt. Denn das ist doch für uns die absolute Pflicht, die das Leben uns auf» erlegt, Diener der Menschheit auf ihrem Weg zur Freiheit im höchsten geistigen Sinne, auf ihrem Weg zu höd)ster Sittlichkeit und Schon- H e i t zu sein. Und nicht nur das ferne Bild zu weisen, ist unsere sozialistische Ausgabe, sondern den Schutt, der den Weg ver- deckt, wegzuräumen. Der vornovemberliche Sozialismus mußte sich gegen die Kirche wenden, weil er eine ungeheure Revolutionierung der Geister brauchte, eine Befreiung von aller Dogmengebundenheit, ein neues Betrachten der Welt, ihres Zustandes und der menschlichen Auf- gäbe. Ist das heute anders geworden? Radbruch hat auf dem 1. sozialistischen Kulturtog in Dresden gesagt:Was kann sozialisti- scher Weltanschauung ferner liegen als Versteinerung in einem Dogma und Verpfaffung in einer Organisation!" Und er hat recht. Nur das innere Erlebnis hat Schöpferkraft. Wir wollen, daß der Mensch alles wisse, in alles forschend eindringe und dann sein«, Glauben über den Sinn des Lebens forme. Damit aber werden wir immer im Gegensatz zu dogmengebundenen Gemeinschaften, zu Gemeinschaften, die feste Glaubenssätze aufstellen, stehen. Nun sagen viele, Christentum und Sozialismus haben so viel Gemeinsames, und verweisen als Beweis dafür zum Beispiel auf die Lehre der Nächstenliebe des Christentums. Es ist wieder Rad- bruch, der uns gelehrt hat, wie verschieden diese Nächstenliebe von der Kameradschaftlichkeit des Sozialismus ist. Das Urchristentum, sagen sie, ist viel näher dem Sozialismus als das heutige, kehren wir zu ihm zurück! Sie haben gewiß recht, wenn sie auf einig» Züge des Christentums der ersten Christen aus Israel , des von