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Die Gleich beit

hat, daß die Wiedereingliederung des russischen Riesenreiches in die Weltwirtschaft unerläßlich für den Wiederaufbau Europas   ist. Aber auch die Bolschewisten, so sehr sie auch in ihrer Presse die Wahrheit verschlefern, haben durch ihre Teilnahme an der Konferenz und ihre Verhandlungsmetho­den offen eingestanden, daß ohne weitreichende Konzessionen an den internationalen Rapitalismus der Zusammenbruch der Sowjetrepublik unvermeidlich ist. Zu einer Verständi­gung mit der Sowjetregierung ist es noch nicht gekommen und wird es erst fommen in Sonderverhandlungen von Staat zu Staat, weil wiederum Frankreich   mit seinen un­erfüllbaren Bedingungen einer allgemeinen Verständi­gung im Wege steht. Die resultatlosen Verhandlungen mit der russischen Delegation werden auch das Ende der Genuaer Konferenz besiegeln.

Einen bitteren Borgeschmack, wie die Entente sich die Wiedergutmachung Deutschlands   vorstellt, hat uns die in der ,, Gleichheit" schon erwähnte Note der Reparationsfommission vom 13. April gegeben. Neue Steuern im Betrage von 60 Milliarden Mark, die der Reichstag   zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit Deutschlands   bis zum 31. Mai beschließen sollte, sind nach allem, was die deutsche Boltsvertretung bisher unter dem Druck des Versailler Friedensdiftats an Lasten dem deutschen   Bolte auferlegen mußte, die ungeheuerlichste Forderung, die jemals einem im Kriege unterlegenen Bolt gestellt worden ist. Was billiger­weise der Entente zugestanden werden konnte und auch in der deutschen   Antwort auf die Note der Reparations­tommission gesagt wird, ist die Zusicherung, nach einem der Reparationsfommission vorzulegenden Plan, der in münd­lichen Besprechungen noch ausführlich begründet werden soll, die Ordnung im Reichshaushalt wieder herzu­stellen. Eine Stabilisierung der deutschen   Finanzen und unserer Geldwährung fann aber nur durch die Gewährung einer größeren, auf längere Frist gewährten ausländi­schen Anleihe wirksam beeinflußt werden. Will die Reparationskommission dem Weltfrieden und dem Wieder­aufbau Europas   dienen, so kann sie sich den deutschen   Ein­wänden und Vorschlägen nicht verschließen; in friedlichen Berhandlungen wird sie einen Weg suchen müssen, der aus der heutigen Wirrnis herausführt zu flaren, geordneten Wirtschaftsverhältnissen.

Dem Weltfrieden hätten die in Genua   versammelten Ver­treter der Mächtestaaten dienen fönnen, wenn überall Schon der ehrliche Verständigungswille vorhanden wäre und man sich flar sein würde, daß der Weltfriede nur auf der Grundlage der Gleichberechtigung aller Völker und Sicherung ihrer Lebensmöglich. teit gegeben ist. Lloyd Georges Bemühungen, einen all­gemeinen Burgfriedens paft abzuschließen, sind bis zur Stunde, da diese Zeilen geschrieben werden, ohne Erfolg geblieben. Wir können nur hoffen, daß es doch noch dazu tommt und so eine Friedensatmosphäre geschaffen wird, die uns dem Weltfrieden näher bringt. Ohne allgemeine Abrüstung aber wird der Weltfriede immer eine Utopie bleiben.

Die werftätige Bevölkerung aller Staaten ist sich schon längst wieder nähergekommen. Denn sie leidet am schwersten unter den furchtbaren Folgen des Weltkrieges. Der inter­nationale völferversöhnende Gedanke und Verständigungs­wille hat auf allen internationalen Arbeiterkongressen eine bedeutende Stärkung erfahren. Und er wird sich durchsetzen gegenüber allen Haß- und Gewaltpredigern hüben wie drüben. Die gemeinsame Not des werftätigen Volkes zwingt zur praktischen Selbsthilfe.

