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Für unsere Mütter und Hausfrauen
so langer Zeit in Europa . Einen natürlichen Tod kann sich der Eingeborene nicht vorstellen. Ein Mann, der stirbt, ist notwendiger weise von einem anderen Menschen getötet worden, und früher oder später muß dieser dafür büßen. So bedeutet unter gewöhnlichen Umständen jeder Todesfall die Tötung einer anderen Person. Natürlich wirkt dies start darauf ein, die Zahl der Mitglieder des Stammes niederzuhalten.
Vereint mit folch grausamen Gewohnheiten finden wir andere, die gefälligere Seiten des Charakters des Wilden enthüllen. Freigebigkeit ist eine feiner hervorstechendsten Eigenschaften. Der Eingeborene ist gewohnt, stets feinen Kameraden einen Teil seiner Nahrung zu geben oder deffen, was er sonst besitzen mag. Man könnte einwerfen, er befolge damit nur eine alte Sitte, deren Nichtbeachtung ihn harter Behandlung und schlechtem Rufe aussetzen würde, und er hoffe dabei, später seinerseits etwas dafür zu erhalten. Doch jedenfalls zeigt schon das Bestehen einer solchen Sitte: der Wilde ist sich bewußt, eine Handlung, die anderen nüßt, ist wert, ausgeführt zu werden. Gar häufig wird ihm der Vor wurf gemacht, er sei des Gefühls der Dankbarkeit unfähig. Und es ist zweifellos richtig, der Wilde hat nicht die Gewohnheit, übermäßige Dankbarkeit zu äußern, wenn er von einem Weißen ein Geschenk erhält. Aber ebensowenig hält er es für notwendig, Dankbarkeit auszudrücken bei einem Geschenk, das ihm ein Stammesgenoffe macht. Für ihn ist es feste Gewohnheit, einen Teil dessen, was er hat, wegzugeben, und ebensowenig wie er dafür eine Außerung der Dankbarkeit erwartet, erachtet er dergleichen für nötig, falls er ein Geschenk von einem Gefährten erhält. Geben und Empfangen bilden natürliche Vorgänge feines täglichen Lebens. Erhält der Wilde nun von einem Weißen etwas geschenkt, so tommt es ihm gar nicht in den Sinn, daß eine Äußerung der Dankbarkeit notwendig wäre. Andererseits gibt aber der Eingeborene ohne weiteres für den reinsten Tand und zwar für Dinge, die nicht nur uns, sondern auch ihm als Tand erscheinen Gegenstände her, die er mit viel Mühe herstellte, auf die aber, wie er bemerkt, der Weiße ein Auge geworfen hat. Daß der Wilde in Wirklichkeit des Gefühls der Dankbarkeit unfähig wäre, ist, soweit unsere persönliche Erfahrung reicht, durchaus unwahr. Und zieht man alle Umstände in Rechnung, so hat der Eingeborene vielleicht auch nicht einen einzigen Grund zur Dankbarkeit gegen den Weißen oder besser gegen die weiße Rasse, denn man muß bedenken, daß seine Gefühle stets mehr mit der Gruppe verknüpft sind, der ein Mensch angehört, als mit dem einzelnen selbst. Mit den Weißen in Berührung kommen, bedeutet für den Eingeborenen meist nichts anderes, als daß die Möglichkeit, Nahrung zu finden, eingeschränkt wird. Häufig wird er dann von den Wasserstellen vertrieben, die die Mittelpunkte seiner besten Jagdgründe waren, und zu denen 1er sich zum Vollzug heiliger Handlungen zurückzuziehen pflegte. Der Weiße tötet und jagt seine Känguruhs und Emus, dem Wilden ist es verwehrt, seinerseits das Vieh des Weißen zu jagen und zu töten. Läßt er sich gelegentlich einmal zu einer Jagd darauf hinreißen, so hat das gewöhnlich äußerst verderbliche Folgen für ihn. Und im ganzen erliegt der Eingeborene mit großer Ergeben heit seinem Schicksal, da er nur zu gut die Unmöglichkeit empfindet, das zu verteidigen, was er als sein Eigentum ansieht.
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Die Frauen haben, wie auch bei anderen wilden Völkern, einen beträchtlichen Teil der Arbeit für den Lebensunterhalt zu leisten, aber durchaus nicht die gesamte Arbeit. Diese Arbeit ist in guten Jahreszeiten nicht allzu groß, und in schlechten Jahreszeiten leiden Männer und Frauen gleichermaßen, und von dem, was an Nahrung vorhanden ist, erhalten die Frauen ihren Teil. Sicherlich werden sie nicht übermäßig hart behandelt. Glaubt allerdings ein Mann mit Recht oder Unrecht sein Weib schuldig des Bruchs der Gesetze, die die ehelichen Beziehungen regeln, so wird er roh und oft empörend streng gegen die Verdächtige verfahren. Gegen ihre Kinder sind die Eingeborenen, wir können sagen insgesamt, mit ganz wenigen Ausnahmen, lieb und verständig. Männer sowohl wie Frauen tragen die Kinder, wenn diese auf der Wanderschaft ermüden, und stets wird darauf gesehen, daß die Kinder einen guten Teil von jeder Nahrung erhalten. Natürlich ist der Wilde plöglichen Anfällen von Leidenschaft ausgesetzt, und so mag er ein mal im Jähzorn, da er kaum weiß, was er tut, ein Kind auch mit großer Strenge behandeln. Die Sitte, alte oder kraftlose Menschen zu beseitigen, besteht bei diesen Stämmen nicht; im Gegenteil, mit solchen Personen wird besonders freundlich umgegangen, und sie erhalten ihr Teil von der Nahrung, die sie sich selbst nicht mehr verschaffen können.
