Für unsere Mütter und Hausfrauen

O O O O O O O O 1913

Nr. 15 oooooooo 。。。。。。。 Beilage zur Gleichheit°

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Inhaltsverzeichnis: Wir fordern mehr! Von M. Drescher.- Ludwig Uhland  . Von Otto Wittner.( Schluß.) Für die Hausfrau. Feuilleton: Drei Tode. Von Leo Tolstoi.  ( Schluß.)

Wir fordern mehr!

Von M. Drescher.

Wir wollen Brot! Bescheidene Geschlechter Begnügten sich, wenn in erregten Tagen Des Aufruhrs Banner ward vorangetragen, fürs liebe Brot zu stehn als wackre fechter.

Wir aber, die wir gründliche Verächter Der Demut sind, wir Ungestümen schlagen, Glaubt man zufrieden uns bei vollem Magen, Ein lautes Lachen an, ein Sohngelächter.

Wir fordern mehr. Wir ahnen, was das Leben Vermag an Luft, an Glanz und Glut zu geben! Uns lockt es nicht, das Glück der satten Herde.

Wir wollen alles, was erfreut, genießen, Das Reich der Kunst, des Wissens uns erschließen. Wir fordern für uns kühn die ganze Erde.

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Ludwig Uhland  .

Bon Otto Wittner.

( Schluß.)

Nach diesem völligen Zusammenbruch der demokratischen Be­wegung beschränkte sich Uhland   wieder ganz auf seine gelehrte Tätigkeit. Die reaktionären Regierungen Preußens und Bayerns  hätten nun gern von seinem Ruhm auch für sich ein Kapitälchen gemünzt. Nach einigen Jahren wurden ihm zwei der höchsten Orden, der preußische Pour le mérite   und der bayerische   Maximi­liansorden, angeboten, die mit dem persönlichen Adel verbunden sind. Uhland   wies sie zurück. Ich würde," schreibt er an Alex­ander v. Humboldt, den Ordenskanzler, mit literarischen und poli­tischen Grundsätzen, die ich nicht zur Schau trage, aber auch nie­mals verleugnet habe, in unlösbaren Widerspruch geraten, wenn ich in die mir zugedachte, zugleich mit einer Standeserhöhung verbundene Ehrenstelle eintreten wollte. Dieser Widerspruch wäre um so schneidender, als nach dem Schiffbruch nationaler Hoffnungen, auf dessen Planken auch ich geschwommen bin, es mir nicht gut anstände, mit Ehrenzeichen geschmückt zu sein, während solche, mit denen ich in Vielem und Wichtigem zusammengegangen bin, weil sie in der letzten Zerrüttung weiterschritten, dem Ver­lust der Heimat, Freiheit und bürgerlichen Ehre, selbst dem Todes­urteil verfallen sind, und doch, wie man auch über Schuld oder Unschuld urteilen mag, weder irgend ein einzelner noch irgend eine öffentliche Gewalt sich aufrichtig wird rühmen können, in jener allgemeinen, nicht lediglich aus kecker Willfür, sondern wesentlich aus den geschichtlichen Zuständen des Vaterlandes her­vorgegangenen Bewegung durchaus den einzig richtigen Weg ver­folgt zu haben." Trotz allem Zureden blieb Uhland bei seiner Weigerung. In den hohen Jahren seines Alters erlebte er dann noch, wie die scharfe" Reaktion gänzlich abwirtschaftete. Das Bürgertum raffte sich zu einem neuen Vorstoß gegen das Junker­regiment auf, die Tendenzen von 1848 schienen sich siegreich durch­zusetzen. Uhland   starb, als der Konflikt auf seiner Höhe war, nur furze Zeit noch die Fortschrittsparteien von dem Augenblick zu trennen schien, in dem sie die Herrschaft ergreifen konnten. Gr starb sehr zur rechten Zeit. Es blieb ihm erspart, auch noch den dritten und endgültigen Bankrott bürgerlicher Freiheitskämpfe in Deutschland   mit anzusehen.

Durch die Entwicklung des Politikers Uhland   ist auch sein ganzes dichterisches und schriftstellerisches Werk in den wesentlichen Zügen bestimmt. Seine lhrische und balladische Dichtung ist so volks­tümlich wie die keines anderen Romantikers, selbst Eichendorff nicht ausgenommen. Ja man kann sagen, daß sie erst die Ro­mantit volkstümlich gemacht habe. Wie jene nimmt er Motive, Stimmungen, Gestalten des Volksliedes auf, bildet sie fort. Aber

