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Für unsere Mütter und Hausfrauen

der Gefährdung unserer Boltsgesundheit enthüllt sich aber erst ganz, wenn wir bedenken, daß der überwiegende Teil der Soldaten, der gesunden wie der kranken, vom Lande und aus fleinen Städten stammt, wo im Frieden Geschlechtskrankheiten wenig oder gar nicht bekannt waren. War doch in den Großstädten die Zahl der Vene­rischen mindestens fünfzigmal so groß als auf dem Lande. Das wird nach diesem Kriege mit seinem ungeheuren Menschenverbrauch anders werden. Durch das Rückströmen so vieler Geschlechtskranker wird nun auch das Land durchseucht. Neißer rechnet auch mit der Möglichkeit, daß infolge der durch den Krieg bedingten überanstrengung des Herzens und der Nerven und durch die all­gemeinen Organschädigungen infolge der Strapazen die schweren Nachfrankheiten der inneren Organe und des Nervensystems fich häufiger einstellen werden als im Frieden, zumal auch die Shphi­lisbehandlung fich im Felde nicht immer mit der nötigen Sorg­famkeit durchführen lassen wird. Es ist ein geradezu furchtbares Schreckbild, was sich vor uns auftut," schreibt der genannte Arzt, wenn wir an diese so sehr drohende Möglichkeit denken, daß viele Tausende diesem elenden Schicksal verfallen könnten, als erwerbs­unfähige Krüppel herumlaufend, die Irrenhäuser bevölkernd, vor­zeitig dahinsterbend, ihre Familien im Elend zurüdlassend."

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Die erhöhte Gefährdung der Volksgesundheit sollte besonders energische Abwehrmaßregeln erfordern, deren Anordnung im Kriege Sache der Heeresleitung und ihrer ärztlichen Sachverstän­digen ist. Leider sind diese Instanzen in einem Hauptpunkt nicht scharf genug vorgegangen, in der Bekämpfung des Alkoholismus  . Rußland   hat sein Alkoholverbot, Frankreich   sein Absinthverbot, und auch im deutschen   Heere war zu Beginn des Krieges der Alkohol­genuß verboten. Später setzte im Inland eine mächtige Agitation des Alkoholkapitals ein, und bald wurde der Schnaps wieder er­laubt. Aber viele Ärzte sind der Meinung, daß der Volksgefund heit damit nicht gedient war. Denn Alkohol, Prostitution und Ge­schlechtsfrankheiten gehören eng zusammen. Blaschko schreibt: Übereinstimmend wird von allen Seiten, Ärzten sowohl wie Sol­daten berichtet, daß ein sehr erheblicher Teil der venerischen Infek­tion( Ansteckung), namentlich bei den Verheirateten, im Rausch oder doch in leichter Angetrunkenheit stattgefunden hat." Aus dem Briefe eines Arztes führt Blaschko folgende Stelle an:

Wir wissen aus der Befragung der Kranken, daß der Alkohol bei der Erwerbung der Geschlechtskrankheiten die Hauptrolle spielt, in­dem er ihnen den Boden ebnet, den Soldaten die Hemmungen und Widerstände raubt, die sie sonst dem außerehelichen Geschlechts­verkehr entgegenstellen würden." Auch Neißer stellt fest, es sei nicht einer, der sich nicht mit der Angetrunkenheit entschuldigt und viel­leicht hinzusetzt:" Ja, wir im Felde, bei unseren Strapazen, wir fönnen ohne Alkohol nicht auskommen." Wenn nun auch während dieser großer Strapazen, Gewaltmärsche und Gefechte keine Ge­legenheit zu geschlechtlichen Ausschreitungen vorhanden ist, so doch später, wenn die Truppen sich in Ruhestellungen hinter der Front befinden. Der Alkoholgenuß, an den sie nun einmal gewöhnt sind, wird dann für viele zum Kuppler und reißt sie nicht selten ins Ver­derben. Es fann gar keinem Zweifel unterliegen," sagt Neißer, daß Tausende und aber Tausende den Geschlechtskrankheiten ent­gehen würden, wenn sie nicht der Verführung des, verfluchten' Al­tohols unterlegen wären."

Arztliche Belehrungen über die Gefahren der Geschlechtskrank­heiten, geschickt abgefaßte Merkblätter, moralische Vorhaltungen, die Einrichtung alkoholfreier Soldatenheime, Beschränkung des Ur­laubs usw. haben zweifellos inzwischen manches Gute gewirkt, aber wenn ein Krieg Jahr und Tag dauert, müssen sie bei der großen Masse versagen. Von Anfang an richtete die Heeresverwaltung ihr Augenmerk auf die Sanierung" der Prostitution. Das war na­türlich leichter gefagt als getan. Gelang es auch, einen Teil der Straßenprostitution durch polizeiliche Reglementierung möglichst unschädlich zu machen, so blühte die noch gefährlichere Winkelprosti­tution weiter; kein Wunder, solange ihr die Not immer neue Scharen von Frauen und Mädchen zutreibt. Von der allgemeinen Einrichtung von Bordellen hat man schließlich Abstand genommen. Neiger ist ein eifriger Fürsprecher für die Kasernierung der Pro­stitution und für sorgfältig überwachte Bordelle mit Gesundheits­fontrolle der männlichen Besucher. Blaschko ist ein ebenso entschie= dener Gegner aller Bordelle, weil sie immer die stärkste Verfüh­rung zum außerehelichen Geschlechtsverkehr darstellen".

