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Für unsere Mütter und Hausfrauen
Zunächst die wirtschaftliche Seite: der Eintritt in den Tauschverkehr. Die alte Eigenwirtschaft, die Produktion für eigenen Bedarf und für den Hof großer Herren, hatte eine feste Tradition erzeugt und erhalten; man arbeitete liebevoll für sich selbst oder für den guten Geschmack einer Herrschaft. Das wirfte weiter in die Zeit des Tauschverkehrs hinein; aber allmählich kommt nun deren eigener Geist obenauf: Anbieten, was gekauft werden mag, Spefulation auf die rohen Instinkte einer ungebildeten Masse von Käufern, Konkurrenz um Absatz mittels des Bemühens, Neues, immer Neues vorzulegen, Mode auf Mode an Stelle festen Stils und ruhiger alter Tracht. Und der rechnende Verstand des Unternehmers, der so spekuliert, wird der Typ des Geisteslebens überhaupt: Rechnen und Erkennen, die Grundlage unserer Wissenschaft und Technik.
Das dringt, in den letzten Jahrhunderten in Europa entwickelt, nun auch in Japan ein. Hatte der Japaner, ethisch und ästhetisch erzogen, intellektuell aber unter der strengen Zucht der Tokugawadynastie( bis zur Wiederaufrichtung des Kaisertums in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts) freie Bewegung des Geistes nicht getannt, so drang in der jüngsten Zeit, nachdem die Tore dem Europäertum geöffnet und zahllose Japaner zum Studium ausgeschickt waren, die intellektuelle Kultur Europas übermächtig ein; wie bei uns in den letzten Jahrhunderten, gibt sie dem neuen Japan ihren Stempel: Verstand und Rechnen.
Wird es gelingen, die neue Rolle zu spielen, ohne die alte zu verlernen?
Das japanische Talent des Nachschaffens steht vor einer schweren Aufgabe weiser Beschränkung und gefestigten Selbstbewußtseins. Es gilt, nur so weit sich wirtschaftlich zu europäisieren, als es nötig ist für die unentbehrliche Industrialisierung dieses fünfzig Millionenvoltes auf bergigem, engem Boden, der nicht Agrarprodukte als Gegengabe für die Errungenschaften moderner Technik überflüssig hat und darum ergänzt werden mnß durch eigene Industrie. Es fragt sich: wird der Japaner das Prinzip erfassen, durch die Wissenschaft und ihre Praxis das alte Japan nur zu vervollständigen, nicht aber es unnötig aufzuopfern? Wird das japanische Volk, das bisher in heiligen Hainen die Natur erhielt, an dem bei uns nötig gewordenen Schuß der Heimat" lernen, in welche Gefahr ihr ganzes Leben geraten ist? All die Schönheit, Einfachheit, Okonomie , die Abhärtung und Selbstbeherrschung, die ästhetische und ethische Kultur Alt- Japans steht auf dem Spiele. Was wir jezt wieder mühsam zu erringen angefangen haben, müssen es auch die Japaner erst verlieren, um dann, auch darin unserem Beispiel folgend, es wieder zu suchen?
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Der Hunger.
Bon Dr. Alex. Lipschüß.
I.
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Zu den interessantesten Problemen der biologischen und medizinischen Wissenschaft gehört der Hunger. Es ist ein schwieriges Problem für die Theorie sowohl wie für die Praxis, verwickelter und von weit tiefer greifender Bedeutung, als man gemeinhin annimmt. Nicht der Hungerkünstler, der sich für Geld zeigt, hat für die Wissenschaft das Problem des Hungers geschaffen. Nein, der Hunger ist ja häufig genug ein ungebetener Gast für uns und unsere Gäste wollen gekannt sein. Ja, noch mehr. All die vielen Fragen, die sich auf die Ernährung des Menschen überhaupt be= ziehen, zahlreiche Fragen der Säuglingsernährung, die Fragen, die auf die Ernährung des Menschen bei verschiedener Arbeit Bezug haben, alle diese Fragen fallen unter das große Problem des Hungers. Weiter gehören hierher zahlreiche Fragen der Heilkunde und sogar wichtige Probleme der Landwirtschaft. Das wird uns aus den folgenden Betrachtungen über das Wesen des Hungers flar werden.
Alle Lebensvorgänge in unserem Organismus bestehen in letter Linie in einer Verbrennung verschiedenartiger Stoffe, die Bestandteile der lebendigen Zellsubstanz bilden. Lebensvorgänge bedeuten also stets einen Stoffverbrauch in unserem Körper. Der Organismus ist daher auf eine ständige Zufuhr von bestimmten Stoffen angewiesen, mit denen der Verbrauch gedeckt werden kann. Die Stoffe, die in unserem Körper verbrannt werden, sind Eiweißstoffe( als Beispiele mögen das Hühnereiweiß, das Muskeleiweiß dienen), Fette und Kohlehydrate( Zucker, Stärke). Außerdem sind die Lebensvorgänge verbunden mit einer Ausscheidung von Wasser und Salzen aus unserem Körper. Wir bedürfen also auch einer ständigen Zufuhr von Wasser und verschiedenen Salzen.