Lange hat ein schwerer Winter die Natur in starre Fesseln gelegt und in allen leidenden Menschen das heiße Sehnen nach warmen Sonnentagen geweckt. Die Natur ist erwacht, es grünt und blüht. Pfingsten, das Fest des Geistes,

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der Freude und des neuen Lebens, feiern wir. Aufwärts muß unser Weg führen, zu lichten Höhen, zu denen wir uns hinaufarbeiten und hinauffämpfen müssen. Der Sozialismus, das hat die Genuaer Konferenz mit zwingender Klarheit gezeigt, wird erst aus dem Zwiespalt der kapitalistischen  Wirtschaft herausführen. Aber wir alle, die darunter leiden, müssen Wegbereiter des Sozialismus sein.

Hanna Reiße.

Ottilie Baader   75 Jahre!

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Unsere Genoffin Ottilie Baader   beging in diesen Tagen - am 30. Mai ihren 75. Geburtstag. Bewundernswerte geistige Frische, eine seltene Jugendlichkeit erfüllt noch heute die verdiente alte Führerin. Ein volles Menschenleben lang steht sie im Dienste des Sozialismus und der sozialdemo fratischen Frauenbewegung. Sie ist ein echtes Proletarier­find, das Arbeit und Sorge um das Wohl der Angehörigen schon in frühen Jahren kennengelernt hat. Als ganz junges, nicht einmal der Schule völlig entwachsenes Mädchen kam Ottilie in das Erwerbsleben hinein. Bald öffnete sich ihr der Blick für die Aufgaben, die ihrer harrien: Arbeit zum Wohle der unterdrückten, in quälender Fron feufzenden Schwestern und Brüder. Sie schloß sich der sozialdemokratischen Bewe­gung an, und ihr hat sie in all den Jahrzehnten ihre ganze Kraft gewidmet.

Seit dem Jahre 1897 hatte Ottilie Baader   das Amt der Vertrauensperson für die sozialdemokratischen Frauen Deutschlands   inne. Unermüdlich war sie in der Agitation und Organisation sowie im Rampfe zur Erringung neuer Rechte für die Frauen tätig. Zahlreiche internationale Ta­gungen hat sie im Auftrage der deutschen   Parteigenossinnen besucht. Als 1908 durch den Fall des preußischen Vereins­gesetzes sich endlich auch die Frauen zur politischen Tätigkeit bekennen durften und andere Organisationsformen nötig wurden, trat sie mit der Bescheidenheit, die immer ein be­sonderer Zug ihres Wesens gewesen ist, von ihrem Ehren­posten zurück und auf ihren Vorschlag wurde dann Luise 3iek als erstes weibliches Mitglied in den Parteivorstand ge­wählt.

Ihre Arbeitsfreudigkeit ist aber seitdem nicht etwa geringer geworden. Nach wie vor wirkt sie unentwegt im Kreise der Berliner   Genossinnen und ist der eifrigsten eine, wenn es gilt, irgendeine schwierige Frage zu behandeln. Noch heute, im hohen Alter von 75 Jahren, ist ihr kein Weg zu weit oder zu beschwerlich, um an einer Versammlung oder Besprechung teilzunehmen. Es ist noch immer dieselbe tatenfrohe Be­geisterung, derselbe Kampfesmut in ihr, wie in den Jahren der Jugend.

Wir grüßen Ottilie Baader   und wünschen ihr beste Gesund­heit und noch lange Jahre gemeinsamen Arbeitens!

Aus den feuergoldnen Himmeln.. Aus den feuergoldnen Himmeln Geht ein Sonnenlichtítrom nieder, Und ein Feuermantel wallt Um der Fellen nackte Glieder. Ringsum dampfen Opferfchalen, Süßer Rauch quillt in die Lüfte, Aus den Steinen, Baum und Strauch Steigen auf die Sommerdüfte.

Schauer rinnt durch meine Glieder, Sonne bricht in meine Seele, Ringe dich empor, mein Herz, Aus dem Dunft und aus der Schwele. Tragt, beflügelte Gedanken, Mich zu jenen Wolkenzelten, Zu dir, Siegesfürftin Sonne, Große Herrin aller Welten.

Friedrich Ebert  

Suftur

Bono

Julius Bart

Bibli