Kindestötung findet unzweifelhaft statt. Doch werden die Kinder mit ganz seltenen Ausnahmen nur unmittelbar nach der Geburt umgebracht, und nur dars, wenn die Mutter außerstande ist oder
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glaubt außerstande zu sein, das Kind zu nähren, da sie bereits ein anderes Kind fäugt und vielleicht noch einige Jahre lang säugen wird, wie es bei den Wilden Gewohnheit ist. Diese glauben, der Geist des getöteten Kindes gehe an seinen Ursprungsort zurück und fönne zu späterer Zeit wieder geboren werden. Sehr selten werden mehrere Jahre alte Kinder getötet. Der Zweck ist, mit dem getöteten Kinde ein älteres, aber schwächeres Kind zu nähren, von dem man glaubt, daß es dadurch die Stärke des getöteten annehme. Zwillinge werden ohne weiteres getötet als etwas Unnatürliches. Doch wird die Mutter der Zwillinge feineswegs schlecht behandelt wie bei manchen anderen Völkern. Was diesem Widerwillen gegen Zwillinge zugrunde liegt, ist nicht ganz flar. Bielleicht sind die Wilden darüber aufgebracht, daß zwei Geister in den Körper der Mutter eindrangen, obgleich sie wissen mußten, daß diese nicht imstande wäre, beide aufzuziehen. Ferner sind Zwillinge bei den Eingeborenen äußerst selten, und der Wilde hat stets Furcht vor Erscheinungen, die aus der Reihe des Gewohnten fallen. Tritt einmal, was auch nicht häufig ist, infolge eines Unglücksfalls eine Fehlgeburt ein, so kann nichts die Eingeborenen davon überzeugen, daß dabei ein unentwickeltes menschliches Wesen geboren wurde. Sie sind überzeugt, daß das Junge eines Tieres, zum Beispiel eines Känguruhs, zur Welt kam, das durch irgend ein Versehen in den Körper der Frau gelangte. Das Kind sehen die Eingeborenen überhaupt nicht als die Folge des Geschlechtsverkehrs an. Nach ihrer Meinung bereitet dieser die Mutter nur vor zum Empfang und der Geburt des schon existierenden und ausgebildeten Kindesgeistes. Unfruchtbarkeit ist heutzutage sehr häufig unter den Frauen der Eingeborenen. Namentlich haben die dünnen, schwächer gebauten Frauen sehr selten Kinder. Möglicherweise wird die Unfruchtbarkeit in manchen Fällen verursacht durch Verletzungen der jungen Mädchen bei gewissen Einweihungszere monien aus Anlaß der erlangten Geschlechtsreife.
Sind die Zeiten günstig, so ist der Eingeborene so fröhlich wie nur möglich. Er denkt nicht daran und sorgt sich nicht darüber, was der kommende Tag bringen mag, er lebt ganz in der Gegenwart. Nachts sammeln sich Männer, Weiber und Kinder um die gemeinschaftlichen Lagerfeuer und schwatzen und singen ihre eintönigen Lieder Stunde um Stunde. Dann schleicht einer nach dem anderen aus dem Kreise und sucht seine Ruhestätte auf. Volltommene Stille tritt ein, nur manchmal unterbrochen durch das Geschrei eines Kindes, das ins Feuer rollte, und das nun wieder in Schlaf getröstet oder gescholten wird. Indessen herrscht im Gemüt des Wilden auch eine Unterströmung von Angstgefühlen. Diese mag zuzeiten stille stehen, nicht empfunden und vergessen werden, ist aber doch stets vorhanden. Der Wilde glaubt gar häufig, irgend ein Feind suche ihm durch Zaubermittel zu schaden. Auch muß er stets darauf gefaßt sein, durch den Medizinmann einer fremden Gruppe bezichtigt zu werden, daß er den Tod einer Person durch Zauberei herbeigeführt habe. Aber man darf diese Umstände nicht überschätzen, um fie richtig zu bewerten, muß man sich in die Geistesverfassung des Wilden versetzen und darf ihm nicht unsere Gefühle unterlegen. Die Behauptung ist durchaus nicht richtig, der Australier lebe in beständiger Furcht vor dem bösen Zauber eines Feindes. Das Gefühl dieser Furcht liegt für gewöhnlich schlafend unter der Schwelle des Bewußtseins. Es kann allerdings jederzeit geweckt werden, so durch irgend einen fremden ungewohnten Ton, wenn der Wilde allein im Busche ist, namentlich zur Nachtzeit. Andererseits kann der Wilde, genau wie ein Kind, mit Leichtigkeit alles Unangenehme vergessen und sich ganz der Freude des Augenblicks hingeben. So kann man das Leben der Eingeborenen im Innern Australiens als angenehm bezeichnen, stets vorausgesetzt, daß der Nahrungsvorrat gesichert ist.
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I.
Johann Peter Hebel wurde in die badische Kleinwelt des acht zehnten Jahrhunderts, über die der Markgraf Karl Friedrich als aufgeklärter und wohlwollender Alleinherrscher gebot, hineingeboren. Hebels Vater, Jakob Hebel, aus dem Hunsrück gebürtig, ein gelernter Weber, wie es heißt ein Mann mit lebhaftem Bildungstrieb, insbesondere theologischen und poetischen Neigungen, hatte den schweizerischen Major Iselin auf allerlei Kriegsfahrten durch halb Europa als Diener begleitet. Im Hause des Majors zu Basel lernte er dann die Dienstmagd Ursula Örtlerin kennen. Er heiratete sie und setzte sich mit ihr im Schwarzwalddorf Hausen im oberen Wiesental fest. Das Paar bewirtschaftete im Sommer ein bescheidenes Hintersassengütchen. Im Winter lebten die beiden zu Basel