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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Himmelszeichen sind, das einst der liebe Gott als den Bogen des Friedens über die ertränkten Geschlechter ausspannte; und gerade weil das alles so war, so hatte das Haus seine Geschichte wie das stolzeste Königsschloß, so gut wie das Heidelberger Schloß  , die Al­ hambra   und was es sonst für Ruinen in der Welt gibt.

Aber niemand hatte diese Geschichte aufgezeichnet, und so müssen wir uns an der melancholischen Moral genügen lassen, welche aus allen Ruinen aufwächst, einerlei ob sie einen Historienschreiber fanden oder nicht.

In dunklen windvollen Herbst- und Winternächten tastete etwas wie mit unsicheren Händen an den Wänden hin, klopfte an die Fenster und ächzte und stöhnte in den Winkeln oder gab sich mit einem dumpfen Falle und schnellem Laufen und Trappeln auf dem Dachboden fund. Dann kam es wohl auch häufig mit dem Nuß im Schornstein wie ein Schnarchen und Schnauben herunter, wie ein Fluch auf die harte, böse Welt, die solche Zufluchtsorte für ihre Armen, Kranten und Beladenen bauen fann; dann ja dann war es Nacht und Winter und nicht heller Tag und Sommer wie damals, als das alte Weib, in iener Zeit die einzige Bewohnerin des Siechenhauses, am offenen Fenster in der Sonne saß und auf der Landstraße jenen Karren, der eine so große Ahnlichkeit mit dem Schüdderump hatte, vorbeikommen sah.

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Das wäre die rechte Historiographin für die Hütte gewesen, diese alte Frau, welche an jenem Tage das Reich allein hatte im Siechenhaus zu Krodebeck, und welche schon so manche Generation in dem armseligen, häßlichen Asyl hatte kommen und schwinden sehen! Es ist die Eigenart solcher Häuser, daß sie manchmal voll bis zum Überlaufen und manchmal leer sind wie das Gehirn eines Narren oder wie das Herz eines Klugen. Es hat Zeiten gegeben, wo der Raum für die Bewohner des Hauses durch Kreidestriche auf dem Fußboden nach Zollen abgemessen war, wo das Alter in jedem Winkel hockte und mummelte, wo die Krankheit bis unter das Strohdach sich wand und wimmerte und wild hinausschrie, wo unter den Lagerstätten der mit dem Nervenfieber Behafteten die Kinder trochen, freischten und zappelten; bis der Tod und der Ge­meinderat aufräumten. Der letztere pflegte nämlich in den Nerven­fieberzeiten Erd- und Strohhüten auf dem Anger vor dem Dorfe zu errichten.

Der Säuferwahnsinn, der Blödsinn und die gemeine verkommene Brutalität des aus dem Zuchthaus entlassenen Verbrechers waren in dem Siechenhaus zusammengehäuft worden, und das alte Weib hatte damit hausen müssen und hätte darüber reden und schreiben tönnen. Sie tat aber selbst das erstere nicht gern; denn sie hatte fich leider diesen Dingen und Zuständen gegenüber nicht die ge­hörige Objektivität bewahrt, sondern ganz jämmerlich und subjektiv darunter gelitten und schauderte sprachlos, wenn sie daran dachte. Es war lächerlich; allein dessenungeachtet doch wahr: die alberne alte Person hatte unter dem Geschrei und Gestöhn, den Zoten und Flüchen an ihren Nerven gelitten wie die vornehmste Dame, die nicht zwanzig lange Jahre hindurch dergleichen ertragen und an­hören mußte. Man konnte nicht verlangen, daß, als endlich der Alte da oben ein Einsehen tat, gesunde und nahrhafte Jahre schickte und die Bevölkerung des Siechenhauses zu Krodebeck auf die eine oder die andere Art lichtete, daß, sage ich, die Alte hier unten sich hinsetze, ihr Elend beschreibe und den Schüdderump als das einzig echte und wahrhaft philosophische Vehikel für alle Dinge und Vors tommnisse auf Erden hinstelle!

Sie versuchte höchstens, die Stille und Einsamkeit zu guter Letzt noch einmal zu einem turzen Nachdenken über ihr eigenes Leben und ihren eigenen Tod zu benußen; allein auch das ging schlecht genug, und das war kein Wunder in Anbetracht der übermäßigen Betäubung.

