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Für unsere Mütter und Hausfrauen
Nr. 4
sein pflegt. Das konnte nicht fehlen. Gewisse Leute sehen des Nach- nischen Gesinnungen ihr dienstwilliges Wörtchen an den Mann bars Schwächen mit stets verjüngtem Vergnügen.
Inzwischen was und blieb der Staatsrat Stryk ein angesehener, hochachtbarer Mann. Die nacheinander folgenden Landesfürsten schätzten ihn und zogen ihn immer wieder hervor, weil er mit seinen Kenntnissen, mit seiner Gewandtheit in Geschäften wesentliche Dienste leisten konnte. Jedermann gab zu, er sei ein gelehrter Mann, ein Mann von Taft, wie man ihn wegen der ihm eigenen Menschenkenntnis nannte, die er so richtig anzuwenden wußte. Ja, man hielt ihn für gelehrter, als er war, für flüger, als er war; selbst gute Köpfe hatten nicht nur Ehrfurcht und Achtung für ihn, sondern sogar eine gewisse Scheu, weil sie denen nicht recht trauen, die klüger sind als sie. Und doch war der Staatsmann Stryk ein grundredlicher, offener, gewissenhafter Mann, dem man nichts Böses nachsagen konnte. Aber eben daß man das nicht konnte, galt wieder als Beweis seiner Erzfeinheit, und als triftiger Grund, sich vor dem Manne in acht zu nehmen. Der Glaube an seine Klugheit ging so weit, daß man ihn allgemein für den weitestsehenden Politifer, für einen wahren Propheten hielt. Und an dem allen war seine sprichwörtliche Redensart schuld: Es ist sehr möglich!
Inzwischen zog ihm sein Sprichwort doch zuweilen auch manchen Verdruß zu, was wenigstens andern Leuten wohl Verdruß gewesen wäre. Aber ihn focht nichts leicht an.
Zum Beispiel war er eines Tages in der Ministerialversammlung, welcher der Kurfürst beiwohnte. Es war zur Zeit der franzö sischen Revolution. Man sprach nach aufgehobener Sizung von den neuesten Vorfällen in Paris , in Lyon , in Straßburg ; sprach von der ungeheuren Verwandlung der französischen Nation, von der chemaligen Abgötterei, die sie mit ihren Königen getrieben, und von ihrer nunmehrigen Freudetrunkenheit beim Sturz des Thrones.
Das ist das schändlichste Volk auf Gottes Erdboden! rief der Kurfürst: Kein anderes Volk könnte das. Denk' ich an meine Untertanen nie, des rin ich gewiß, werden sie von solchem Schwindel ergriffen werden, nie vor einem andern kniebeugen. Halten Sie es für möglich? Was meinen Sie, Stryk?
Der Staatsrat hatte in dem Augenblick an etwas anderes gedacht, die Worte seines Herrn nur halb gehört, und zuckte verlegen die Achseln, indem er nach seiner Gewohnheit sagte: Es ist doch sehr möglich!
Der Kurfürst stuzte. Wie verstehen Sie das? rief er: Glauben Sie, es werde ein Augenblick kommen, da meine Untertanen froh sein können, mich verloren zu haben?
Es ist sehr möglich! sagte Stryk mit Besonnenheit: Man kann nichts voraus wissen. Niemand ist unzuverlässiger, als ein Volk; denn das Volk besteht aus Menschen, von denen sich jeder selbst mehr liebt, als den Fürsten . Eine neue Ordnung der Dinge bringt neue Hoffnungen; und immer sind Hoffnungen verführerischer, als der Besitz des Gutes selber. So sehr Ew. Kurfürstliche Durchlaucht von allen ihren Untertanen geliebt werden, und so sehr Sie die Liebe derselben verdienen; doch wollte ich nicht schwören, daß nicht bei verwandelten Umständen dies Volk alle Wohtaten veressen und zu Ehren einer Republik, oder eines andern Herrn, Freudenfeste und Illuminationen anstellen, die kurfürstlichen Wappen abreißen und beschimpfen könnte. O ja, es ist sehr möglich.
Sie sind nicht gescheit! versetzte der Kurfürst heftig und wandte ihm den Rücken. Stryk fiel in Ungnade. Jedermann sagte damals: Stryk ist ein Narr.
Einige Jahre nachher drangen die Franzosen glücklich über den Rhein . Der Kurfürst mit seinem Hofstaat flüchtete. Man jauchzte Freiheit und Gleichheit hinter ihm her, stellte Freudenfeste und Illuminationen an und riß die Kurfürstlichen Wappen ab.
Stryk, als ein fenntnisvoller, brauchbarer Mann, fand auch unter der neuen Ordnung der Dinge seine Anstellung, und um so mehr, da bekannt geworden, weswegen er beim vertriebenen Landesherrn in Ungnade gefallen war. Man betrachtete ihn gewissermaßen als ein Schlachtopfer des Fürstendespotismus. Das Neue befestigte fich, und Stryk trug durch seine Tätigkeit und Geschäftskunde dazu nicht wenig bei.
Ungeachtet seines natürlichen Feuers ließ er sich doch nie zur politischen Schwärmerei hinreißen. Er hielt es auch nie mit einer Bartei; das mußte ihn jeder Partei verdächtig machen. Die Jakobiner hießen ihn einen verkappten Royalisten, die Royalisten hießen ihn einen verkappten Jakobiner. Er lachte zu beiden Titeln und tat seine Pflicht.
