Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 13 o Q oooooo

Beilage zur Gleichheit O O O O O O O O 1915

Inhaltsverzeichnis: Vorfrühling  . Von Friedr. Hebbel.  

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hauer über den Krieg. Japanische Ökonomie. Von Robert Wil­ brandt.  ( Schluß.)- Der Hunger. Von Dr. Alex. Lipschüß.- Spruch. Von Goethe. Feuilleton: Wie ein Mensch geboren ward. Von Maxim Gorki.  ( Schluß.)

Vorfrühling.

Wie die Knospe hütend, Daß sie nicht Blume werde, Liegt's so dumpf und brüfend

über der drängenden Erde. Wolkenmassen ballten

Sich der Sonne entgegen, Doch durch tausend Spalten Dringt der befruchtende Segen.

Glüh'nde Düfte ringeln In die Höhe sich munter. Flüchtig grüßend, züngeln Streifende Lichter herunter. Daß nun, still erfrischend, Eins zum andern sich finde, Rühren, alles mischend, Sich lebendige Winde. Friedrich Hebbel  .

Schopenhauer über den Krieg.

,, Nachdem in der gesamten tierischen Natur die von der Pflanzenwelt zehrenden Tiere aufgetreten waren, erschienen in jeder Tierklasse, not­wendig zuletzt, die Raubtiere, um von jenen ersteren als ihrer Beute zu leben. Ebenso nun, nachdem die Menschen, ehrlich und im Schweiße ihres Angesichts, dem Boden abgewonnen haben, was zum Unterhalt cines Volkes nötig ist, treten allemal eine Anzahl Menschen zu­sammen, die, statt den Boden urbar zu machen und von seinem Ertrag zu leben, es vorziehen, ihre Haut zu Markte zu tragen und Leben, Gesundheit und Freiheit aufs Spiel zu setzen, um über die, welche den redlich erworbenen Besitz inne haben, herzufallen und die Früchte ihrer Arbeit sich anzueignen. Diese Raubtiere des menschlichen Geschlechts sind die erobernden Völker... daher eben Voltaive recht hat, zu sagen: Bei allen Kriegen handelt es sich ums Rauben! Daß sie sich der Sache schämen, geht daraus hervor, daß jede Regierung laut beteuert, nie anders als zur Selbst­verteidigung die Waffen ergreifen zu wollen. Statt aber die Sache mit öffentlichen, offiziellen Lügen zu beschönigen, die fast noch mehr als jene selbst empören, sollten sie sich frech und frei auf die Lehre des Machiavelli   berufen. Aus dieser nämlich läßt sich ent­nehmen, daß zwar zwischen Individuen der Grundsay: Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu, allerdings gilt, hingegen zwischen Völkern und in der Politik der umgekehrte: Willst du nicht unterjocht werden, so unterjoche bei­zeiten den Nachbarn, sobald nämlich seine Schwäche dir die Ge­legenheit darbietet... Dieser Machiavellistische Grundsatz ist für die Raublust immer noch eine viel anständigere Hülle, als der ganz durchsichtige Lappen palpabelster Lügen in Präsidentenreden, und gar solcher, welche auf die bekannte Geschichte vom Kaninchen, welches den Hund angegriffen haben soll, hinauslaufen. Im Grunde sieht jeder Staat den anderen als eine Räuberhorde an, die über ihn herfallen wird, sobald die Gelegenheit kommt."( Werle V, 250.) Die Geschichte, von einem Ende zum anderen, erzählt von lauter Kriegen, und dasselbe Thema ist der Gegenstand der ältesten Bildwerke wie auch der neuesten. Der Ursprung alles Krieges aber ist Diebsgelüft. Sobald nämlich ein Volf einen überschuß von Kräften spürt, fällt es über den Nachbarn her, um statt von seiner eigenen Arbeit zu leben, den Ertrag der ihrigen, sei es bloß den jetzt vorhandenen, oder auch dazu noch den künftigen, indem es sie unterjocht, sich anzueignen. Das gibt den Stoff zur Welt­geschichte und ihren Heldentaten."( Werke V, 473.)

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Japanische Dekonomie.

Von Robert Wilbrandt  .

4. Gefahren.

( Schluß.)

Von der europäischen   Geistesentwicklung mithin noch weit ent­fernt, aber von der Europäisierung doch auch im Innersten nicht unberührt, schwanken die japanischen Institutionen heute im Zwie­licht dieser Doppelbeleuchtung; der Japaner, so versicherten uns lang eingewurzelte gute Sachfenner, soll sich heute oft selbst nicht

flar sein, wie seine Wirklichkeit eigentlich ist. Was noch der herr­schende Typus ist, wie die absolut untertänige rechtlose Stellung der Frau, neben der dem Manne erlaubt ist, was ihm gefällt, er= scheint dem europäisch angehauchten gebildeten Japaner als ein längst gewesenes Stüd Vergangenheit; denn die altpatriarchalische Tradition gerät ins Wanken, die gebildete Jugend hat begonnen, auch ihre Ehe und Familie zu europäisieren.

