Für unsere Mütter und Hausfrauen

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oooo oooo Beilage zur Beilage zur Gleichheit oooooooo

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Inhaltsverzeichnis: Erntemond. Bon C. F. Meyer.- Johann Peter Wie ernährt man einen Hebel. IV. Von Dr. Wilhelm Hausenstein . Säugling? Von Dr. med. B. Steininger. Für die Hausfrau.- Hygiene. Feuilleton: Ulenspiegel wird Turmbläser. Von Charles de Coster . Die Arbeiter an ihre Brüder. Von Georg Herwegh .

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Erntemond.

Von C. f. meter.

An wolkenreinem Himmel geht Die blanke Sichel schön,

Jm Korne drunten mogt und weht Und rauscht und wühlt der Föhn.

Sie wandert voller Melodie Hochüber durch das Land.

Frühmorgens schwingt die Schnittrin ste Mit sonnenbrauner Hand.

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Johann Peter Hebel .

IV.

Hebel ist der eigentliche Schöpfer der Mundartpoesie in Deutsch land geworden. Er war der erste, der mit voller Genialität mund artlich dichtete. Mittelalterliche Geschichtschreiber und Rechtslehrer hatten mundartlich geschrieben. Zwingli hatte sich in seinen refor matorischen Schriften eines schweizerischen Dialektes bedient. Und genau gesehen war ja auch die älteste Haupturkunde der neuhoch­deutschen Schriftsprache, Luthers Bibelübersetzung, von einer Mund­art hergeleitet, nämlich von dem zur oberdeutschen oder hochdeutschen Mundartengruppe gehörigen obersächsisch- thüringischen Jdiom. Es ist nicht so, daß die Mundarten spät entwickelte Abarten einer von je vorhandenen Haupt- und Literatursprache wären. Vielmehr sind die Dialette das Ursprüngliche, und einer dieser Dialette, Luthers Jdiom, hat sich im Laufe der Zeit als herrschende Mundart durch gesetzt. Das ist der Ursprung der deutschen Schriftsprache. Wie wohl Luther das heimische Idiom nicht in der originalsten Gestalt wiedergab, sondern sich sehr start von der anspruchsvoll- offiziellen fursächsischen Ranzleisprache bestimmen ließ, blieb er sich des volks tümlich- mundartlichen Ursprungs seiner Bibelsprache voll bewußt: Man muß nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wenn man soll deutsch reden, wie die Esel tun, sondern muß die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markte fragen und denselben auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehen sie es und merken, daß man will deutsch zu ihnen reden."

Die Gemeingültigkeit einer deutschen Hauptsprache war indes mit Luthers Bibelübersehung noch lange nicht Tatsache. Gram­matiker des siebzehnten Jahrhunderts, wie der Schlesier Martin Opitz und wie die in den literarischen Vereinen und sprachreini­genden Gesellschaften dieser Zeit organisierten Poeten, Poetaster und Philologen hatten noch große Arbeit, bis wesentlich auf der Grundlage des Oberdeutschen und insbesondere des Oberfäch und insbesondere des Oberfächs fifchen eine gemeindeutsche Literatursprache geschaffen war, die in einer gewissen Neutralität über den Dialettparteien stand. Was dann noch zu tun blieb, das besorgte im achtzehnten Jahrhundert der Leipziger Literaturprofessor Johann Christoph Gottsched in seinen drollig betitelten Zeitschriften: den Vernünftigen Tadles rinnen", dem Neuesten aus der anmutigen Gelehrsamkeit" und dem Biedermann".

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In dem langen Entwicklungsprozeß hatte die gemeindeutsche Schriftsprache trotz ihrer mundartlich- volkstümlichen Herkunft all­mählich eine soziale Zuspigung in der Richtung des Aristokratischen erhalten. Das lag an den sozialen Verhältnissen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Die Literatur wurde vornehm und tödlich langweilig. Es entstand eine tiefe Kluft zwischen den le= bendig wirkenden, naiv sich fortbildenden und fortvererbenden Mundarten des Volkes und der hösisch- aristokratischen Schrift sprache, die ihre Gestalt immer mehr von der philologischen Vor schrift superkluger Gelehrter empfing. Schon der württembergische Hofpoet Georg Rudolf Weckherlin , der in der ersten Hälfte des sieb

1911

zehnten Jahrhunderts dichtete, konnte von den Werken zeitgenössischer Poeten, und zumal den eigenen, rühmend behaupten, sie seien ,, weder für noch von allen,

sollten nur denen, die gelehrt,

und( wie sie thun) weisen Fürsten gefallen."

