Nr. 7

Feuilleton

heiliger Abend.

Für unsere Mütter und Hausfrauen

Es klingelt. Schrill und störend halt Es durch den abendlichen Schimmer. Ein Knabe, kaum zehn Jahre alt, Tritt auf mein Öffnen in das Zimmer. Ein brüchig Stimmchen wispert leis: " Herr, Kienholz hätt' ich zu verkaufen!" Jndeß die Wangen schmal und weiß Blutwellen wechselnd überlaufen.

Und Augen hesten sich auf mich, Umflattert von verwasch'nen Strähnen, So hilflos, weh und flehentlich, Als wären' s festgeronnene Tränen. Jch weiß nicht, was mich da erfaßt, Warum ich mich so jäh erhoben Und dann dem Kinde voller Hast Die karge Gabe zugeschoben.... Die Stirn ans Senfter hingepreßt Starr ich geschreckt aus aller Ruhe... Es heult der Wind, der Regen näßt... Das Kind hat keine ganzen Schuhe.. Dort schleicht es mad und regenfeucht Durch Gassen, die sich festlich schmücken. Bald hängen Bäume voll Geleucht Und Kinder jubeln voll Entzücken. Dann klingen Glocken ernst und schwer Und fromme Seelen hört man singen: Vom Himmel hoch da komm ich her"... Wird er dem Kind wohl Schuhe bringen?

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Friede auf Erden.

Bon Adolf Schmitthenner .

Karl Bröger .

Es gibt ein Dörflein, liegt also fernab von aller Welt, daß gute und schlechte Mär zwei Monate später dorthin kommt als sonst an irgend einen Fleck in deutschen Landen. So geschah es, daß man um die Weihnachtszeit des Jahres 1648 in selbigem Dorfe noch nicht wußte, daß nach dreißigjährigem Kriegsjammer Friede wor­den war im Vaterland, und doch hatten die Herren Gesandten zu Münster und Osnabrück schon am 25. Oftober mit umständlicher Feierlichkeit das letzte große Punktum gesetzt. Bald nach Martini zwar ist ein fahrender Gefelle gekommen, der erzählte im Wirts­Haus, es sei Fried im Reich, und er selber habe gesehen, wie die Bauern drunten am Strom auf der Heerstraße ihre Schweine zu Markt getrieben hätten; aber niemand glaubte es ihm. Einer holte den alten Schulmeister. Der fühlte dem Fremden auf den Zahn durch allerlei Fragen. Als der Gefelle erzählte, daß er auf der hohen Schule zu Padua gewesen sei, und daß man dort jetzt den Stoßdegen unter dem Rockschoß trage, da raunte der Schulmeister den andern zu:" Traut ihm nicht;' s ist ein Lateinischer," und schier gar hätte der Wandersmann für seine Friedensbotschaft noch Schläge bekommen.

So wähnten sich die Leute mitten im Kriege. Wer etwa in Feld oder Wald zu schaffen hatte, nahm einen guten Gesellen mit. Ab­wechselnd trugen sie das Feuerrohr, und ehe sie an die Arbeit gingen, suchten sie das Umland ab; während der eine Holz machte oder ackerte, stand der andere auf Wache. Einigemal hatten sich Ge­waffnete gezeigt; sie wurden durch Schüsse vertrieben. Ob es ver­sprengte Soldaten waren oder Raubgesindel, wußte man nicht. All­fonntäglich fügte der Pfarrer dem großen Kirchengebet die Bitte um den edlen Frieden bei, und fast alle andermal ließ er sein Lieb­lingslied singen: Ach Gott, vom Himmel sieh darein und laß dich es erbarmen!" Er war stimmlos, seit ihm die Kroaten den Schwedentrunt mit heißem Wasser gegeben hatten, und hatte seit­dem keine gute Stunde mehr. Aber er versah noch sein Dienstlein, und die Leute verstanden ihren Hirten; auch konnten sie sich alle nah zu ihm heransetzen: Krieg, Best und Hunger hatten aufgeräumt. So war der Tag vor dem Christfest herangekommen. Niemand dachte mehr an die Friedensbotschaft des Lateinischen. Nur eine

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hatte sie nicht vergessen. Das war des Nachtwächters alte Mutter. Sie hatte vor fünf Jahren ein böses Gelübde getan. Das quälte sie jetzt; denn sie lag im Sterben. Es war an einem Wintertag, da trugen sie ihr den Mann tot ins Haus. Vorübersprengende Reiter hatten ihn aus Mutwillen geschossen, als er auf einem gefällten Stamme saß und sein Brot verzehrte. Damals fluchte sie dem Herrgott, weil er solch himmelschreienden Greuel geschehen ließ, und sie gelobte, nicht mehr zum Nachtmahl zu gehen, solange der Krieg währe. Jekt lag fie frank zu Bett und wußte, daß sie sterben müsse, und sehnte sich nach der heiligen Kost. Aber als der Pfarrer ihr zuredete, sie solle der Sehnsucht Genüge tun, denn ihr Gelübde sei gottlos gewesen, da wandte sie sich zur Mauer und gab keine

Antwort.