Und damit komme ich zu der Gefahr Neu- Japans  : der Zu­sammenbruch des festen Haltes, der Tradition, der Mangel einer stetigen selbsterkämpften geistigen Entwicklung, an deren Stelle nun die wahllose Übernahme alles Europäischen   tritt.

Ein Beispiel: die Modernisierung des Theaters durch das Kaiser­liche Theater in Tokio  . Gewiß entfaltet sich das große japanische Schauspielertalent auch in den jungen Mädchen, die, in dem In­stitut eines Kunstmäzens ausgebildet, neben die bisher ausschließ­lich männlichen Schauspieler, wie bei uns zur Zeit Shakespeares, treten; aber das europäisierte Ballett, ganz im Widerspruch mit dem japanischen Körper, die geschmacklose Ausstattung der Räume, das geradezu entsetzliche Gebäude, das die schlimmste europäische  Geschmacksverwilderung zum Vorbild nimmt!

Solche Bauwerke, in Tokio   der wachsende neue Teil der Stadt, bedrohen durch ihr allmähliches Vordringen, im Bunde mit der Europäisierung der Kleider, zunächst bei den Männern, das ganze Alt- Japan   samt all seiner Schönheit und Skonomie und machen aus der Gefahr der Japaner für Europa   eine Gefahr Europas   für die Japaner.

Der Wohlhabende beginnt, für europäischen   Besuch neben seinem japanischen Haus einen europäischen   Teil anzubauen, in dem das lästige Schuhausziehen und Siben ohne Sessel dem Fremden er­spart wird. Der europäische   Teil dehnt sich aus, wird bei heim­fehrenden Diplomaten zum Hauptgebäude, auch das eigene Leben wird europäisch. Im Uyeno- Park- Hotel kommen zum Diner, auf Stühlen und mit Messer und Gabel statt der japanischen Stäb­chen, viele Japaner, besonders zu Festlichkeiten. Fleisch, Milch, Butter wird eingebürgert. Der offizielle Teil des Lebens, vom kaiserlichen Hofe diktiert, wird zunächst noch prinzipiell als inter­nationaler dem japanisch verbleibenden Heim gegenübergestellt; ein kostspieliges Doppelleben für die gebildeten Männer, die in Bureau und Geselligkeit als Europäer, in der Häuslichkeit als Japaner leben. Der entscheidende Punkt ist dabei der Fuß: wird seine Bekleidung europäisiert, so daß der Schritt ins Haus nicht mehr die klappernden Geta( eine Art leichter Holzpantoffeln) ab­streift, um nur die sauberen Tabi( hausschuhartige Socken) übrig zu lassen, dann ist's vorbei mit der ganzen Ökonomie des japa= nischen Hauses, denn damit fällt die Möglichkeit, den Fußboden, mit Matten bekleidet, zum Sitzen und Liegen zu benutzen, dann wird er wie bei uns eben nur noch der Fußboden, vom Straßenschmuk befleckt, und alles Sitzen und Liegen erfordert dann erhöhte Plätze, die den Raum wegnehmen und eine entsprechend größere Zahl von Zimmern fordern. So ist Essen  , Kleidung und Wohnung drauf und dran, die altjapanische Ökonomie des einfachsten billigsten Mittels zu verlieren.

Noch ärger gefährdet ist der Geschmack; wie schon das Beispiel des Kaiserlichen Theaters zeigte.

3war rührt sich an einzelnen Stellen, vor allem an der ältesten Kulturstätte, in Nara  , der Sinn einer gesunden Reaktion. Man verbietet europäische Bauweise im Bereich des heiligen Tempel­hains, und geschickt werden die Erfordernisse des heutigen Lebens in das Gewand des altjapanischen Hauses gekleidet; auch ist die ärgste Verwüstung der altjapanischen Wandmalereien nicht mehr geduldet, nachdem im ersten Rausche des Fortschritts" das alte Kulturerbe wundervoll ausgemalter Paläste verachtet und zu Ka­fernen mißbraucht worden war.

Aber die Gefahr, die den Geschmack bedroht, greift tiefer. Nicht nur daß die eigene Tradition verlassen und fremder Bo­den der Geschmacksentwicklung betreten wird, auf dem nun jeder eigene Maßstab fehlt. Sondern die Japaner treten überhaupt in unseren Zustand ein, aus dem wir uns erst wieder emporzuringen begonnen haben: in den Verfall des Geschmacks, wirtschaftlich be­dingt durch die Produktion für den Markt, und in der geistigen Entwicklung zu verstehen als Epoche intellektuellen Fortschritts, einseitiger Verstandeskultur, um den Preis der verlorenen Schön­heitsfreude, an deren Stelle die nüchtern erkannte Zweckmäßigkeit tritt.