Nr. 9
Für unsere Mütter und Hausfrauen
Die Volkslieder der Serben.
Vor hundert Jahren stand das fleine Volk der Serben, über das jezt so unfägliches Elend hereingebrochen ist, im Vordergrund des literarischen Interesses. Es erschien damals die erste Sammlung serbischer Volkslieder, wovon bald darauf eine dreibändige, metrisch ins Deutsche übertragene Ausgabe in Leipzig herauskam. Von der Existenz des serbischen Volkes hatte man bis dahin im Abendland wenig vernommen; kein Wunder, daß diese Liedersammlung in ihrer Fülle, Mannigfaltigkeit und Schönheit überall das größte Erstaunen auslöfte. Nur wenige Jahre früher war in Deutschland die Sammlung deutscher Volkslieder" Des Knaben Wunderhorn " herausgekommen, und nun zeigte sich ein kaum beachtetes Bölkchen ebenbürtig, sogar überlegen. An Reichtum und Mannigfaltigkeit tam ,, Des Knaben Wunderhorn " nicht mit, an Kraft und Schönheit des Ausdrucks und der Gliederung erwiesen sich die serbischen Volkslieder mindestens ebenbürtig. Sie waren das Zeugnis einer alten, hochstehenden Kultur, die durch widrige Schicksalsschläge später in Perfall geraten war. Ja, die serbischen Heldengefänge übertreffen segar die deutschen. Hier müssen wir anerkennen, daß wir in jeder Hinsicht zurückstehen. Bekannt ist, wie begeistert Goethe war, als er von den serbischen Volksliedern Kunde erhielt, und wie hoch er sie schätzte. Jakob Grimm , der Sprachforscher und Sammler unserer heimischen Märchen, zählte die serbischen Volks- und Heldenlieder zu den rührendsten Gesängen der Weltliteratur.
In Deutschland hat die Masse der Gebildeten, wie es scheint, diese Tatsache vergessen, anders hätte es einem so berühmten Professor wie Sombart nicht passieren können, daß er in einer Lobrede auf die deutsche Kultur von den Serben geringschäßig meinte, sie feien in Europa nur als Mauſefallenhändler und derlei bekannt. Die aus Serbien zurückkehrenden Feldgrauen werden ihn inzwischen eines anderen belehrt haben. In der Tat können die Serben wie kein zweites Donauvolt auf ein Zeitalter hoher völkischer Blüte und Kultur zurückblicken, der freilich eine viele Jahrhunderte dauernde Unterdrückung teils durch Ungarn , teils durch Türken folgte. Es ist ein Beweis der hohen Widerstandsfähigkeit und Begabung dieses Volfes, daß es trob etwa sechshundertjähriger FremdHerrschaft, fortgesetzten feindlichen überfällen, Ausraubungen und Bedrückungen seine Eigenart zu behaupten vermochte und ein Kulturdenkmal bewahrte, womit es sich wahrlich nicht in den Schatten zu stellen braucht. Und dabei war es den im Gebirge zerstreuten und nur mühsam ihr Leben fristenden Serben nicht einmal möglich, die Dichtungen durch Schrift oder Druck zu erhalten, zu verbreiten, zu überliefern, sie aus Büchern zu lernen oder zu lehren. Nur durch die mündliche Übertragung sind sie im Volke lebendig geblieben. Selbst eine einheitliche Sprache fehlte diesem Volke, das sich trotz allem zu erhalten und am Anfang des letzten Jahrhunderts( 1804 bis 1812) zu befreien vermochte.
Erst um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts erhielt das Volk einige Bücher. Die nach Ungarn ausgewanderten Serben hatten dort eine nationale Bewegung geschaffen, serbische Schulen gegründet und sich um eine eigene serbische Literatur bemüht. Aber diese Literatur war nicht urwüchsiges Gut. Es waren Bücher von Schriftstellern, die sich ihre Kenntnisse auf den Schulen des Abendlandes geholt und die nun ihrem Volke nüßen wollten. Zudem waren sie in der dem Volke unbekannten Kirchensprache abgefaßt. Und doch soll sich das Volk mit fast religiöser Inbrunst an diese Bücher angeschlossen haben, waren sie doch endlich einmal etwas, das zu ihm sprechen sollte und sich mit ihm beschäftigte.
Der erste wirklich nationale Schriftsteller war der 1739 geborene Dositheus Obradowitsch. Selbst ein Sohn des Volkes, begann er in der Sprache des Volkes Bücher zu schreiben. Er hatte beinahe ganz Europa durchwandert, hatte reiche Erfahrungen und Kenntnisse gesammelt und wollte damit seinem Volke dienen. Seine Lehren, moralische Wahrheiten und Gemeinsinn, kleidete er in kleine Fabeln, die vom Volfe mit heißem Verlangen aufgenommen wurden. Diese seine Tat brachte eine vollständige Umwälzung für die serbische Literatur. Jekt begann eine neue Epoche für sie. Andere Schriftsteller, Geschichtschreiber, folgten seinem Beispiel und schrieben ebenfalls in der Sprache des Volkes.