Die Landstraße lag in der vollen Glut der Julisonne da, und man übersah sie von dem Fenster des Armenhauses aus eine ziem liche Strecke, bis sie in einem Buchengehölz und Tannenwald vers schwand. Aus diesem Gehölz und Walde hervor froch in einer Staubwolke der Karren, von dem wir eben redeten, und der uni­formierte und mit einem großen Säbel bewaffnete Reiter, der ihn geleitete, ließ sein Pferd neben ihm im Schritt gehen. Es war ein grau angestrichener Karren mit einem grauen Leinwanddach, und er wurde von einem mageren Gaule gezogen, dessen Lenter in einem blauen Leinwandfittel verdrießlich nebenberschritt. Er troch lang­sam heran, aber die alte Frau im Siechenhaus hatte Zeit, ihn zu erwarten, und tat es in stumpfsinnigem Hinbrüten, indem fie die Hand über die blöden Augen hielt und mit schläfrigem Nicken ihm entgegensah, bis er dicht vor ihrem Fenster angelangt war und der Landreiter ironisch grüßend die Hand an die Pickelhaube legte.

Da blieb der zahnioje Mund offenstehen vor Schrecken, die alten hageren, braunen Hände fingen mehr als gewöhnlich an zu zittern,

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und die Herrin des Siechenhauses zu Krodebeck hinkte mit leisem Achzen vom Fenster weg, vertroch sich wieder einmal im dunkelsten Winkel und seufzte:

Oliebster Herrgott im Simmel, hol' mich doch endlich ab aus der Welt, wenn du mir abs'lut feine Ruhe lassen willst!"

Der Karren fuhr dem Dorfe zu; die Grillen zirpten ruhig weiter in den Gräben, die Schwalben fuhren über den Weg, die Spazen zankten sich in den Apfelbäumen; die Uhr auf dem Kirchturm schlug fünf, und es kam nicht das geringste darauf an, ob die Alte im Siechenhaus Ruhe haben sollte oder nicht.

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hört ihr es nicht!

Don Julius hart.

Hört ihr es nicht? In meinem Ohre bang Ewig tönt herber, dumpler Trommelklang.

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Jn heller Lenznacht, in der Nachtigall Verträumtes Lied rauscht schwerer Waffenschall. Der Sommer glüht in dunkler Rosen Duft Wie Rossesstampfen dröhnt es durch die Luft. Und wenn der Wein im grünen Glase quillt Hörst du das Schlachthorn nicht, das blutig schrillt? Winternacht, der Sturwind heulend fährt, Sein Odem leer die starrenden Wege kehrt. Vergebens glüht am Feuerherd der Rost, Stärker als Feuer brennt der kalte frost.

An Haus und Wand und an des Wegs Geleis  fliegt Schnee und knarrt das demantharte Eis.

Winternacht! durch Eis und fliegenden Schnee Lauter als Sturmgeist schreit ein wildes Weh. Geschrei und Schlachtruf durch die Nacht hinschault, Gleichwie am Strand die Sturmflut dumpf hinhallt. Jn dunklen Scharen drängt es finster an, Mit Beil und Hammer wogt es schwarz heran. Zerlumpte Haufen, wie im Sturm verirrt, Das Eisen dröhnt, das blanke Messer klirrt. Das Angesicht, blaß wie ein Wintertag, Sagt, wie das Elend gar so fressen mag. Das Auge tief, die Wange hohl und schmal, Auf Stirn und Wang' der Krankheit brandig Mal. Gelöst das Haar auf schmutzigem Nacken hängt, Den harten, schweren Fuß kein Schuh umzwängt. Das Banner glüht wie Herzblut dunkelrot, Die Fahne droht schwarz wie der Würger Tod. Es drängt heran, es wogt die dunkle Flut, Den Himmel überschwemmt's wie trübes Blut... Seht ihr es nicht, das Zeichen, das sich hebt? Ein eherner Kelch vor euren Augen schwebt! Ein eherner Kelch, mit Tränen angefüllt, Jn Dornen und in Stacheln eingehuut... O, aus der Tiefe stöhnt ein banges Schrein; Die Herzen auf und laßt die Liebe ein! Die Herzen auf, die ihr am Throne sitzt, Von Gold und heißem Demantglanz umblitzt. Reißt ab das rote Gold vom Samtgewand, Den Demantschmuck, das ichimmernde Perlenband! Zu euren Füßen liegt gestreckt die Not, Aus hohlen Augen starrt euch an der Tod.

Es loht ein Feuer in der Erde   Grab Und reißt auch euch in leinen Schlund hinab... Hört ihr es nicht? In meinem Ohre bang Ewig tönt herber, dumpfer Trommelklang...

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von Paul Ginger in Stuttgart  .