Heute nun warf fie sich unruhig auf ihrem Lager herum. Der Husten quälte sie und noch etwas. Mein Vater felig ist auf den Christtag gestorben," sagte sie in der Frühe. Nach einer Weile stöhnte sie auf.

Was ist Euch, Mutter?" fragte der Sohn und eilte ans Bett. ,, Man ist doch auch ein Christenmensch!" flüsterte sie. Morgen ist Nachtmahl in der Gemeinde," fing der Sohn wieder an, wollt Ihr nicht auch, Mutter?"

Da fragte sie mit hastiger Stimme:" Ist Fried im Land?" Der Nachtwächter schüttelte traurig den Kopf: Wir erleben's nimmer, Mutter, Ihr nicht und ich nicht." Und er ging zur Tür hinaus.

Da trat ihr Enkelsohn an das Bett, ein baumlanger Kerl. Er war hinter dem Ofen gesessen und hatte an einem Span geschnitzt. Ich will in die Stadt gehen, Altmutter, und fragen, ob Krieg oder Fried ist. Morgen früh bin ich wieder da."

" Ja, geh," flüsterte die Kranke in fliegender Hast. Geh, ehe dein Vater kommt; er leidet's sonst nicht."

Wen soll ich fragen, Altmutter?"

" Jm Torturm wohnt der Waibel. Seine Frau ist mein Baten­find. Die frag, die weiß es. Sie hat von mir ein silbern Salzfaß zur Aussteuer. Das soll sie dir geben zum Zeugnis der Wahrheit, wenn Fried ist im Land. Geh, nimm deines Vaters Spieß mit; der Wolf

Aber der Junge hörte nicht mehr. Schon eilte er den Berg hinan der Waldschlucht zu.

Sechs Stunden war es bis zur Stadt. Der Weg dahin führte durch einsame Heide und wilden Wald, vorbei an ausgebrannten Mühlen und verlassenen Dörfern; dann stieg er hinunter ins breite, offene Tal an den großen Strom, wo die Heerstraße lief und die Städte lagen. Durch Wald und Heid trabte der Wolf, und durchs Tal zog Mordgesindel jahraus, jahrein, solches mit der roten Feder und solches mit der Sturmhaube, Schnapphähne und Sol­daten.

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Den Tag über lag die Alte still. Als der Sohn das Mittagsmahl fochte es war kein Frauensbild weiter im Haus-, fragte er: Wo steckt denn der Bub?" Aber er fragte mehr sich selbst als seine Mutter, und diese schwieg. Der Abend dämmerte. Da schaute der Mann besorgt nach in Stall und Scheune, blickte die Dorfstraße hinauf und kehrte stumm in die Stube zurück. Er setzte sich auf die Ofenbank. Es wurde finster. Die Mutter stöhnte." Wollt Ihr was?" fragte der Sohn von der Bank her.

"

,, Er wird in die Stadt sein," jammerte die Kranke.

Der Bub?" rief entfeht der Mann.

,, Er will fragen, ob Fried ist im Land."

"

" Mutter," schrie der Sohn, Euch rech'n ich's zu, wenn er mir verdirbt!"

Die Kranke murmelte Unverständliches. Ihre Zähne schlugen zu­fammen. Beide schwiegen. Es ward völlig Nacht in der Stube. Nur die Augen der Hauskaze leuchteten unter dem Ofen herauf.

Als der Orion über das Scheunendach schaute, stand der Mann auf, nahm das Horn von der Wand und verließ wortlos die Stube. Die Kaze strich ihm nach bis an die Tür, dann sprang sie auf den Fenstersims. Aber es wehte ein falter Zug herein. Mit ein paar Säßen war sie wieder am Ofen, legte sich auf den alten Plak, und ihre Augen leuchteten nach dem Bett der Sterbenden hinüber.

Derweil stieg der Orion höher und höher, und jetzt schauten seine Sterne in die Waldschlucht hinein gleich unten am Dorf. Wolfsloch hieß sie, und die Leute wußten warum. Das Sternenlicht drang hinab bis auf den schmalen, finstern Grund. Dort lag eine dunkie Masse fast regungslos, Mensch und Tier im Ringen auf Leben und Tod. Oben am Eingang zur Schlucht stand der Nachtwächter und spähte hinab. Aber der Blick ging über den Knäuel hinweg und der Rampf war lautlos; der saufende Odem der Ringenden verwehte, ehe der Lufthauch von dort herauffam. In dem Augenblick, als der Vater sich umwandte dem Dörflein zu, tauchte aus der Tiefe der