Auf dem einmal betretenen Wege wurde fortgefahren. Jetzt erst hatte das Volk seine Sprache gefunden und machte sich als Volk geltend; es war gleichsam entdeckt. Aber was Dositheus getan, war nur der Anfang. Den eigentlichen kühnen Wurf sollte ein anderer Serbe tun, Stephanowitsch Karadschitsch, mit der schon erwähnten Herausgabe der Volkslieder. Karadschitsch war ein Sohn des Volkes mit nur einfacher Bildung. Aber er gab seinem Volfe mehr denn alle andern. Seine ganze Tätigkeit während dreißig Jahren richtete sich nur darauf, der Gesamtheit des Serbenvoltes eine ein
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heitliche Sprache zu geben, es in einer Sprache zu vereinen. Er zeigte, wie man schreiben mußte, um vom Volke verstanden zu werden. Er schrieb als erster reine Volkssprache. Zugleich mit der ersten Sammlung von Volksliedern, 1814, erschien von ihm die Grammatik der serbischen Sprache und einige Jahre später das Wörterbuch, eine Rechtschreibung, dann wieder einige Bände Volkslieder und zuletzt eine Sammlung serbischer Sprichwörter. Da zugleich die erste serbische Zeitung heraustam, deren Mitredakteur Karadschitsch war, sammelte sich um ihn ein Kreis von Dichtern und Gelehrten, nunmehr die geistige Zentrale der Serben. Als Karadschitsch Norddeutschland bereiste, erschien unter seiner Leitung in Leipzig die deutsche Ausgabe dieser Volkslieder in drei starken Bänden.
Von dem Alter dieser Volkslieder wird mitgeteilt, daß es mit Bestimmtheit nicht mehr festzustellen ist. Angenommen wird auf Grund ziemliche Sicherheit bietender Forschungen, daß eine ganze Anzahl, besonders die Hochzeits- und Festgefänge, dem grauen Altertum entstammen. Obwohl sich die Feierlichkeiten und Gebräuche durch die Jahrhunderte erhalten, haben sie doch mancherlei Veränderungen erfahren. Aus der heidnischen Zeit überliefert, wurden sie dem Christentum angepaßt. Diese Veränderungen machten die Gesänge nicht mit. Dem Volke war wohl gegeben, sich in andere Gebräuche zu schicken, nicht aber, die Gefänge umzudichten. Diese Tatsache gibt einigen Anhalt, den Zeitpunkt des Entstehens zu erforschen. Unter den kleinen Liedern herrschen natürlich wie in allen Volkspoesien die Lobgefänge auf die Schönheit der Geliebten, auf die Taten und die Kraft des jungen Mannes vor. Manche machen uns mit den eigenartigen Sitten der Serben be= kannt und sind uns nur durch Anmerkungen verständlich. Die Lieder zeugen von einer außerordentlichen Naivität, wie sie eben nicht sehr kriegerischen Naturkindern oder unterdrückten VolksStämmen eigen ist. Eine große Einfachheit in dem Empfinden und den Sitten prägt sich in ihnen aus. Viel ist von unglücklicher Liebe die Rede, was darin seine Erklärung findet, daß die jungen Leute nicht nach eigener Wahl, sondern sich nach dem strengen Gebot der Eltern verbanden. Ein Ton von Schwermut und Klage geht durch die Dichtungen, ein Klang von Abgeschlossenheit und Enge. Was in den Liedern anderer Völker der Böse, der Teufel ist, das ist hier der Türke. Ihm, der im Lande grausigen Schrecken verbreitet, sollen die übeltäter in die Hände fallen und die bösen Kinder. Heldenlieder aus frühesten und späteren Zeiten berichten von kühnen Kriegstaten, von Befreiern, todesmutigen Kämpfern und von unglücklich verlaufenen Schlachten. Besonders die Schlacht auf dem Amfelfeld( 1389), mit der das alte Reich zusammenbrach und die Unterjochung des serbischen Volkes begann, wird sehr oft erwähnt. Ergreifend sind die Klaggesänge, in denen dieses blutigen Ringens gedacht wird. Selten drückt sich eine Hoffnung aus auf eine fünftige Befreiung, man scheint nicht daran gedacht zu haben. Eher flingt stilles Ergeben in das Schicksal durch und der Wunsch, vor weiterem Unheil bewahrt zu sein. All diese Gesänge wurden in den freudlosen Tagen geübt und besonders die Heldenlieder in träumerischem Rückerinnern an längst entschwundene, schier sagenhafte Herrlichkeit gesungen. Aus Volksgesängen wurden sie zu eigentlichen Nationalliedern, in denen die Sehnsucht nach der alten Größe serbischen Königtums manchen Vers umbildete. Die Lieder waren im Volte lebendig. Sie bildeten das einzige Bindemittel unter den Volksgenossen. Da ist es erklärlich, daß Bestrebungen nach Einheit und Eigenheit der Sprache freudigen Widerhall fanden und die Sammlung der Volksgefänge wie eine Erlösung begrüßt wurde. Vieles mag bis dahin verloren gegangen sein, vieles ist aber durch die Sammlung erhalten geblieben. Es ist Serbiens tragisches Schicksal, daß fast genau ein Jahrhundert, nachdem es seine nationale Eigenart wiedergefunden und der Weltliteratur einen so wertvollen Beitrag geliefert hatte, dieses Volt, nicht ohne Mitschuld der eigenen herrschenden Klassen, in den blutigen Wirbel imperialistischer Auseinandersetzungen hineingerissen und auf dem Altar des Weltkriegs geopfert wurde. Alwin Rudolph.
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Zum Nachdenken.
Der Gescheitere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit. Marr. Leben heißt wirken und vernünftig wirken. Nach unserer Weise heißt es aber leiden und unvernünftig leiden.
J. G. Seume.
Der Schlimmere ist nicht der, der mich in Ketten schlägt; der mich die Ketten liebgewinnen macht, der ist der Gefährliche. D. Ludwig.
Umsonst bist du von edler Glut entbrannt, Wenn du nicht sonnentlar dein Ziel erkannt.
Uhland.