bei ihm geschieht das mit voller Selbstverständlichkeit aus einer offenbaren übereinstimmung des Wesens, ohne jeden artistischen Anspruch, ohne die Entdeckerfreude des außerhalb Stehenden, die bei Arnim, bei Tiec oder Brentano oft deutlich sichtbar werden. Sie suchen das Volk, Uhland   ist mitten unter ihm. Er hat manche der stehenden Figuren der Romantik vereinfacht, indem er ihnen die individuelle Besonderheit nahm. Aber er verfuhr da, wie es das Volk selber tut, wenn es von den Königskindern oder dem Schneiderlein singt und erzählt. Und wie das Volkslied, spiegelt feine Lyrik die Lebensideale einer vergangenen Kultur. Je weiter sich Uhland   als demokratischer Politiker entwickelt, um so tiefer mußte der Gegensah werden zwischen seinem neuen Jdeal dieser lebendigen Zeit und den schönen Abbildern einer gestorbenen. " Weil er es mit der neuen Zeit so ehrlich meinte," erkannte schon Heines scharfer Blick, konnte er das alte Lied von der alten Zeit nicht mehr mit der vorigen Begeisterung weiterfingen." So ver­stummte Uhland   als Lyriker, als er kaum in die Jahre männlicher Vollreife eingetreten war. Als Dramatiker hat er sich mit seinem Ernst von Schwaben", seinem Ludwig der Bayer" nicht zur Geltung bringen können. Hier ist Uhland   ohne die vorausgehende Leistung Schillers freilich nicht zu denken. Doch behauptet er sich neben ihm durchaus als eigene Persönlichkeit, zum Unterschied von den Dichtern des späteren Epigonendramas, die sich vom Abhub der Tafel Schillers nähren. Neben dem aufregenden Pathos Schillers erscheint uhlands dramatischer Stil in gemessener Würde. Ein kühler Glanz liegt hier über seiner Sprache, der nur selten etwa bei der berühmten Schilderung der Kaiserwahl in Ernst von Schwaben"- von wärmenden Lichtern überwallt wird. Dies erklärt aber das Schicksal des Dramatikers nur zum Teil. Es kommt noch hinzu, daß diese beiden Werke Gesinnungsdramen in der edelsten Bedeutung des Wortes sind. Und hierfür war kein Platz auf der Bühne jener Zeit( 1818/19), schon wegen der widrigen Zensurverhältnisse. Die Bühne jener Zeit machte sich ja auch ihren Schiller zurecht und deckte ihren Bedarf hauptsächlich mit den seichten Fabrikaten der Iffland, Kozebue, Raupach. Später mußten Uhlands Dramen in ihrem gehaltenen Ernste wieder die neueren Tendenzdramen der Laube, Prub usw. mit ihrem behenden Wiße und ihren eilfertigen Unterschiebungen moderner Gedankengänge und Wünsche den Nang ablaufen. Unter solchen Umständen hat Uhland   seine dramatische Dichtung nicht weitergeführt. Eine lange Reihe von Bruchstücken und Entwürfen zieht hinter den beiden Schauspielen her, die unter keinem guten Theaterstern vollendet worden waren.

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Und auch Uhlands wissenschaftliche Leistung verdankt ihre tiefsten Antriebe seiner innerlichen Verwurzelung im Volke. Keiner vor ihm hat so tief die Zusammenhänge deutscher Sage und deutschen Mythos erfaßt und aufgehellt. Ein sehr wesentlicher Teil seiner ge­lehrten Tätigkeit galt dem deutschen Volkslied. Dessen Wesen und Werden hat er in viel fruchtbarerer Weise kritisch erfaßt, als es den Anregern solcher Forschung, Herder oder Arnim und Brentano  , noch möglich war. Selbstverständlich war es auch kein Zufall, daß Uhland   gerade bei der Gestalt Walters von der Vogelweide lange verweilte, der nicht nur der größte Lyriker, sondern auch der größte politische Dichter des deutschen Mittelalters gewesen ist. Ebenso ist es im demokratischen Grundzug seines Wesens be= gründet, daß er als erster die deutsche   Literatur des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts mit gründlichem Verständnis be­handelte, jener Zeit also, in der die deutsche Prosa sich ausbildete, in der die Literatur, bis dahin aristokratisches Eigentum einer dünnen Oberschicht, demokratisiert wurde und in der Sprache des Volkes von dessen Nöten und Begehren zu reden begann.

uhlands Leben, sein dichterisches wie sein gelehrtes Schaffen sind also in ihrer Wesenheit von einem und demselben Gedanken­und Gefühlskern her zu begreifen. Wie denn Dichten im Grunde nichts anderes ist als das Gestalten einer passiv erfahrenen und aftiv ergriffenen Weltanschauung. Ein Geheimnis, das freilich vielen unserer bürgerlichen Literaten und Literaturforscher noch immer nicht aufgegangen ist. Besäße das Bürgertum von heute noch den Mut und die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, so hätte es an Uhlands Gedenktag nur ausrufen können: Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem, wir werden nimmer seinesgleichen sehn!"

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