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Am Vorabend der französischen Revolution begann ein Rück schlag. Herder focht leidenschaftlich gegen die Wortgrübler", gegen die Großsiegelbewahrer der Reuschheit der Sprache", gegen die ,, Regelnschmiede", die Pedanten der Reinigkeit und des üblichen", gegen die Philologenforderung eines reingewässerten Stiles". A13 Zeitgenosse Herders dichtete Johann Heinrich Voß seinen Winter­awend und die Veerlander Jdylle; Voß hat auch bekannt, daß er immer zuerst den Homer aus dem Griechischen ins Plattdeutsche umdachte, bevor er die hochdeutsche Übersetzung der Jlias und der Ddyssee herausbrachte. Kurz vor Sebels alemannischen Gedichten erschienen die Gedichte des Nürnberger Stadtflaschners Johann Konrad Grübel , des phänomenalen Spießbürgers, meist hanebüchen stumpfsinnige, aber in dieser Art sehr charakteristische Verse in fleinbürgerlich mittelfränkischer Mundart. Erst Hebel war der wahre Klassiker der mundartlichen Dichtung; er hat in ihr das Tiefste gesagt, ohne den Dialekt zu polieren oder seine inneren Grenzen zu überschreiten.

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Die Gedichte Hebels in der Wiesentäler Mundart umfassen einen großen Kreis von Stoffen. Aber alle stammen aus dem schwarz wäldischen Landleben, und sie erschöpfen es mit reizender Boll ständigkeit und mit einer erquickenden Herzlichkeit. Es ist aber töricht, zu glauben, man könne Hebels komplizierte Persönlichkeit mit dem gönnerhaft- betulichen Prädikat kindlich" erschöpfen. Ge nau so albern ist es, Hebel einen Joylliker zu nennen. Hebel hat sich stille dichterische Sammlung erworben, hat sich besinnlichen Humor erarbeitet. Solche Geistesverfassung ist immer das Er gebnis von Kämpfen und seien sie unmeßbar fein wie bei Hebel oder Schwind oder dem Illustrator der alemannischen Gedichte, bei Ludwig Richter . Hebel ist weder verzärtelt noch gewaltsam. Er ist von einer feintörnigen Kraft. Solche Menschen verschweigen sich und bringen bloß das ans Tageslicht, was sich ihnen als End­ergebnis ihrer inneren Erlebnisse darbietet und im gedämpften Lichte reifer, heiterer Resignation erglänzen kann. Hebels Poesie ist nicht das Werk eines Kampflosen, sondern eines Beruhigten. In dieser Verfassung tritt er an seine Welt heran. Dr. Wilhelm Hausenstein .

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Wie ernährt man einen Säugling?

Von Dr. med. B. Steininger.

Schon die überschrift dieses Artikels zeigt, daß wir kein Recht haben, von der Höhe unserer Kultur mit Geringschätzung auf die Lebenshaltung untultivierter Völkerschaften herabzusehen. In einem wichtigen Punkte ist ihre Kulturarmut von Vorteil für diese wilden Völker: ihre Säuglinge ernähren sie auf die einzig richtige und vernünftige Art, an der Mutterbrust. Unsere hohe" Kultur er­laubt dies aber sehr vielen unserer Mütter nicht mehr. Entweder sind sie zu vornehm dazu, sie wollen sich nicht ihre Figur verderben, sie wollen ihre gesellschaftlichen Pflichten, ihre Vergnügungen nicht versäumen. Oder die Armut macht es ihnen unmöglich, das Kind an der Brust zu nähren. Dies trifft für viele Proletarierinnen zu. Fabrikarbeit, Beruf und Mutterpflichten vertragen sich schlecht mit­einander, darunter muß das Kind und besonders der Säugling leiden. Zu diesem kommt die wachsende Schar der Frauen, die infolge physischer Entartung nicht mehr imstande sind, ihre Kinder zu stillen. Diese Entartung ist wohl meist durch Krankheiten der Eltern dieser Frauen, häufig durch Alkoholismus des Vaters be dingt, also durch Krankheiten und Laster, die auf dem Boden unserer Kultur emporiuchern. 20 Prozent unserer Kinder sterben bereits in ihrem ersten Lebensjahre! Für diejenigen meiner Leserinnen, die in der glücklichen Lage sind, ihre Kinder an der Brust nähren zu können, ist das Folgende nicht geschrieben, denn ihre Kleinen werden nur selten an Erkrankungen durch unzweckmäßige Ernäh­rung leiden, und wenn doch, so sind diese leicht zu beheben. Den anderen dagegen, die durch die Not der äußeren Verhältnisse, durch Krankheit oder sonstwie gezwungen sind, mit der Milchflasche ihre Säuglinge aufzuziehen, sollen durch diese Zeilen einige Nat­