Da man nach alledem mit massenhaftem außere helichen Verkehr bei den Truppen rechnen muß, so ist man vielfach den Anstren­gungen der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts­trantheiten gefolgt und hat den Soldaten mechanische und chemische Schutzmittel zur Verhütung von geschlechtlicher Ansteckung zur Verfügung gestellt. Es sind dies zum großen Teil dieselben Mittel,

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die vor zwei Jahren bei dem Regierungsfeldzug gegen den Ges burtenrüdgang verboten werden sollten, weil sie auch zur Ver­hütung der Empfängnis dienen. Jezt haben sie die Aufgabe, das Bolt vor der allgemeinen Verseuchung durch Syphilis   und Trip­per zu retten. In der Tat soll die Anwendung jener Mittel, ob= wohl fie feinen absolut sicheren Schutz vor Ansteckung gewähren, seit dem Frühjahr 1915 ein Sinten der Erkrankungsziffer zur Folge gehabt haben.

Was soll nun geschehen, wenn der Krieg ausgetobt hat und die vielen Millionen von Soldaten von ihrer Blutarbeit zurückkehren in ihre Heimat, zu ihren Familien, zur Arbeit des Friedens? Von den draußen geschlechtskrank Gewordenen wird ein sehr großer Teil nicht ausgeheilt sein, so daß mit einer Massenübertragung von Syphilis   und Tripper auf die Frauen und Geliebten der Heim­tehrenden gerechnet werden muß, wenn nicht ganz besondere Maß­nahmen dagegen ergriffen werden. Als erste Forderung müßte nach Blaschko aufgestellt werden, daß kein noch Ansteckungsfähiger aus dem Armeeverband entlassen werde. Ein so radikaler Eingriff in die persönliche Freiheit muß natürlich zu großen Härten für den einzelnen führen, ganz abgesehen davon, daß der Nachweis der Ansteckungsfähigkeit besonders bei Syphilis   nicht immer leicht ist. Für weniger bedenkliche Erkrankungen soll ärztliche Behandlung in der Heimat zur Pflicht gemacht und unter Mitwirkung der Krankenkassen und der Versicherungsanstalten durchgeführt wer­den. Schon planen die Landesversicherungsanstalten Beratungs­und Fürsorgestellen, die alle während des Krieges geschlechtsfrank Gewordenen in dauernde hygienische Überwachung nehmen sollen. In den Rahmen dieser Maßnahmen sollten organisch eingegliedert werden die Maßregeln zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten unter den Prostituierten( auch der gelegentlichen), indem man ihnen vor allem Gelegenheit zur kostenlosen Behandlung durch den Arzt oder im Spital verschafft. Ein Gesundheitsamt müßte ge­schaffen werden, das an Stelle der Polizei die gesundheitliche Über­wachung und die zwangsweise Durchführung der ärztlichen Be­handlung zu übernehmen hätte. Die heutige, allein der Polizei überlassene Aufsicht über die Prostitution hat nicht nur längst ver­sagt, sondern auch unendliches Unheil angerichtet, und die Frage ihrer Reform wird mit dem Ende dieses Krieges brennender denn je. Fragt sich nur, ob man sich angesichts der so ungemein er­höhten Bedrohung der Volksgesundheit endlich entschließen wird, n: it dem alten Schlendrian in der Bekämpfung der venerischen Krankheiten aufzuräumen. Mit diesen Maßnahmen allein ist es aber nicht getan. Schwere wirtschaftliche Krisen werden nach dem Kriege über das Volf hereinbrechen. Es wird insbesondere arbeits­lose Frauen in noch nie dagewesener Zahl geben, und die Teuerung wird anhalten. Das aber bedeutet nichts anderes als ein neues riesenhaftes Anschwellen der Prostitution und damit auch der Ge­schlechtskrankheiten. Die Geschlechtskrankheiten aber sind, wie be reits angedeutet wurde, bösartige fressende Schäden an der Volks­kraft, indem sie viele Ehen unfruchtbar machen oder einen minder­wertigen Nachwuchs aus ihnen hervorgehen lassen. Halten wir diese Tatsachen zusammen mit der ohnehin durch den Krieg direkt bewirkten Massenvernichtung Hunderttausender zeugungskräftiger Männer und der körperlichen Zerrüttung und Schwächung von Mil­lionen durch die Nachwirkungen der erlittenen Verwundungen und Strapazen, so müssen wir mit einem weiteren Ansteigen des Ge­burtenrüdgangs und einer ganz erheblichen Verschlechterung des Nachwuchses rechnen. Der Zusammenhang des Bevölkerungs- und Fortpflanzungsproblems mit den Geschlechtskrankheiten ist flar. Der Staat ist in seinem eigensten Interesse an ihrer Bekämpfung und damit an der Eindämmung der Prostitution interessiert. Eine wirksame Einschränkung beider ist aber nur möglich durch Hebung der wirtschaftlichen und der sittlichen Verhältnisse in der Bevölke= rung. Nur so können Angebot und Nachfrage verringert, die wirt­schaftlichen Nötigungen und die unnatürlichen Lebensbedingungen, die zur Prostitution führen, vermindert werden. Voraussetzung dafür ist ein baldiger, dauernder Frieden.

Sonst wird für so dringende Aufgaben wie die Bekämpfung von Prostitution und Geschlechtskrankheiten durch Wohnungsreform, Jugendfürsorge, innere Kolonisation, Mutterschutz, Bekämpfung des Alkoholismus und ähnliches mehr wenig oder nichts übrig bleiben. Wollen wir gefundere wirtschaftliche Zustände als Vor­bedingung gefunderer segueller Verhältnisse schaffen, so werden wir, je länger der Krieg dauert, desto härter darum zu ringen haben. Aber auch der schwerste Kampf soll uns nicht schrecken im Hinblick auf unser Ziel, die Heraufführung wahrer Kultur und hoher Ge­M.Kt. fittung durch den Sozialismus.

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