Nr. 13
Nun kann der Fall eintreten, daß der eine oder der andere Stoff einmal in der Nahrung fehlt oder, was häufiger vorkommt, in ungenügenden Mengen in der Nahrung vorhanden ist. Greifen wir einen Fall aus der Wirklichkeit heraus. Beim Übergang vom Landleben zum Stadtleben bekommen die Menschen das Bedürfnis, eine leichtere Nahrung zu sich zu nehmen, sie verschmähen jetzt die vielen Kartoffeln, Rüben und das viele Brot. Der Städter wird vor allem weniger von diesen Nahrungsmitteln zu sich nehinen, als man es auf dem Lande gewohnt ist. Aber mit der geringeren Menge dieser Nahrungsmittel bekommt er nicht die genügenden Mengen von Eiweißstoffen zugeführt, die der Mensch notwendig braucht. Der Ausfall von Eiweiß könnte gedeckt werden durch Fleisch, das sehr viel Eiweiß enthält. Um aber den Ausfall mit genügenden Mengen des viel teureren Fleisches zu decken, reicht bei der großen Masse das Einkommen nicht aus. Der Städter läuft also Gefahr, ungenügende Mengen von Eiweiß zu sich zu nehmen. Er kann in einen„ Eiweißhunger" hineingeraten. Der„ Eiweißhunger", das Zuwenig an Eiweißstoffen in der Nahrung, ist das Kennzeichen der„ Armenkost". Eine solche Kost muß natürlich zu Eiweißverlusten führen, und in den ärmeren Volksschichten kann man Beispiele genug dieser Unterernährung antreffen, namentlich in den Zeiten wirtschaftlicher Krisen oder in Zeiten besonderer Teuerung von Nahrungsmitteln. Die Menschen hungern, obgleich sie essen und obgleich der Laie, der lediglich auf die gesamte zugeführte Menge der Nahrungsmittel sieht, hier die Möglichkeit eines Hungers auch nicht einmal ahnen würde. Ein anderer Fall, ebenfalls aus der Wirklichkeit gegriffen. Wenn wir arbeiten, so werden in den Muskeln, die die Arbeit leisten, Stoffe verbrannt. Es findet das gleiche statt wie in der Dampfmaschine, die ihre Arbeit nur leisten kann, weil in ihr Kohle oder Holz verbrennen, die aus denselben brennbaren Stoffen bestehen wie unser Körper. Je mehr wir arbeiten, desto mehr Stoffe, namentlich Kohlehydrate, müssen in unseren Muskeln verbrannt werden. Was das in der Praris des Lebens zu bedeuten hat, ersehen wir aus folgender Tatsache. Ein Holzfäller, der eine sehr schwere Körperliche Arbeit zu leisten hat, ist mehr als doppelt soviel wie ein Feinmechaniker, der eine viel leichtere körperliche Arbeit hat. In allen Ländern, wo man diese Frage untersuchte, hat sich das in ganz übereinstimmender Weise ergeben. Nun denfen wir uns den Fall, ein Holzfäller würde nur so viel essen wie ein Mechaniker. Er ist„ genug", würde man sagen, wenn man ihm einfach auf den Teller blicken wollte. Und doch nicht genug: denn mit dem, was er ißt und was bei einer leichteren körperlichen Arbeit wirklich genug ist, fann er seinen großen Stoffverbrauch nicht decken. Er hungert, trotzdem er soviel ißt wie andere Leute.
Nun wollen wir noch einen Fall betrachten, der sich auf die Ernährung des Säuglings bezieht. Der wachsende Organismus braucht für den Aufbau des Knochengerüftes große Mengen von Salz, und zwar von phosphorsaurem Kalt. Die Knochen werden nur hart, wenn sich phosphorsaurer Kalf in ihnen ablagert. Würde man nun ein Kind zum Beispiel überwiegend mit Reis oder mit Kartoffeln füttern, so würde das Kind an Knochenweichheit erkranken, weil diese Nahrungsmittel zu wenig Phosphorsäure und zu wenig Kalt enthalten. An wachsenden Tieren hat man vielfach solche Versuche ausgeführt stets mit dem Ergebnis, daß die Tiere eine mangelhafte Entwicklung des Skeletts aufwiesen: ihre Knochen blieben weich und frümmten sich wie bei rachitischen Kindern. Der wachsende Organismus würde also einen Phosphorhunger oder einen Kalkhunger erleiden, wenn er eine Nahrung zugeführt bekäme, mit der ein Erwachsener gut auskommen kann. In Japan , wo in den ärmeren Voltsschichten der Reis das Hauptnahrungsmittel bildet, soll es vorkommen, daß die Kinder an einer Knochenweichheit erkranken, die allein darauf zurückzuführen sei, daß sie infolge einer Ernährung mit Reis an phosphorsaurem Kalt Hunger leiden.
Das führt uns hinüber zur Frage nach der Bedeutung eines Salzhungers für die Heilkunde. Die Ärzte haben sich gefragt, ob nicht verschiedene Krankheiten der Knochen im Wachstumsalter durch einen Mangel an Salzen in der Nahrung hervorgerufen würden. So hat man zum Beispiel die Frage aufgeworfen, ob nicht die englische Krankheit, die Rachitis, bei der die Knochenweichheit und die damit verbundenen Knochenverkrümmungen jedermann in die Augen fallen, auf einem Mangel an phosphorsaurem Salt in der Nahrung beruhe. Wie wir oben erwähnt haben, gelingt es tatsächlich, bei jungen wachsenden Tieren eine Knochenweichheit und Knochenver krümmungen zu erzielen, wenn man sie mit Reis füttert, da im Reis so geringe Mengen Stalt und Phosphorsäure enthalten sind, daß mit ihnen den Anforderungen des Knochenwachstums nicht genügt werden kann. Wenn man aber die kranten Knochen solcher Tiere mit dem Mikroskop untersucht, dann findet man, daß sie nicht genau in derselben Weise erkrankt sind wie bei der Rachitis. Daß