Eines Tages tam ein Regierungskommissär in das Departement, dem man, wie sich von selbst versteht, die größten Ehrenbezeigungen erwies. Jeder drängte sich zu demselben; jeder suchte sich bei ihm einige Wichtigkeit zu geben. Mitunter fehlte es auch nicht an Leuten, die über den braven Stryk und die Bweideutigkeit seiner republika
brachten. Der Kommissär, da er einst mit Stryk in großer, glänzen. der Gesellschaft zusammentraf, wo mancher feurige Toast auf die Freiheit der Welt, auf die Rechte der Völker, auf die Siege der Re publik ausgebracht worden war, wandte sich auch zu Stryk. Ich wundere mich nur, sagte er, daß die Könige es noch wagen, wider uns zu streiten. Denn sie beschleunigen damit ihren eigenen Sturz. Die Revolution macht die Runde um die Welt. Was hoffen denn die Leute? Bilden sie sich ein, die große Nation mit den Waffen zu beugen und die Bourbonen zurückzuführen? Die Toren! Eher würde ganz Europa untergehen. Was meinen Sie, Bürger: ist es einem vernünftigen Manne gedenkbar, daß in Frankreich jemals wieder ein Thron aufgebauet werde?
Unwahrscheinlich allerdings, sagte Strht, aber es ist sehr möglich. Was? sehr möglich? schrie der Kommissär mit donnernber Stimme, daß die ganze Gesellschaft zusammenfuhr: Wer an der Dauer der Freiheit zweifelt, hat sie noch nicht geliebt. Es tut mir leid, daß einer der ersten Beamten solche Gesinnungen nährt. Wie können Sie sich auch nur entschuldigen?
Entschuldigen? sagt Stryt ganz ruhig; das ist sehr möglich. Das freie Athen gewöhnte sich erst an einen Perikles, dann an einen König von Mazedonien . Rom hatte erst Triumvirate, dann einen Cäsar und zuletzt Neronen, England tötete seinen König, hatte einen Cromwell, hintennach wieder Könige.
Was wollen Sie mit Ihren Römern, Athenern und Engländern? rief der Kommissär: Was wollen Sie mit diesen elenden, charakterlosen Völkern, die der Ketten wert waren? Sie werden sie doch nicht mit den Franzosen in Vergleich setzen? Aber ich verzeihe Ihnen Ihre schiefe Ansicht. Sie sind kein geborener Franzose.
Es war jedoch dem Kommissär mit dem Verzeihen kein besonderer Ernst; denn Stryk verlor bald darauf seine Stelle. Er mußte sich sogar gefallen lassen, wegen verdächtiger Reden in Verhaft und peinliche Untersuchungen zu geraten.
Ginige Jahre nachher ward Bonaparte erster Konsul, erst für zehn Jahre, dann für Lebenszeit, dann Kaiser und König. Stryk ward gleich anfangs wegen seiner Einsicht, Rechtschaffenheit, und weil er von jeher zu denen gehört hatte, die man die Gemäßigten nannte, wieder in Amt und Würden eingesetzt. Von dieser Zeit an genoß er in seinem Kreise höhere Achtung als je. So manches, was er zuvor gesagt hatte, war erfüllt. Man hielt ihn für einen politischen Fernseher.
Napoleon verwandelte die Welt und verschenkte Kronen. Auch Stryk war der Diener einer dieser Kronen und genoß die größten Ehren. Nun war kein Mensch mehr Republikaner. Jeder kroch bor dem neuen Herrscher. Ja, niemand wollte jemals zu den Republifanern gehört haben, sondern jeglicher behauptete, von dem Schwindel, der einst alle befallen hatte, freigeblieben zu sein. Man rechnete es zur bittersten Schande, nicht allezeit gut föniglich gedacht zu haben.
Ich finde darin keine Schande, sagte Stryk, als sich einst darüber zwischen seinen besten Freunden Vorwürfe und Wortwechsel erhoben: ich glaube, ihr alle habt, da der Schnupfen umging, davon befallen werden können. Und kommt ähnliche Witterung wieder, könnet ihr auch den Schnupfen noch einmal bekommen. Es ist sehr möglich.
Wie? Halten Sie uns alle für so schwache, arme Sünder? riefen fie insgesamt. Wahrscheinlich, ich für meine Person, setzte jeder hinzu, lasse mich nicht leicht von dem politischen Modefieber besiegen! Da fällt mir, sagte Stryt, immer aus Addisons Zuschauer der Sultan von Ägypten ein. Dieser Sultan tat sich etwas darauf zugute, ein starker Geist zu sein. Nichts war ihm lächerlicher, als was der Koran von des Propheten Mohammed überirdischer Reise erzählt. Laut der Sure des Korans ward der Prophet nämlich, da er eines Morgens im Bette lag, vom Engel Gabriel durch Paradies und Hölle und alle sieben Himmel geführt; er hörte, er sah da alles, was vorging, hielt mit Gott neunzigtausend Unterredungen, und das alles in so kurzer Zeit, daß der Prophet sein Bett noch warm fand, da ihn der Engel Gabriel wieder hineinlegte, ja, daß das Waffer eines Kruges, den er bei Anfang der Himmelfahrt vor seinem Bette umgestoßen hatte, noch nicht einmal ganz ausgeflossen war.
Spruch.
( Schluß folgt.)